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Ein Aufsatz gegen Gendersternchen und Binnen-I – und die Reaktionen

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerMontag, 22.02.2021

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag nicht auf "Seite Eins" setzen – bis ich gesehen habe, wie umfassend und polemisch er mittlerweile diskutiert wird.

Rudolf Stöber, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg, hat sich in einem soliden Aufsatz mit bestimmten Formen des Genderns befasst. Grundsätzlich wendet er sich jedoch nicht gegen das Gendern. Sein Text wurde Ende Dezember in einem Fachmedium veröffentlicht und hat wütende Reaktionen hervorgerufen – offenbar bis hin zu der übergriffigen Forderung, man müsse die redaktionelle Autonomie der Fachzeitschrift beschneiden. Auf die Reaktionen folgten wiederum zahlreiche Gegenreaktionen.

Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl fasst den Aufsatz und die darauf folgenden Ereignisse im Tagesspiegel zusammen. Über Stöbers Text merkt er an: "Fachlich ist er fraglos fundierter als das meiste, was auch in hochwertigen Zeitungen zum Thema bisher zu lesen war", er sei "gründlich recherchiert und voller wissenswerter Details", ferner "mit dem Gütesiegel kollegialer Prüfung versehen". Und er wirft den Kritikern vor, Stöbers "differenzierte Aussagen grob verfälscht" zu haben.

Zu Recht fordert Ruß-Mohl die Debatte zu nutzen, um sich intensiv mit der Presse-, Meinungs- und Redefreiheit zu befassen. Schon über "Genderstern-Druck" sollte man nicht einfach hinweglächeln. In England wird übrigens mittlerweile im Parlament über ein Gesetz zur Redefreiheit an den Universitäten debattiert.

Empfehlen will ich hier vor allem Stöbers lesenswerten Text. Er kritisiert etwa, dass an den Universitäten permanent gegen die Empfehlungen vom "Rat der deutschen Rechtschreibung" verstoßen werde, obwohl sie diesen eigentlich folgen sollen. Und er fragt, ob Gendersternchen und Binnen-I die Wirkung haben, die sich die Befürworter von ihnen erhoffen: Werden solche Texte beispielsweise besser oder schlechter erinnert? Dazu gebe es bislang nur vereinzelte, widersprüchliche Studien. Sein Aufsatz endet mit folgender zugespitzter Bemerkung: 

Meine Mutmaßung ist, dass Gendern die Mehrzahl der Bevölkerung kaum interessiert; dass das Gendern in Schrift und Sprache außerhalb bestimmter Milieus eher auf Ablehnung stoßen wird; dass zum infamen Vorwurf der „Lügenpresse“ irgendwann noch der satirische Vorwurf des „Stolper-Rundfunks“ kommen wird. Meine Mutmaßung ist, dass durch die penetrante Redundanz von Trivialitäten neben der Sprach- auch eine Informationsverarmung eintreten wird. Und mit Rechtsradikalen, die gegen „Scheiß-Aktivist*_Innen“ pöbeln, möchte ich nicht einmal zeichentheoretisch in einem Boot sitzen.

Während an den Universitäten noch gestritten wird, ist die Partei Die Linke schon weiter. Sie hat vor einigen Monaten beschlossen, bei Texten auf kryptische Genderzeichen zu verzichten. Der Grund: "Im Interesse des flüssigen Lesens und der Maschinenlesbarkeit ist auf eine ‚gegenderte‘ Schreibweise zu verzichten. Es ist also stets von ‚Nutzerinnen und Nutzer‘ zu schreiben." Hintergrund ist, dass man blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen will, auch weiterhin Dokumente im Internet lesen zu können.

Nachtrag Und bevor jemand fragt, warum denn blinde Menschen überhaupt lesen können: Als blind gilt jeder, dessen Restsehen weniger als zwei Prozent beträgt. Das reicht gerade noch, um etwa mithilfe einer Lupenbrille Texte erfassen zu können. Dass Gendersternchen dabei als irritierend empfunden werden, sollte nicht verwundern. Nur wer gar nichts mehr sieht, ist der Definition nach vollblind.



Ein Aufsatz gegen Gendersternchen und Binnen-I – und die Reaktionen

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Kommentare 28
  1. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

    bevor ichs lese: die Linke verzichtet auf Gendersternchen - sehr irritierend, wo man doch daran die Linken erkennt.
    (Ironie aus :))

    1. Dirk Liesemer
    2. Daniela Becker
      Daniela Becker · vor 3 Jahren

      Ja, seltsam. Ist wohl doch nicht so ein glasklares Rechts/Links-Thema ...

