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Literatur

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen — Folge 0

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen — Folge 0

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 13.12.2016

Hallo. Dies ist die kleine, absolut unweihnachtliche Reisereportage in einen ungeschriebenen Text über den Zustand des (autobiographischen) Romans 2016. Kernfragen zu beantworten in vier vergleichsweise kurzen Folgen (Lesedauer jeweils 5 Minuten handgestoppt): Wie wollen wir lesen? Weswegen ungeschrieben? Warum 2016? Und vor allem: weshalb mit Frauen?

Weil ich eigentlich mit dem besten Buch des Jahres beginnen wollte. So begab es sich aber zu dieser Zeit des Jahres, dass ich gerade keine „guten Bücher“-Lesetipps oder Geschenkempfehlungen mehr ertrage. Weswegen ich jetzt am Anfang lieber auf die vielleicht genauso wichtige, in jedem Fall aber massenhaft geläufigere Einrichtung des „schlechten Buches“ hinweisen möchte. Allerdings nicht einfach nur auf irgendein schlechtes Buch, sondern lieber gleich auf die drei schlechtesten Romane des Jahres (sozusagen als kleine Lese-Warnung zum Fest). Alles klar, die drei mit überlegenem Abstand schlechtesten Romane des Jahres sind:

Drittens: Maxim Biller, „Biographie“. Zweitens: Christian Kracht, „Die Toten“. Erstens: Danny Kehlmann, „Du hättest gehen sollen“. Kurze Jurybegründung ohne persönliche Meinung:

Maxim Biller hat es geschafft, mit „Biographie“ einfach eine achthundert Seiten-Version seiner genauso unlesbaren FAS-Kolumne zu schreiben. Es handelt sich um einen durchgeknallt-überausgedachten Anti-Roman voller jüdischer Schriftsteller, Hamburger Millionärssöhne, israelischen Elitesoldaten (oder Mossad-Spionen) und of course pervers hübschen Frauen, die „alle die Schmerzen und Sehnsüchte des 20. Jahrhunderts in sich tragen“ (K-Text). „Kraftanstrengung gelungen, Roman tot“, urteilte der stets ebenso souveräne wie faire Lothar Müller in der SZ über dieses postpotente Muskelspiel eines schlanken Erzählers, den ich für immer für seine beiden im New Yorker übersetzten Stories aus „Liebe heute“ lieben werde (was für ein Coup!). Bei Biller denke ich darüber hinaus nicht viel weiter an einen eleganten, leicht schnöseligen Flaneur, der sich in der Friedrichstraße Budapester Schuhe kauft und mittlerweile zu höflich oder erschöpft ist, um seiner schlechten Laune wirklich auf den Grund zu gehen. Ab und zu läuft man sich in Mitte über den Weg und nickt sich fast zu, denn wir kennen uns nur per Mail aus meiner Zeit bei „Andy Warhol’s Interview Magazin“. Ich mag ihn sogar in seiner unglücklichen Rolle als apodiktischen Bad Cop beim Literarischen Quartett (der sich dann trotzdem gleich wieder mit Christine Westermann vertragen muss). Spätestens, wenn er dann im Zweiten Deutschen Fernsehen selbst was vorstellen soll (oder im FAS-Feuilleton eine Liste seiner Lieblings-Bücher, CDs und DVDs ausfüllen darf), wird klar, dass er komplett keine Ahnung mehr hat. Ein schwächelndes Kulturinteresse, das ich jedem älteren Autor sofort nur allzu bereit bin zu verzeihen.

Ob ich denn sein neues Buch schon gelesen hätte, mailte er zurück, als ich ihn für meine Romanreportage kontaktiert hatte. Ich hing lachend unterm Tisch. Biller verstand schon die Frage nicht, welche Dämonen er sich mit dieser radikalen Abkehr vom autobiographischen Schreiben in „Biographie“ denn austreiben wolle.

Christian Kracht ist auf Platz 2 vielleicht ein ganz ähnlicher Fall. In „Die Toten“ treibt er sein aus jeder Zeit gefallenes Thomas-Mann-Bullshitting nach „Imperium“ weiter auf keine Spitze. Auf der Themen-Achse Japan-Deutschland in den 30ern des letzten Jahrhunderts geht es um einen Schweizer Regisseur mit blödem Namen, der sich in irgendeine Tim-und-Struppi-Abenteuerhandlung begeben muss, deren natürlich „verstörende“ Gewaltszenen höchstens noch Kritiker wie Digger Scheck um den Schlaf bringen. In Begleit-Portraits der Springer-Presse rodelt CK ansonsten inzwischen lieber den leichtesten aller philosophischen Idiotenhügel runter: Technik- und Moderne-Kritik der Marke Heidegger-Light, betrieben um den Preis, einer Pfeife rauchenden, Joppe tragenden Nirgendwo-Nostalgie anheimzufallen. Das alles soll vermutlich schwer ärgerlich oder provokativ rüberkommen, ist aber einfach nur schonungslos egal. Kurz blitzte noch mal was auf, als der sympathische Enigmatiker es wenigstens schaffte, bei der Verleihung des Schweizer Buchpreises grußlos von der Bühne zu verschwinden („Kann man für 30.000 Franken nicht mal danke sagen?“, jammerte der Tagesanzeiger) – super!

