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Klima und Wandel

Die Mühen der Dekarbonisierung: die laufende Klimagesetzgebung

Dominik LennéDonnerstag, 12.05.2022

Europe Calling ist ein Webinarformat, das vom jetzigen Staatssekretär im BMWK Sven Giegold ins Leben gerufen wurde, als er noch grüner Abgeordneter im Europaparlament war und das inzwischen von einem überparteilichen Verein weitergeführt wird. Es dient dazu, ein breiteres Publikum ins direkte Gespräch mit hochrangigen Leuten aus der Europäischen "Szene" zu bringen und diese hochrangigen Leute waren diesmal Patrick Graichen und Oliver Krischer, beide frischgebackene Staatssekretäre im BMWK, sowie Claudia Kemfert, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Thema war die ungeheure Bewegung, die die Ampelkoalition in der klimabezogenen Gesetzgebung in Gang gesetzt hat.

Das Video geht über zwei Stunden – sehr dicht, mit sehr vielen verschiedenen angesprochenen Themen – und gibt einen Einblick in was alles in Arbeit ist und wie die Leute, die es voranbringen, denken. Nach den Keynotes wurden Fragen von acht Verbandsvertreter|innen und schließlich von Zuschauer|innen besprochen. 

Ich kann hier nur einen groben, etwas ermüdenden, listenhaften Überblick geben, der zeigt, wie komplex und kleinteilig die Angelegenheit ist.

In seiner Keynote teilte Graichen den Bereich in das, was schnell machbar sei (bis zur Sommerpause des Bundestages) und das, was nachgeliefert werden müsse. 

Der Fokus liege dabei auf der Dekarbonisierung des Stromsektors, weil dieser der zentrale Hebel für den gesamten Energiefluss in Deutschland ist. Sowohl Verkehr als auch Wärme werden zukünftig über Strom laufen. Deshalb wird der Strombedarf sicher steigen: von z. Zt. 70 auf 85 GW mittlere Leistung. Dafür brauchen wir einen jährlichen Zubau von um die 5 GW mittlere Wind- und PV-Leistung, was einem Nennleistungs-Zubau von 30 GW entspricht. Das ist etwa eine Vervierfachung.*

Bei Onshore-Wind gehe es um Flächenbereitstellung, hier insbesondere darum, den Widerstand in einigen Bundesländern zu überwinden und um Genehmigungsverfahren, die u. A. wegen kommunalem Personalmangel zu langwierig seien. 

Später ins Jahr geschoben worden sei unter anderem:

  • Die Reform des Natur- und Artenschutzrechts
  • Die Erleichterung des Repowering** vorhandener Anlagen
  • Die Beseitigung der vielen Hürden für den PV-Ausbau. Dieser Punkt wurde dann von Oliver Krischer illustriert: Er habe eine Liste von 143 schikanösen Regelungen im PV-Bereich, die er ändern wolle
  • Das Energieeffizienzgesetz, das u. A. die Verweigerung von Effizienzinvestitionen vieler Industriebetriebe angehen solle
  • Die Reform und Unterstützung der kommunalen Wärmeplanung. Hier geht es darum, dass die Kommunen vorhandene Wärmeerzeugung, etwa in Betrieben, mit dem Wärmebedarf zusammenbringen. Sie benötigen dafür oft Mittel, die sie nicht haben.
  • Stopp des Einbaus fossiler Heizungen. Hier sei etwa ein Problem, dass 90 % der Installationsbetriebe Wärmepumpen gar nicht fachgerecht einbauen könnten. (Gebäudeenergiegesetz)

Claudia Kemfert plädierte im Wesentlichen für ein "Friedens-Sofortprogramm" aus

  • Abschaffung der Abstandsregeln
  • Schnellere Genehmigung beantragter Anlagen mit besser strukturierten Verfahren
  • Ein nicht-steuerfinanziertes Zwischen-EEG. Was hier die Motivation? Das EEG wird novelliert und muss dann von der EU genehmigt werden, was eine große Verzögerung bringt. Der Ausweg sei, in der Zwischenzeit ein nicht-steuerfinanziertes Programm durchzuführen. Was meint sie damit? Das kann sich nur auf die Beseitigung aller Hürden für private Finanzierung beziehen. 
  • Ausbildungs"offensive" im Handwerk
  • Solarenergiepflicht für (alle?) Gebäude 
  • Flexibilisierung von Biogas***
  • Wiederaufbau von Solarproduktion in Deutschland zur Erhöhung der Autarkie
  • Sparen, d. h. Tempolimit

In den Fragen ging es u. A. um:

