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Literatur

Mein kleiner Buchladen – frische Bücher: Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Mein kleiner Buchladen – frische Bücher: Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 05.09.2020

Zwei Jahre, bevor mein Vater von zu Hause wegging, sagte er zu meiner Mutter, ich sei sehr hässlich. Der Satz wurde leise gesprochen, in der Wohnung, die sich meine Eltern, frisch verheiratet, im Rione Alto, oben in San Giacomo dei Capri, gekauft hatten. Alles - Neapels Orte, das blaue Licht des eisigen Februars, jene Worte - ist geblieben.

Die ersten Worte des neuen Romans von Elena Ferrante, vor wenigen Tagen bei Suhrkamp erschienen, umreißen bereits die gesamte Geschichte. Das dreizehnjährige Mädchen Giovanna wird innerhalb von zwei Jahren (und ein wenig darüber hinaus) mit Worten konfrontiert, die ihre Kindheit beenden. Mit einem lauten Knall platzt die schützende Blase, die ihre intellektuellen Eltern für sie aufgeblasen hatten. Giovanna schlägt hart auf.

Ich dagegen bin weggeglitten und gleite auch jetzt noch weg, in diese Zeilen hinein, die mir eine Geschichte geben wollen, während sie eigentlich nichts sind, nichts von mir, nichts, was wirklich begonnen oder wirklich einen Abschluss gefunden hätte: nichts als ein Knäuel, von dem niemand weiß, nicht einmal, wer dies hier gerade schreibt, ob es den passenden Faden einer Erzählung enthält oder nur ein verworrener Schmerz ohne Erlösung ist.

Beides, würde ich antworten auf diesen fragenden Satz der Autorin - wir befinden uns noch immer im ersten Abschnitt auf der ersten Seite des 415 Seiten starken Romans. Elena Ferrante legt mit ihrem (2019 auf Italienisch verlegt) Das lügenhafte Leben der Erwachsenen eine Kurzform und gleichermaßen Fortsetzung ihrer Tetralogie Meine geniale Freundin vor. Wieder ist Neapel Schablone und Lebensmittelpunkt ihrer Protagonistinnen, wieder spielt eine Freundschaft zwischen gleichaltrigen Mädchen eine große Rolle (Giovanna und die Schwestern Angela und Ida) und wieder ist Lila dabei. Sie heißt Vittoria, hat ungefähr das Alter der ersten Romane, und tritt uns als geschmähte Tante (Schwester des Vaters) Giovannas entgegen. Das ist Ferrante, das ist der Moment, an dem sie mich gekriegt hat. Ich wollte mich sträuben, haderte mit der eingangs ausgesprochenen Hässlichkeit der Ich-Erzählerin. Auf den ersten fünfzig Seiten beschreibt sie die eigene harmonische Kindheit in den Neunzigerjahren, den liebevollen Vater, die Einheit der sich liebenden Eltern und den spöttisch hingeworfenen, nicht für sie gedachten Satz: Sie kommt nach Vittoria. Wer ist die Tante, von der nicht einmal ein Foto existiert, die als böse und intrigant beschrieben und gebannt wird?

Die Tür ging auf, eine ganz in Hellblau gekleidete, hochgewachsene Frau erschien, die dichte Mähne pechschwarzer Haare im Nacken zusammengebunden, dünn wie eine gesalzene Sardelle und trotzdem mit breiten Schultern und großem Busen. Sie hielt eine brennende Zigarette zwischen den Fingern, hustete, sagte, zwischen Italienisch und Dialekt schwankend...

Das ist sie, muss Lila sein - diesmal im Widerpart zu ihrem Bruder, den sie liebt und hasst - derb und schimpfend beinahe ausschließlich in Verehrung und Leidenschaft für den früh gestorbenen Geliebten Enzo lebend, dessen Tod sie ihrem Bruder anlastet. Stoff für eine antike Tragödie, wäre da nicht das junge Mädchen, unsere bücherlesende Furie, die sich von allen verraten fühlt und zum Teil auch wird, bald fluchen kann wie der Ziehsohn Vittorias mit dem stinkenden Schwanz. Ja, es wird derb nach dieser Seite 55, wir werden hin und her geworfen zwischen Abneigung und Identifikation, wir leiden und lachen mit, schämen uns und bangen - in diesen drei Jahren des Erwachsenwerdens unter Lebenslügen und Liebe, Selbsthass und Selbsterkundung.

Mit den letzten Sätzen des ersten Kapitels möchte ich meine Vorschau beenden, um nichts vorwegzunehmen. Sie werden das Buch sowieso nicht mehr aus der Hand legen können:

"Ich bin Giovanna, Tante Vittoria." "Weiß ich, dass du Giovanna bist, aber wenn du nochmal Tante zu mir sagst, mach lieber auf der Stelle kehrt und hau ab." Ich nickte, war entsetzt. Einige Sekunden starrte ich in ihr ungeschminktes Gesicht, dann schaute ich zu Boden. Vittoria schien mir so unerträglich schön zu sein, dass ich den dringenden Wunsch hatte, sie als hässlich anzusehen.

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