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Zeit und Geschichte

Seit jeher können Frauen auch Freunde, Gäste und Zeugen sein

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerMontag, 24.04.2023

Komische Überschrift, mag man denken, aber es geht in diesem Piq um eine sprachgeschichtliche Frage, die bisher noch nie untersucht worden ist: Wurde im Althochdeutschen – also in der Zeit zwischen 750 und 1050 – schon das generische Maskulinum verwendet?

Kurz zur Erinnerung: Dem generischen Maskulinum zufolge werden unter Begriffen wie "die Arbeiter", "die Lehrer" oder "die Touristen" sowohl Frauen wie auch Männer verstanden. – Bekanntermaßen wird dies von Genderbefürwortern in Zweifel gezogen. Ihrer Auffassung nach führt das generische Maskulinum dazu, dass Frauen unsichtbar blieben und Männer betont würden (etwa wegen der Endung -er, MännER, ArbeitER, SchülER et cetera). 

Ich will und kann an dieser Stelle nicht die ganze Diskussion umreißen – zumal wir uns hier im Geschichtskanal von piqd befinden –, aber ein zentrales Argument der Genderbefürworter lautet: Das generische Maskulinum ist eine relativ neue Erfindung des bürgerlichen Zeitalters. Mit dieser "Erfindung" sollte männliche Macht zementiert werden. Dem Spiegel zufolge schrieb Gabriele Diewald, Mitautorin eines Duden-Handbuchs zur sogenannten geschlechtergerechten Sprache, es handle sich beim generischen Maskulinum um eine "Konvention des Sprachgebrauchs" und um eine "historisch sehr junge und keineswegs durchgängig stabile" Konvention.

Tatsächlich war Letzteres nur eine Behauptung, weil es dazu bisher keine solide Forschung gab. Das hat sich nun mit einer neuen Untersuchung geändert. Sie wurde durchgeführt von Ewa Trutkowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft, und Helmut Weiß, Professor für Linguistik an der Universität Frankfurt. Sie schreiben in einer mehr als 2000 Mal heruntergeladenen Vorversion:

Mit dem vorliegenden Aufsatz haben wir die erste sprachhistorische Studie zum generischen Maskulinum im Deutschen vorgelegt.

Ihre Erkenntnisse wurden von Printmedien aufgegriffen, aber – so weit ich sehen kann – bislang nicht vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, der ja gerade für seine Sprachpraxis von mittlerweile mehr als 600 Fachleuten kritisiert wird, darunter aktiven Professoren und – um das hier mal besonders hervorzuheben – Professorinnen.

Die zentralen Erkenntnisse der neuen Studie von Weiß und Trutkowski sind folgende: 

  • Allgemeine Personenbezeichnungen wie Freund, Feind, Gast, Nachbar, Sünder wurden im Alt- und Mittelhochdeutschen keineswegs geschlechtsspezifisch verwendet, sondern vielmehr generisch (also in einem allgemeingültigen Sinn).
  • Für die besonders kritisierten Personenbezeichnungen auf -er (etwa ArbeitER, SchülER, LehrER) belegt die Forschungsarbeit eine im Althochdeutschen wie auch im Mittelhochdeutschen sexusneutrale Verwendung. Sprich: weder männlich noch weiblich.
  • Ferner gilt laut den Autoren: Es gibt zwar eine Beziehung zwischen Sexus (biologisches Geschlecht) und Genus (grammatikalisches Geschlecht) – doch diese Beziehung besteht nur in einer Richtung: Sexus kann sich im Genus bemerkbar machen, umgekehrt jedoch nicht.

Die Autoren resümieren in ihrer Vorabversion:

Wir konnten zeigen, dass die Generizität maskuliner Nomen, also die Möglichkeit, diese geschlechtsabstrahierend zu interpretieren, entgegen einer weitverbreiteten Ansicht seit althochdeutscher Zeit belegt ist und nicht auf soziale Bedingungen (z.B. die Tatsache, dass Frauen in sog. Männerdomänen Einzug gehalten haben) zurückgeführt werden kann. (...) Damit können die vielfach geäußerten Zweifel am Alter des generischen Maskulinums im Deutschen als widerlegt gelten. Es war schon immer Teil der Grammatik des Deutschen.

Weil sich ihr Aufsatz natürlich an ein Fachpublikum wendet, habe ich unten mal eine recht allgemeinverständliche Pressemitteilung verlinkt – wer ein Abo beim "Spiegel" hat, kann die Debatte auch hier nachlesen. Dort schreibt Gunther Latsch:

Dass die von Fachleuten vor Veröffentlichung überprüften Studienergebnisse in der Gender-Gemeinde Zweifel säen können, bezweifeln die Autoren. Dabei haben auch Kompromisse, etwa die Verwendung von Partizipien wie »Studierende« oder »Mitarbeitende« ihre Tücken. »Die an der Ampel stehenden Radfahrenden belegen dies ebenso wie die Tatsache, dass nicht alle Backenden auch Bäcker sind«, sagt Helmut Weiß.