  • Bürgerenergie
  • Mieterstrom
  • Kleinwasserkraft. Hierzu Graichen sinngemäß: "Schadet mehr durch Naturzerstörung, als es nutzt."
  • Natur- und Artenschutz. Die Nabu-Vertreterin beklagte, dass dieser nicht den gleichen Stellenwert wie der Klimaschutz habe. Hierbei ist zu bedenken, dass der größte Feind der Biodiversität die Landwirtschaft ist und es mit erneuerbaren Energien durchaus auch Win-Win-Lösungen gibt. 
  • Wärmenetze. Hierzu Oliver Krischer sinngemäß: "Da hat die vorige Regierung ein gutes Gesetz gemacht, das aber jetzt auf seine Bestätigung aus der EU wartet. Das ist sehr ärgerlich. Es gibt in der EU Kräfte, die die Dekarbonisierung auf diese Art verzögern wollen."
  • LNG-Terminals. Hier wurden die kursierenden hohen Terminalzahlen erläutert: Dies sei nur die Zahl der zu prüfenden Orte, nicht die der zu bauenden Terminals.
  • Erzwingung von Gebäude-Dekarbonisierung gegen den Widerstand der Besitzer
  • Balkon-Solaranlagen
  • Das 1,5°C-Ziel. Sowohl Graichen als auch Kemfert sagten sinngemaß: "Ja, wenn wir ein global gleiches Pro-Kopf-Emissionsbudget zugrunde legen – da sind wir drüber. Das machen wir auch transparent. Eine solche Lösung ist unrealistisch. Wir fahren eine Linie mit ungleichem Budget, die aber den Vorteil hat, realisierbar zu sein."

Kommentar:

Man sieht, dass wir es mit einer unglaublichen Phalanx von Themen zu tun haben. Perfektion ist deshalb nicht zu erwarten. Es ist ein ungeheurer Umbruch im Gange, eine Spannung hat sich über die Jahre aufgebaut, die gerade dabei ist, sich in Aktion zu entladen. Die Ausbauraten bei Wind, PV, Isolierung und Wärmepumpen auf das Vierfache hochzufahren, dabei auch die Industrie vom Erdgas wegzubekommen und zu allem Überfluss einen Haufen Geld für Kriegszwecke zu verbrennen ist eine enorme, für uns noch nicht dagewesene Herausforderung, die einem durchaus ein mulmiges Gefühl im Bauch machen kann. 

Es verfestigte sich der Eindruck, dass die Merkel-Regierungen eine riesige Menge an Maßnahmen verschlafen, verzögert und verweigert haben, was mir bis vor Kurzem nicht so deutlich im Bewusstsein war. Ich habe größten Respekt vor den Menschen, die den Prozess jetzt mit Energie, Sachkenntnis und Arbeitseinsatz vorantreiben. Ich glaube auch, dass die Ampel sich eine Reihe äußerst kompetenter Leute auf Staatsekretär-Ebene verpflichtet hat: Patrick Graichen von AGORA Energiewende, Oliver Krischer aus der Grünen-Bundestagsfraktion, Sven Giegold aus dem Europaparlament und nicht zuletzt Jennifer Morgan von Greenpeace International. Das macht Hoffnung.

------

* Die Nennleistung ist die maximal mögliche Leistung einer Anlage. Meistens laufen sie jedoch nur mit einem Bruchteil davon, so dass die mittlere Leistung niedriger liegt. Der Kapazitätsfaktor, der die mittlere ins Verhältnis mit der Nennleistung setzt, beträgt bei PV etwa 0,1, bei Onshore-Wind 0,25 und bei Offshore-Wind 0,4. 

2021 betrug der Ausbau bei Wind 1,9 und bei PV 5,3 GW Nennleistung. Beabsichtigt sind 10 GW Zubau bei Wind und 20 bei PV. 

(Oft wird die mittlere Leistung noch in TWh/a angegeben. Das ist dann schwer mit der erzeugten Leistung in Beziehung zu setzen, deswegen nutze ich hier konsequent GW. 10 TWh/a sind 1,14 GW. )

** Repowering ist die Ersetzung einer Windkraftanlage durch eine leistungsstärkere, wodurch eine Menge Erschließungskosten wegfallen.

*** Siehe hierzu diesen piq zur Stabilisierung des Stromnetzes mit Biogas.

Die Mühen der Dekarbonisierung: die laufende Klimagesetzgebung

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Kommentare 3
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

    Toll, dass du das Projekt "Europe Calling" hier vorstellst. Ich verfolge es auch schon einige Zeit mit großem Interesse. Und der piq ist eine Klasse für sich. Danke!

  2. Michael Praschma
    Michael Praschma · vor fast 2 Jahre

    Gut, gut, gut! Gar kein Einwand gegen die Maßnahmenliste. Aber für meinen Geschmack immer noch viel zu viel Rücksicht auf – ich nenne es mal so – die Bewahrung unseres Wohlstands. Oder das Dogma des Wachstums. Wie viel schneller es gehen würde, weniger (fossile) Energie zu verbrauchen, als mehr (grüne) Energie zu erzeugen!

  3. Leon Leuser
    Leon Leuser · vor fast 2 Jahre

    Well, die Merkel-Regierungen haben nicht nur eine Menge an Maßnahmen verschlafen oder wegmoderiert (wer erinnert sich nicht an das Todschlag-Argument der Merkel-Jahre "Wir müssen alle mitnehmen") sondern insbesondere mit Hilfe von wichtigen Personen im BMWi (z.B. Bareiß) bewusst ausgebremst: Zerstörung der PV-Industrie und Kollaps des Ausbaus mit EEG 2012/13. Die Windindustrie folgte zeitlich verzögert ab 2019.

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