Christian Kracht saß außerdem mal von Hamburg nach Berlin im Speisewagen eines tschechischen ECs direkt hinter mir, als sich eine Dame vom Typ Bärbel Höhn zu mir an den Tisch setzte. Bärbel Höhn putzte erst mal den netten Kellner mit einer Service-Beschwerde runter und wandte sich dann irgendwann an den Leser ihr gegenüber, der berühmte gefährliche Gesprächsaufhänger Bücher. Ob ich ihr irgendwas empfehlen könne. Ich räusperte mich und hielt ihr ein Kurzreferat über einen verheißungsvollen deutschen Autor, Christian Kracht, ob sie von dem schon mal gehört hätte. Hatte sie nicht, am Tisch hinter mir wurde es immer stiller. Den müsse sie unbedingt lesen, fuhr ich übermütig fort, bis sich Bärbel Höhn die Werke „Faserland“ und „1979“ in ihren Palmpilot tippte und Kracht auf Toilette ging, um mich finster zu mustern. Bärbel Höhn stieg in Spandau aus, Kracht und ich blieben sitzen. Der Lieblingsautor bekam dann ein Telefonat auf sein Handy, das er im Wesentlichen dazu nutzte, um (bildete ich mir ein) vor mir eine grandiose Show abzuziehen. Er würde gerade in Berlin einfahren, teilte er lautstark seinem Handy mit, und was sich da draußen abspiele, sei schon wieder die Hölle auf Erden: den Menschen hier falle beim Reden dauernd das Gebiss aus der Fresse. Ich lächele immer noch glücklich, wenn ich mich an so viel Gegenwartsbezug erinnere, der aus seinem Werk längst in seltsam belanglosen Manierismen verschwunden ist.

Genug, kommen wir endlich zu Platz 1, dem unangefochtenen Spitzenreiter erzählerischen Schwächelns 2016: Danny Kehlmann. Auf nur 96 Seiten gelingt ihm unter dem allerdings tatsächlich super vielsagendem Titel „Du hättest gehen sollen“ ein wahres Manifest des schriftstellerischen Scheiterns – und trotzdem um jeden Preis weiter-veröffentlichen-Müssens fast schon handkeschen Ausmaßes. Sofort möchte man wild rumspekulieren, warum bei Rowohlt niemand seine schützende Hand über diesen Text-Versuch eines weltberühmten Autors halten konnte oder wollte. Denn das Ganze liest sich wie die erste Version eines bereits in der frühesten Förderphase von sämtlichen Gremien abgelehntes Horrorfilm-Treatments. Schriftsteller mit Ehekrise und Schreibblockade fährt mit seiner Kleinfamilie auf eine einsame Berghütte und verzweifelt bereits an den einfachsten Naturbeschreibungen… oder soll daran irgendwas Shining sein? Erzählerischer Selbstmord: Dieses Buch ist nicht einfach nur normal beschissen, es ist super beschissen. Schlecht, langweilig und egal — auf eine fast schon wieder spektakuläre Art und Weise. Kurz glaubt man es mit tatsächlichem Bad Writing zu tun zu haben, noch kürzer denkt man, auf einen parodistischen Streich des toten Bolaño reinzufallen. Dann hört man lieber auf, sich und den armen Kehlmann mit solchen Überinterpretationen Gewalt anzutun. Der Typ will einfach – wie wir meisten – weiter Autor sein. Und die überwiegend befreundete Kritik folgt ihm in diesem Wunsch nach. Ich erinnere mich an die rührende Szene während einer Bundestags-Wahlparty der ZEIT im Borchardt, wo Danny Kehlmann und sein Buddy Mangold neben uns an der großen Küchentür des Restaurants auf die nächste Fuhre des in spärlichen Häppchens rausgetragenen Flying Buffets lauerten. Das heißt: Kehlmann lauerte nicht. Er stand einfach nur groß, unbeteiligt und verloren an einem Raumteiler rum, während sich sein tapferer Freund Mangold für ihn in die Schlacht stürzte – und strahlend mit zwei ergatterten Portiönchen Wiener Schnitzel zum Weltautor zurückkehrte. Der Betrieb war ein weiteres Mal gerettet worden.

Ende der nullten Folge. Nächste Woche: Rachel Cusk!

PS — A note on the photo:

Zwei Wochen lang lag der Paketschein im Briefkasten und war der Nachbar nie da. Dann endlich, an einem schon herbstlichen Donnerstagabend, wurde mein Klingeln im Vorderhaus erhört und ich erhielt das abgebildete Paket von Hanser Berlin. Das Coverfoto zum nächstjährigen Spitzentitel heißt „Orgasmic Man“ und war angeblich der Herzenswunsch der Autorin, die sonst für die New York Times schreibt. Ihr amerikanisches Verlagshaus konnte ihn nicht erfüllen, die Deutschen sofort. Mein Nachbar verabschiedete mich mit einem wissenden Lächeln.

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Kommentare 2
  1. Daniel Schreiber
    Daniel Schreiber · vor mehr als 7 Jahre

    Ach so, und mit den drei Grandseigneur-Büchern ging es mir sehr ähnlich und ich finde es super gut, dass jemand das mal so aufgeschrieben hat...

  2. Daniel Schreiber
    Daniel Schreiber · vor mehr als 7 Jahre

    Die amerikanische Ausgabe des Yanagihara-Buches hat auch das Peter-Hujar-Foto auf dem Cover, fast alle Übersetzungen des Buches zudem auch, die einzige Ausnahme bisher war England...

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