Hinzu komme, dass es beim Gendern nicht mehr nur um Sprache gehe, vielmehr sei das demonstrative Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit längst zum »funktionalen Pride-Design« geworden, so Ewa Trutkowski. Fernab der sprachlichen Realität weiter Teile der Bevölkerung biete es Unternehmen, Journalistinnen und Politikern eine bequeme Möglichkeit, sich als fortschrittlich, achtsam und moralisch gut zu inszenieren.

Die Reaktionen aus Fachkreisen sollen, wie ich irgendwo gelesen habe, bis auf wenige kritische Rückmeldungen sehr positiv sein. Zusammengefasst: Es gibt keine sprachhistorischen Argumente gegen das generische Maskulinum – und damit auch keine fürs Gendern.

Seit jeher können Frauen auch Freunde, Gäste und Zeugen sein

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Kommentare 6
  1. Michael Praschma
    Michael Praschma · vor 12 Monaten

    Es ist immer gut, wenn untaugliche Argumente sich (auch noch) als sachlich falsch erweisen, weil die Diskussion damit wieder mehr Chancen hat, zum eigentlichen Punkt vorzudringen.
    Wie lange es schon ein generisches Maskulinum gibt, ist aber ungefähr so relevant, wie eine Begründung für Verbrennermotoren damit, dass es sie schon von Anfang an gibt. Also: Entscheidend ist doch das vielfach belegte heutige Sprachempfinden, dass Bezeichnungen im generischen Maskulinum überwiegend auch geschlechtlich männliche Personen in den Sinn kommen lassen. Mit den zu Recht missbilligten Konsequenzenn.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 12 Monaten

      Naja „belegt“ ist da noch recht wenig, auch die psycholinguistischen Assoziationsstudien werden stark in Zweifel gezogen, weil die Ergebnisse nicht reproduzierbar sind und Rahmenbedingungen schlecht rausgerechnet werden können, vor allem geht es in diesen Studien nur um Assoziationen und nicht um die eigentlichen Wortbedeutungen, zur Kritik siehe etwa hier https://m.faz.net/aktu...

    2. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor 12 Monaten

      @Dirk Liesemer Okay, ich habe staunend feststellen müssen, dass tatsächlich viele der über Google führend genannten Studien auf Umfragen im studentischen Umfeld beruhen. Dass hier ein gewisser (aber sicher nicht absoluter; auch hier gibt es Gendergegner) Bias vorliegt, erscheint plausibel. Nur ist mit schwachen Studien noch nicht erwiesen, dass das Gegenteil des Ergebnisses zutrifft. Dazu müsste erst einmal eine valide Studie eben das aufzeigen.

      Im vorliegenden Fall sprechen aber besser fundierte Untersuchungen wie die der Uni Würzburg (https://www.uni-wuerzb...) ebenso für meine These wie vielfache anekdotische Evidenz und – nachdem die Frage mein Berufsfeld tangiert – auch mein Sprachgefühl und meine Erfahrungen in der Texterstellung.

      Vorsorglich dazugesagt: Die breite Diskussion über Gendersprech- und -schreibweise hat sicher schon als solche dazu beigetragen, dass das generische Maskulinum eben immer weniger als "Frauen gleichermaßen mitmeinend" verstanden wird.

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 12 Monaten · bearbeitet vor 12 Monaten

      @Michael Praschma Grundsätzlich halte ich Gefühle in Fragen der Grammatik überbewertet, weil eben subjektiv. Zumal sich offenbar auch gezeigt hat, dass das Gendernsternchen dazu führt, dass man vor allem an Frauen denkt. https://www.uni-kassel...

      Ob sich jemand "mitgemeint" fühlt, spielt keine große Rolle. Der Publizist Fabian Payr schrieb dieser Tage treffend: "Emotionen sind natürlich keine Argumente. Diese Feststellung ist in Zeiten, in denen „gefühlte Wahrheiten“ Hochkonjunktur er­leben, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Aussagen können wahr oder falsch sein, Gefühle sind immer „wahr“. Die Wahrheit von Gefühlen kann nicht infrage gestellt werden. Dadurch sind sie in Debatten über Sprache ein tückisches Instrument („Ich fühle mich nicht angesprochen“/„Ich fühle mich diskriminiert“). Denn bei Sprache geht es um Bedeutungen, die aus Konventionen innerhalb der Sprachgemeinschaft erwachsen und nicht um die Gefühle einzelner Sprachrezipienten. Nach Wittgenstein ist die Bedeutung eines Wortes „sein Gebrauch in der Sprache.“ Es ist die Sprachgemeinschaft, die sprachliche Zeichen durch Gebrauch mit Bedeutung füllt." https://www.faz.net/ak...
      Oder auch hier: https://blendle.com/i/...

    4. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor 12 Monaten

      @Dirk Liesemer Das spricht aber schon gar nicht gegen meine These. Ob man jetzt Wittgenstein bemüht oder das zuvor angeführte Axiom, um was es bei Sprache geht (Bedeutungen, die aus Konverntionen …) – erzeugt wird Sprache und ihre Rezeption immer wesentlich auch aus dem Sprachgefühl von Individuen.

    5. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 12 Monaten

      @Michael Praschma Vielleicht hätte ich mehr aus Payrs Text herauskopieren sollen, dann wären die Unterschiede klar geworden, aber belassen wir es gern dabei.

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