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Literatur

Mein kleiner Buchladen: Biografische Romane – Die Tochter des Jägers

Mein kleiner Buchladen: Biografische Romane – Die Tochter des Jägers

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDienstag, 25.02.2020
Ich watete so nah wie möglich an den Wasserfall und fand mich plötzlich mehr als zur Hälfte von einem kleinen Regenbogen umgeben. Trotz der Windböen und des eisigen Sprühnebels hangelte ich mich noch etwas näher heran, um ihn genauer zu betrachten, denn etwas Schöneres hätte man sich nicht vorstellen können. Er tanzte in dem Sprühen wie ein Schauer Glitzersteine im Sonnenlicht, und gegen den dunklen Schatten auf dem Wasser so hell und klar, dass es mir schien, als könne ich ihn mit den Händen greifen.

Als sie diesen Wasserfall entdeckt, hat Vivienne von Wattenwyl kurz vor dem Ende ihres zweiten Afrikaaufenthaltes just ein Buschfeuer überlebt. Ihr Enthusiasmus und die kindliche Verzauberung sind ungebrochen. "Allein und frei – Rückkehr nach Kenia", heißt das frisch erschienene Buch der Reihe Die kühne Reisende der Erdmann-Edition – eine Erstübersetzung aus dem Englischen. Ich war beeindruckt von ihrem Mut und ihrer Fähigkeit, schalkhaft zu schwärmen. Aber, und das brachte mich schnell auf den 2002 veröffentlichten Roman "Die Tochter des Jägers" von Lukas Hartmann, ich war auch verwirrt. Es kamen viele Fragen auf, die ich beantwortet haben wollte. Warum heißt ihr Reisebuch "Allein und frei", wenn sie stets von Dienern/Trägern/Führern umgeben war? Wieso erst Tiere töten und dann Waffen verfemen? Wovon war sie frei? Vom übermächtigen Geist ihres Vaters?

Doch der Reihe nach. Vivienne von Wattenwyl wird im Sommer 1900 als einziges Kind eines Schweizer Maler und Jägers und einer englischen Offizierstochter in Somerset/England geboren. Ihre Mutter stirbt, als Vivienne neun Jahre alt ist. Sie verbringt ihre Kindheit fortan in Internaten und auf Touren mit ihrem nur 23 Jahre älteren Vater. Diese mit Jagd und Überlebenstraining ausgefüllten Sommermonate in Norwegen sind die Vorstufe zum großen Ereignis – der gemeinsamen Afrika-Expedition nach Kenya und Uganda. Vivienne lässt sich vom Enthusiasmus des Vaters anstecken und verzichtet auf ein Studium. 1923 startet die (privat finanzierte) Safari durch Ostafrika, sie wird das Reisetagebuch führen, Expeditionsfotografin sein und die Häute konservieren, die sie fürs Naturhistorische Museum in Bern sammeln (welches die Transportkosten übernimmt).

Monatelang und über 2000 gelaufene Kilometer hinweg durchstreift das Gespann Afrika, Vivienne notiert und fotografiert, Bernard schießt. 19 Löwen, einen Elefanten, Zebras, Giraffen und Schakale. Sie riskieren ständig ihr Leben, Bernard ertrinkt beinahe, beide wirft die Malaria periodisch um. Im Gorilla-Gebiet am Edwardsee gerät Bernard von Wattenwyl an einen stärkeren Gegner, der 19. Löwe verletzt ihn tödlich. Mit offenen Wunden schleppt sich der Vater zurück ins Lager zur fiebergeschwächten Tochter, sie versorgt seine Wunden und kann nur hilflos zusehen, wie er stirbt. Vivienne hält seinen Tod geheim und führt die Expedition weiter.

Aber sein Geist war nachts manchmal in unserer Nähe. Eines Morgens meinte ich sogar, ihn im Zelt rumoren und brummen zu hören, und dass er seine Tochter nicht in Ruhe ließ, sie zwischendurch quälte und ihr seinen Willen aufzwang, entging keinem von uns. Aber das konnten wir ihr nicht abnehmen. Sie musste, mit unserer Hilfe, zu Ende führen, was er angefangen hatte. Als wir endlich in Kampala waren, erklärten sich viele von uns bereit, Miss Vivienne noch weiter zu folgen und mit ihr das weiße Nashorn aufzuspüren, das ihr so wichtig war wie dem Bwana die Löwen.