    3. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Jahren

      @Daniela Becker na ja...sie mussten es ja erstmal tun, um jetzt darauf zu verzichten... ;)

    4. Daniela Becker
      Daniela Becker · vor 3 Jahren

      @Marcus von Jordan Eben. Die Bereitschaft dazuzulernen, Dinge auszuprobieren, zu Überlegen, wie man Sprache modernisieren kann, damit sie alle Menschen abbildet, ist wenigstens da

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      Es gibt ja auch sehr vernünftige Linke, die nicht jedes Projekt mitmachen ..... 😏

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      Das ist doch mal ein Linker:

      "Ich habe den politischen Meinungsstreit - gerade mit Konservativen und Liberalen - immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten - so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.

      Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über "richtig oder falsch" entscheidet, versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.

      Eine solche Debattenkultur hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern ist Ausdruck eines elitären Wahrheitsanspruchs, wie ihn die Kirche im Mittelalter bediente. Vor allem verstärkt dies aber Spaltungen in der Gesellschaft, wovon rechte Demagogen weltweit profitieren. Dies hilft Kräften wie der AfD, sich als Anwältin der kleinen Leute aufzuspielen, obwohl ihnen die Schweizer Franken zu den Ohren heraus kommen.

      Die Kunst der Politik besteht darin, auch an die Lebensrealität und die Sprache jener Menschen anzuknüpfen, die um die Kontrolle über ihr Leben fürchten. Die politische Linke darf das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit - in einem umfassenden Sinne - nicht vernachlässigen. Dabei sollte man weder Ressentiments schüren noch so sprechen, dass normale Menschen einen Duden brauchen. Aber auch „Maulheldentum" ersetzt keine praktischen Antworten auf konkrete Probleme. Es werden die Parteien gewählt, denen man zutraut, Existenzen in der Corona-Krise zu sichern, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu verhindern, dass Kinder aus ärmeren Stadtteilen ihr Recht auf Bildung einbüßen!"

      https://www.cicero.de/...

    7. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Fabio de Masi spricht wichtige Punkte an. Und ja, es gibt in einigen akademischen Milieus die Tendenz, sich nicht nur ideologisch abzugrenzen, sondern auch durch grammatikalische Zeichen und bestimmte Betonungen. In diesem Sinne werden Symbole wie das Gendersternchen verwendet. Mit ihnen will man eben nicht zuletzt seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe markieren. Das Ganze wird dann noch mit allerlei moralischen Argumenten überhöht, womit man zugleich wiederum – ob man will oder nicht – den Eindruck intellektueller Arroganz erweckt.

    8. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Übrigens argumentiert Wolfgang Thierse in eine ähnliche Richtung wie de Masi:

      "So unvermeidlich diese Konflikte erscheinen mögen, so verwirrend, unübersichtlich und ambivalent sind sie auch. Die Heftigkeit mancher Attacken aufs Hergebrachte, ebenso wie die Heftigkeit der Verteidigung des Hergebrachten, die Radikalität identitärer Forderungen drängen zu der Frage: Wie viel Identitätspolitik stärkt die Pluralität einer Gesellschaft, ab wann schlägt sie in Spaltung um? …"

      Er kritisiert rechte wie linke Identitätspolitik, da wir aber bei den rechten hier alle ohnehin so ziemlich einer Meinung sein dürften, habe ich mal eine andere Stelle herausgegriffen:

      "Linke Identitätspolitik ist in der Gefahr, die notwendigen Durchsetzungs- und Verständigungsprozesse zu verkürzen und zu verengen. Aber es wird nicht ohne die Mühsal von Diskussionen gehen. Diese zu verweigern, das ist genau das, was als Cancel Culture sich zu verbreiten beginnt. Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus der Universität auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten ..."

      https://www.faz.net/ak...

      https://blendle.com/i/...

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      @Dirk Liesemer Ja, Thierse hatte ich auch gelesen. Manchmal denke ich, diese Identitätsdiskussion lenkt auch so schön ab von den harten Aufgaben - wirtschaftliche Stagnation, erstarkende und z.T. wirtschaftlich erfolgreiche autoritäre Staaten (was die Menschenrechtsfrage herausfordert) aber auch die Klimapolitik in ihrer Komplexität. Dort entscheidet sich die Zukunft des Westens viel mehr .....

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