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Literatur

Ich erinnere mich an ... The Lonely 1

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 27.08.2019

Am traurigsten ist es, wenn sich jemand erinnert - Grundprobleme der zeitgenössischen Literatur. Denn die Erinnerung kann beim Erinnernden wegen des Vorbeiseins des Erinnerten zu großer Einsamkeit und Traurigkeit führen, zwei Gefühlen, die dann in der ausmalenden Beschreibung schnell Larmoyanz und Langeweile in die Hände fallen, den beiden Todfeinden der Literatur, gegen die sie sich dann nur notdürftig mit auch nicht so einfach zu beherrschender Lakonie verteidigen muss (wenn man so richtig hart lakonisch draufkommt, bleibt von dem, was man eigentlich erzählen wollte, schnell mal nur noch so viel übrig wie von einer Raymond Carver-Manuskript-Seite, nachdem sie sein legendär lakonischer Lektor Gordon Lish in der Mangel gehabt hatte - ... "Er ging aus dem Zimmer.").

Dieser erste Absatz enthält für einen kurzen Text, in dem es um ein Erinnerungsbuch an Georges Perec gehen soll, schon verdammt zu viele "e"s. George Perec war ein französischer Autor (ca. 1940 bis ca. 1980), der der von Rayomd Queneau ("Zazie in der Metro" gegründeten Gruppe Oulipo, der "Werkstatt für potentielle Literatur", angehörte. Berühmt wurde Perec mit dem Roman La Disparition ("Anton Voyls Fortgang"), in dem auf 480 Seiten kein einziges "e" vorkommt.

In "Der Obstgarten. Erinnerungen an Georges Perec" erinnert sich nun George Perecs Oulipo-Kollege Harry Mathews auf 45 Seiten (für einen Zehner in der schönen diaphanes-Reihe Oulipo & Co erschienen, in der es von Mathews außerdem auch noch das genauso schmale Brevier "Die Lust an sich" gibt, in dem es um Selbstbefriedigung geht). Mathews' Buch enthält viele "e"s, aber wenig Larmoyanz und Langeweile. Es sind kurze Texte, die alle immer mit "Ich erinnere mich..." beginnen und dann mit einer Georges Perec-Erinnerung (oder Georges Perec-Anekdote) weitergehen:

Ich erinnere mich, Georges Perec, den alten Radrenn-Fan, einmal gefragt zu haben, warum es so viel leichter falle, als Verfolger eines anderen Fahrers das Tempo zu halten. Gab es da eine mechanische Erklärung, eine psychologische, von beiden etwas? Er entgegnete, da gebe es nichts zu erklären - entweder begreife man so was oder man begreife es nicht.

Ansonsten wird in Mathews Erinnerungen irre viel Rotwein getrunken und unübersetzt aus dem Französischen zitiert, was man, wenn man (wie ich) kein Französisch kann, dem Übersetzer Uli Becker ein bisschen übel nimmt, bis man hinten in den Anmerkungen Perecs Sprüche doch noch übersetzt bekommt, zum Beispiel:

Je conchie la langue française - Ich scheiße auf die französische Sprache.

Da ich Georges Perec, den Autor (von der Bestellung seines Romans "Das Leben Gebrauchsanweisung", 99 Geschichten auf 800 Seiten über die Bewohner eines Hochhauses, hielt mich eine gutgeschriebene amazon-2-Sterne-Rezension, die wie die Rache eines normalen Leser-Interesses an zu großem Kunstwillen klang, und ein mir selbst auferlegtes vorübergehendes Bestell-Verbot weiterer Bücher ab), ebensowenig kannte wie Georges Perec, den Menschen, wurde ich beim Durchlesen von Harry Mathews zum Glück auch nicht so traurig.

Das Grundproblem der zeitgenössischen Literatur war dann nur, dass ich beim Lesen an einige Autoren (und Menschen) denken musste, die ich tatsächlich mal persönlich kannte und die jetzt aus verschiedenen Gründen (Tod, aus den Augen verloren, unausgesprochene Entfremdung) einer Vergangenheit angehören, die so traurig sein könnte wie Jeff Tweedys Song "The Lonely 1". Ein seltsamer Song aus einer vergangenen Zeit, als es noch Anrufbeantworter gab. Ein Song, der zwischen den Zeiten wechselt und in dem vielleicht gar nicht so klar ist, wer der Erinnerer und wer der Erinnerte ist.

PS: Jetzt sollte eigentlich noch ein Gedanke darüber kommen, wie sehr wir uns in dieser Kultur Alleinsein antrainieren, um uns erst dann so hochkonzentriert für andere interessieren zu können, dass daraus große Literatur (oder wenigstens hochromantischer lonerism) werden kann. Aber der Gedanke will an diesem Dienstagmorgen nicht mehr ganz fertig werden. Dafür noch der Hinweis, dass auch Jeff Tweedy mittlerweile ein eigenes Buch geschrieben hat, das mit dem schönen Titel Let's Go (So We Can Get Back): Aufnehmen und Abstürzen mit Wilco etc. gerade von Tino Hanekamp übersetzt bei KiWi erschienen ist.

Ich erinnere mich an ... The Lonely 1

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