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Mehr Vorsicht bei der Verabreichung von Antidepressiva

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykSamstag, 30.10.2021

Ein Freund von mir geht zum Psychiater. Er ist antriebslos, deprimiert, irgendwie hat er den Eindruck, irgendwas stimme seelisch bei ihm gerade nicht. Der Psychiater hat keine fünf Minuten Zeit für ihn. Aber die wenige Zeit reicht, ihm erst einmal  Antidepressiva zu verabreichen. Mein Freund fühlt sich überrannt. Eigentlich hätte er gerne mehr erklärt bekommen, hatte viele Fragen, wollte Zeit haben, um irgendwann eine Diagnose zu bekommen, die ihm logisch erscheint. Die er zumindest nachvollziehen kann. So wie meinem Freund geht es vielen. Ich schreibe häufiger über "Depressionen" und bin doch immer wieder erstaunt, wie schnell bei der Psychiaterin oder beim Psychiater Antidepressiva verschrieben werden. Zumindest ist da auch ein wenig Misstrauen vonnöten.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur fand ich es wohltuend, dem Psychotherapeuten Thorsten Padberg zuzuhören. Er argumentiert nicht gegen die Verabreichung von Antidepressiva, sondern mahnt zur Vorsicht an. Nicht immer ist es eine Depression, wenn ein Mensch sich bedrückt, leer oder antriebslos fühlt. Manchmal sind es soziale Ursachen, die für niederschmetternde Gefühle oder Leere ausschlaggebend sein können. Leistungsdruck auf der Arbeit, Arbeitslosigkeit, Armut, eine verlorene Liebe – um nur einige Gründe dafür zu nennen.

"Ich glaube, ich hatte den ersten Verdacht immer schon, als ich mit viele Klienten gearbeitet hab, die bei mir saßen und die Antidepressiva genommen haben und ich immer dachte, hm, so einen richtig großen Unterschied siehst du jetzt eigentlich nicht. Und das blieb immer so einen Verdacht bis ich irgendwann über die Cure-Studie gestolpert bin. Das war die erste große, systematische Erfassung der Effekte von Antidepressiva und der hatte herausgefunden, Antidepressiva wirken kaum mehr als Placebo."

Padberg ist ein Warner, und das ist gut so.

"Also es gibt eine Menge Leute, die nehmen sie gerne, und mit Erfolg. Wir wissen inzwischen aus der Forschung, der Unterschied zwischen Placebo und Antidepressiva ist ziemlich klein. Es gibt einige, die profitieren mehr. Es gibt einige, die profitieren weniger. (...) Wir müssen vor allem darüber reden, wann setzen wir diese Medikamente wieder um. Es ist nichts, was man nimmt wie Insulin bei Diabetes, sondern es ist was, was möglicher Weise eine Stütze ist, die ich für eine Weile gut gebrauchen kann. Wir sollten uns aber nicht dauerhaft auf diese Medikamente verlassen, weil sie auch ziemlich viele Nebenwirkungen haben... "

Ute Welty hakt gut nach. Sie stellt ihm auch die Frage, ob es nicht gefährlich sei, vor der Einnahme von Psychopharmaka im Radio zu warnen. Ob das dazu führen könne, dass einer daraufhin seine Pillen absetze und dies vielleicht sogar Gefahren für sein Leben heraufbeschwören könne. Padberg antwortet ohne auszuweichen:

"Das Risiko gibt's und ich sag das auch immer in dem Zusammenhang "Setzen Sie ihre Medikamente nicht einfach ab, schon alleine deswegen, weil das Absetzen zu Entzugserscheinungen führen kann." Diese Entzugserscheinungen selber ähneln jetzt wiederum Depressionen sehr, so dass diejenigen, die das tun oft den Eindruck haben, sobald ich sie absetze, kommen meine Depressionen zurück und das wäre natürlich fatal, wenn man so ein Hin-und-Her, so ein Aufschaukelungsprozess hat. Man sollte es mit Fachleuten zusammen machen. Die Regel ist im Augenblick, diejenigen, die Probleme kriegen beim Absetzen, man sollte sie langsam absetzen. Man sollte sie schrittweise absetzen und zwar immer 5-10 Prozent weniger als die letzte Dosis, die man genommen hat."

Der Psychotherapeut Thorsten Padberg erzählt gut. Ein unterhaltsames Gespräch – und das darf es auch sein! – über Depressionen gibt es selten, das gleichzeitig informativ und anregend ist. Es lohnt sich, reinzuhören und auch hinzuhören.

