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Literatur

Umgedrehte Augen und andere großartige Scheußlichkeiten

Quelle: Georg Schrimpf: Oskar Maria Graf (gemeinfrei)

Umgedrehte Augen und andere großartige Scheußlichkeiten

Felix Lorenz

Schreibt hier über Literatur und Literaturähnliches.

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Felix LorenzDonnerstag, 29.06.2017

Ich hatte an meinem bayerischen Gymnasium einmal einen Kunstlehrer, der es wie kein anderer Lehrer verstand, sich auf eine stilvolle Art beliebt zu machen, und das, obwohl er es noch nicht einmal nötig gehabt hätte. Der Kunstunterricht war immer eine für die Schule ungewöhnlich stille Angelegenheit. Wenig Dialog mit dem Lehrer, wenig Geplapper und wenig Gelegenheit für alle Selbstdarsteller, sich selbst darzustellen.

Unser Kunstlehrer hatte irgendwann die Idee, dass man diese Stimmung noch anders nutzen könnte: Wenn wir glaubhaft den Eindruck vermitteln konnten, dass wir unsere Zeichen- und Malaufgaben weiterhin zielstrebig ausführten, las er uns aus Büchern vor. Zuerst hatte er ein paar der Lausbubengeschichten von Ludwig Thoma mitgebracht, aber das wurde schnell eintönig. Ludwig Thoma kannten wir alle. Beim nächsten Mal brachte er die autobiographischen Jugendgeschichten von Oskar Maria Graf mit und präsentierte ihn uns als bösere Variante von Thoma, als echter, härter und realistischer. Oskar Maria Graf kannte kaum jemand, obwohl er rein geographisch viel näher lag. Aber bösere Streiche? Immer her damit!

Verglichen mit Oskar Maria Graf wirkten Ludwig Thomas Lausbubengeschichten sehr brav und zahm. Was bei Thoma harmlose, kleinbürgerlich abgesicherte Streiche sind, werden bei Graf echte Grenzüberschreitungen. Da gibt es Geschichten wie die von der Eisscholle, bei der der junge Oskar fast im Starnberger See ertrinkt, oder die Schilderungen vom Krampustreiben, bei dem der Dorfdepp im Kostüm durch die Gegend zieht, und eigentlich den Kindern einen Schreck einjagen soll, aber die Dorfjungen spielen ihm jedes Jahr auf eine andere Art einen Streich, bewerfen ihn mit Schneebällen, schütten ihm kaltes Wasser über oder stecken ihm eine Mistgabel in den Hintern. In “Der Untergang der Seminolen”, einer Geschichte vom Cowboy- und Indianerspielen, gibt es dann die Stelle, die sich mir am meisten eingeprägt hat: Eines der Kinder lernt einen Trick, wie man den Augapfel mit einem Bleistift so verdrehen kann, dass das Sehvermögen vorübergehend beeinträchtigt wird und der Betroffene wie ein Geblendeter durch die Gegend irrt. Wer über so ein wertvolles Wissen verfügt, kann das natürlich nicht lange uneingesetzt lassen. (Beim Vorlesen im Kunstunterricht verdrehten die Mädchen an solchen Stellen gekünstelt angewidert ihren Kopf und Jungen lachten so, wie sie wohl dachten, dass man als kerniger Mensch zu lachen hat.)

Auch in seiner Sprache war Oskar Maria Graf eine ganz andere Erfahrung. Thoma schreibt in seinen Geschichten einen volkstümlich eingefärbten, leicht ans Mündliche angelehnten Stil, aber er wird niemals richtig derb. Graf hingegen wählt eine brutale, jede Grammatik verbiegende Sprachform, die Satzstellung und Vokabular des Dialekts beibehält:

“Ich habe von meinen zwei älteren Brüdern Maurus und Lenz viel ertragen müssen. Die Launen der zwei sind immer an mir hinausgegangen, aber ich bin trotzdem sehr an ihnen gehängt.” (“Die Mauer”)

Darin liegt eine Freude an einem vorsätzlichen Provinzialismus (Oskar Maria Graf bezeichnete sich manchmal auch selbst ausdrücklich als “Provinzschriftsteller”), der in Sprache und Bildlichkeit etwas Herausforderndes mit sich bringt. Ich bin mir deshalb nie ganz sicher gewesen, ob man nördlich der Donau einen besonders guten Zugang zu ihm finden kann. In den Geschichten ist alles sehr überzeichnet und in einer grotesken Art komisch, aber gleichzeitig in seiner Rohheit auch ernst. Was man hier auch sieht, ist eine Selbstverständlichkeit von alltäglicher Gewalt, wie sie uns ein paar Generationen später schon viel unwirklicher erscheint. Vielleicht musste sie deshalb lausbubenhaft mit dem Witz eines Erzählers gekontert und entmächtigt werden wie man in Alpenbräuchen auch alles Dämonische durch überzeichnete Teufelsverkleidungen halb ins Lächerliche zieht. Für uns Schüler war es beim Zuhören jedenfalls so oder so eine Mordstrummgaudi.

Oskar Maria Graf: “Größtenteils schimpflich” (div. Ausgaben). Die Jugendgeschichten Oskar Maria Grafs sind auch in anderer Zusammenstellung unter dem Titel “Dorfbanditen” erschienen.

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