Lukas Hartmann legt diese Worte in den Mund Jims, welcher auch die folgende Expedition Viviennes als "Hausboy" begleitet, von ihr freundlich, aber "nicht viel anders" als der Hund behandelt wird, den sie sich unterwegs kauft. Diese kursiv gesetzte Erzählstimme ist für mich der nötige Gegenspieler zu Vivienne von Wattenwyl. Hartmann, ein Virtuose historisch-biografischer Romane (ich empfehle seine imaginierten Lebensgeschichten des Räubers Hannikel und des südseereisenden Zeichners John Webber) versetzt sich in die Dreißigjährige, als sie nach der zweiten Kenia-Expedition, welche ausschließlich dem Filmen und Fotografieren diente, Rückzug auf einer Mittelmeerinsel sucht. Sie will ein Buch schreiben, die Reise auswerten.

Nach dem Reisebericht der Safari arbeitet sie auf der Ile de Port-Cros an Allein und frei – Rückkehr nach Kenia, schwelgt in Landschafts- und Tierbeschreibungen. In ihren Originalaufzeichnungen wünscht sie sich, dass Afrika so bliebe, wie es ist, verdammt Flugzeuge und Vernetzung. Beinahe herzlos wirken ihre eingestreuten Bemerkungen zu den "Boys", die sich wochenlang auf einer Berghütte langweilen und frieren müssen, oder hinter ihr durchs Dickicht schleichen, Kameras und Proviant tragen und in Lebensangst die Löwen verscheuchen, welche Viviennne mit täuschend echtem Gebrüll anlockt. Das liest sich unangenehm, zum Fremdschämen.

Hartmann verknüpft die Lebensgeschichte der in Frankreich als "Vorläuferin der Grünen" gefeierten und im englischen Sprachraum u.a. von Hemingway sehr geschätzten Autorin außer der Erzählstimme Jims mit den Tagebuchaufzeichnungen des späteren Direktors des Naturkundemuseums Bern, Franz Baumann. Während noch die Häute der ersten Afrikareise präpariert werden und ein eigens erbauter Museumsflügel zum Hort der neu geschaffenen Dioramen gestaltet wird, gelangen von der Mittelmeerinsel Gerüchte nach Bern;

...dass Fräulein von Wattenwyl auf der Insel als exzentrische Person gelte, sie wandere oft mit einem Papagei auf der Schulter und in Begleitung eines Esels herum, sich habe sich in Männergeschichten verstrickt und wisse vor allem einem Bediensteten gegenüber nicht die nötige Distanz zu wahren...

Auf 390 Seiten bildet Letzteres die Rahmengeschichte - und nervt mich maßgeblich. Warum braucht eine gesunde junge Frau mit einem winzigen Landhäuschen einen Knecht? Warum schickt sie ihn nicht spätestens, nachdem er sich unsterblich in sie verliebt hat, weg? Ich kann mich wohl schlecht in das Leben einer Betuchten vor einhundert Jahren einfühlen, Lukas Hartmann gelingt der Spagat. Er versetzt sich in den italienisch heißblütigen Josef und seine von ihm bedrängte Herrin zur gleichen Zeit. Dazwischen geschaltet erleben wir noch einmal die Safari mit, lösen uns mit Vivienne von ihrem Vater. Mit Jim, dem "Hausboy", der sich vom seinem Zorn auf die Miss jeden Tag "freilaufen" muss, ist ein Antipode geschaffen, welcher dem kolonialistischen Selbstverständnis beider Wattenwyls einen Spiegel vorhält. In ihren eigenen Aufzeichnungen scheinen Boys, Knechte und selbst die Massai-Häuptlinge nur Objekte zu sein, die es zu benutzen oder ignorieren gilt. Seitenlange Aufmerksamkeit widmet sie hingegen den Problemen und der Entwicklung eines Wespenstammes in ihrem Zelt.

Das Naturkundemuseum in Bern zehrt von den geraubten Schätzen der Wattenwyls und geht spielerisch mit dem Erbe um – vor anderthalb Jahren entwickelte das Museum ein Computerspiel für den Ausstellungsrundgang: Vivienne von Wattenwyl im Fieberwahn.

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