Mehr Vorsicht bei der Verabreichung von Antidepressiva

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Kommentare 6
  1. Anjulie Sommer
    Anjulie Sommer · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Genau so ist es! Ich finde es auch unverantwortlich dass wirklich jedem auch vielen jungen Leuten und sogar schon Kindern eine Vielzahl an Antidepressiva verschrieben wird, anstatt erstmal die Ursachen zu bearbeiten. Ich wünschte ich hätte nie auf Ärzte und Psychologen gehört. Aber ich dachte Psychotherapie wäre intelligent und aktuell und realistisch auf die Welt bezogen wie sie heute ist, aber nein sie bezieht sich nur auf die Person selbst und ihre angeblichen Schwachpunkte und darauf wieder zu funktionieren- mit Antidepressiva! Ich finde es furchtbar. Ich habe zuletzt Venlafaxin 2 Jahre genommen 75mg bis mir von alleine klar geworden ist, das es nur eine Verdrängung bewirkt und kontraproduktiv ist, weil nicht ich das Problem bin, oder mit mir was nicht stimmt, sondern die Welt heutzutage so schlimm und stressig geworden ist. Insbesondere der psychosoziale Stress auf der Arbeit hat mich sehr mitgenommen und vieles andere negative in der heutigen toxischen Medien und Krisen Welt. Aber für Psychologen existiert nur das Problem beim Patienten und wie man ihn trotz allem wieder zum funktionieren bekommt, schnellstmöglich. Völlig kontraproduktiv. So werden schwierige Phasen die man hat nur noch schlimmer und das Selbstwertgefühl sinkt noch mehr!
    Heutzutage schütze ich mich vor allem Negativem und stürze mich nicht mehr in Situationen die lt Psychologen überwunden werden müssen. So geht es mir viel besser. Nur leider hat sich beim Absetzen von Venlafaxin ein Kribbeln in den Füssen entwickelt, womit ich jetzt noch beschäftigt bin. Bis jetzt konnte kein Arzt was genaues dazu sagen und ein Neurologe hat wirklich nur Unsinn geredet. Also ich höre nie wieder auf Ärzte und Psychologen, weil die nichts Gutes und Effektives mir auf den Weg geben konnten. Im Endeffekt hat erst die Unabhängigkeit zu allem (auch dem Therapie Stress) mich stabil gemacht. Zu sich selbst zu finden und das was negativ ist auszusortieren im Leben, das ist der Richtige Weg! Wer dagegen weiter funktioniert für ein toxisches System und sich aufopfert für alles und jeden und meint er müsse bei dem extremen Leistungsdruck, Körperwahn, Medien Irrsinn usw von heute mithalten können, braucht sich nicht wundern wenn er krank wird.

  2. Charly Kowalczyk
    Charly Kowalczyk · vor mehr als 2 Jahre

    Natürlich kann es falsch und gefährlich sein, Antidepressiva einfach abzusetzen oder von sich aus auszuschleichen. Der Psychotherapeut Thorsten Padberg mahnt nur zur Vorsicht beim Einsetzen von Psychopharmaka und weist daraufhin, dass man sich nur gemeinsam mit Expertinnen und Experten ausschleichen soll, wenn die Medizin nicht wirklich hilft. Also insofern ist er da verantwortungsvoll. Gottseidank.
    Zu diskutieren, ob zu viel und zu leichtfertig und manchmal auch unnötig Antidepressiva verschrieben wird, dieser Frage müssen wir uns stellen. Bei aller Vorsicht!

  3. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

    Die Sache hat noch einen anderen Aspekt: Die Gabe von Antidepressiva kann unter bestimmten Umständen die Selbstmordwahrscheinlichkeit erhöhen. So wahrscheinlich geschehen bei einer Freunding von mir vor Längerem. Siehe etwa
    https://www.gesundheit...
    Das heißt, wenn nicht genügend auf die konkreten Umstände um - und Prozesse in -einer Person eingegangen wird, ist das als Kunstfehler zu betrachten.

    1. Anjulie Sommer
      Anjulie Sommer · vor mehr als ein Jahr

      Das ist schlimm! Ich kenne jemanden der hat schon als Kind Antidepressiva bekommen und ist impotent geworden. Sex unmöglich. Und seine Depressionen wurden nie besser, eher schlimmer.
      Ich habe Leute gesehen die haben mehrere Medikamente gleichzeitig bekommen und bekamen Wassereinlagerungen in den Beinen. Oder andere bekamen zu hohen Blutdruck usw. Trotzdem schwören die Ärzte auf ihre Antidepressiva und verschreiben was das Zeug hält. Ich halte von Ärzten nicht mehr viel nach allem was ich gesehen habe. Auch hatte ich immer den Eindruck, das die Therapien und Medikamente alles noch schlimmer machen bei den Menschen!!

  4. Benedikt Adrian
    Benedikt Adrian · vor mehr als 2 Jahre

    Hm, ein Psychotherapeut kann sich schon zu Psychopharmaka äußern, aber wenn er Tipps zum Absetzen bzw. Ausschleichen gibt, überschreitet er eine Grenze. Das Psychologiestudium und auch die anschließende Therapieausbildung beinhaltet praktisch kaum Inhalte dazu. Das ist Psychopharmakologie, das ist Sache von ÄrztInnen oder PharmakologInnen.

    1. Anjulie Sommer
      Anjulie Sommer · vor mehr als ein Jahr

      Ich denke er hat mehr Erfahrungen mit seinen Patienten gemacht die Medikamente abgesetzt haben, als die die es studiert haben. Praktisches Wissen ist oftmals besser als theoretisches Wissen. Insbesondere wenn vieles mit Antidepressiva nicht bewiesen bzw unklar ist!

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