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Literatur

Ein Nachmittag in der Buchhandlung - Part II

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelFreitag, 24.12.2021

(...)

E wie Engelmeier: Mariana kauft sich spontan (wegen des schönen Titels und Covers) "Trost", vier "Übungen" also known as essays der Merkur-Kritikerin Hanna Engelmeier, unter anderem über David Foster Wallace.

L wie Leky: Leider haben sie „Liebesperlen“ nicht da, ihr viel verrissenes Debüt von 2001, das mir sofort sympathisch ist, weil sich Mariana immer noch an den Wortlaut des härtesten Verdikts von Verena Auffermann erinnert („… sie hat den Erfahrungshorizont einer Pauschalreise mit der TUI“). Nur so wird man Weltmeisterin, ich nehme „Was man von hier aus sehen kann“ mit.

M wie Moshfegh: Leider bin ich mündlich extrem schlecht im Empfehlen von Büchern. Sage selten mehr als: „Super Autorin, musst du unbedingt lesen!“ Obwohl ihr der Titel „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ gefällt, legt Leky das Buch zurück und ich lobe sie dafür: die Übersetzung würde auch den abgefuckten Sound der Amerikanerin nicht hinkriegen und am besten wäre sowieso ihre Story-Collection „Homesick For Another World“.

V wie Volckmer: Ich besorge mir noch schnell den Roman „Der Termin“, in dem es um eine Ich-Erzählerin geht, die einem plastischen Chirurgen einen langen Monolog hält, warum sie einen jüdischen Schwanz dranoperiert bekommen will (wenn ich die Kritiken richtig in Erinnerung habe). Mariana hat davon (also dem Buch) auch schon gehört.

Fertig mit unserem Hometurf, der Belletristik. Kurz Durchatmen. Dann rauf in den zweiten Stock. PSYCHOLOGIE und SOZIOLOGIE, zwei Steckenpferde von Leky. Bis vor kurzem hatte sie eine monatliche Kolumne in PSYCHOLOGIE HEUTE (es ging ganz pragmatisch um nachbarschaftliche Beziehungen), die sie jetzt beendet hat, um sich auf ihren neuen Roman zu konzentrieren. Sie empfiehlt mir von Steven Hayes „The Liberated Mind“ und/oder „Get Out Of Your Mind And Into Your Life”. Ich frage sie, ob sie den US-Macho-Guru Jordan Peterson kennt. Weil wir über die Masken hinweg nur Augenkontakt haben, wirken wir jetzt wie zwei aneinander vorbei fachsimpelnde Ärztinnen im Labor und reden noch ein bißchen über Hartmut Rosas Resonanztheorie. Aus persönlichen Recherchegründen möchte Mariana dann noch in die TIERE-Abteilung. Der neue Roman soll voraussichtlich auch wieder im Dorf spielen und was mit Tieren zu tun haben: Letzte Woche hat sie sich bereits ausgiebig mit einer Försterin unterhalten – und will jetzt kurz checken, ob sie bei Dussmann was über (John Irving stehe ihr bei!) Bären haben. Negativ.

Nach inzwischen anderthalb Stunden Dussmann macht sich Sauerstoffmangel hinter der Maske bemerkbar. „Kann man hier Bücher kaufen?“, frage ich eine Verkäuferin, und meine natürlich nur: Gibt es auch hier oben, im zweiten Stock Kassen, verdammt!? Ja, klar. Wir zahlen beide mit Karte, und ich bin dann doch ein wenig enttäuscht, dass – Großstadt-Anonymität hin, Kulturkaufhaus her – der Star meiner Story noch nicht mal wenigstens jetzt von der kassierenden Buchhändlerin erkannt wird.

Wir könnten jetzt beide gut einen Kaffee vertragen und überlegen, das Shopping-Event im Kellergeschoss im kulturkaufhauseigenen Café ausklingen zu lassen. Eine tropische Regenwald-Wand lockt als Deko, aber das Café heißt Ursprung. Weil das zu sehr nach Waldorf klingt, entscheiden wir uns spontan dagegen und gehen dann lieber zum benachbarten Starbucks in der Friedrichstraße, obwohl das natürlich auch der Feind ist („Feind“ wie bei Bret Easton Ellis im Interview: Who’s the enemy? – Corporate America!).

Mit Cappuccino (Mariana) und Flat White (ich) setzen wir uns dort erstmal in Ruhe hin und lassen die frühabendliche Friedrichstraße draußen an uns vorbeiziehen. Es tut gut, am Platz die Maske absetzen zu können und wieder mit einem ganzen Gesicht reden zu können. Es geht jetzt noch um Kitsch, Kriminalität und Knast-Creative-Writing. Querbeet und der Reihe nach:

Mariana ist der professionellen Meinung, man muss als Autorin, die ihre Leserinnen wirklich erreichen will, auch Kitsch riskieren oder können. Sie sagt den schönen Satz: „Bei Liebesszenen muss es richtig rumpeln“, man dürfe keine Angst haben, da reinzuspringen. Und zitiert aus dem Kopf Kundera: „Die Mannschaft ihrer Seele stürmte an Deck, um sich ihm zu zeigen.“ Wahnsinn. Solche Haltungen kenne ich sonst nur vom Bestseller-Kumpel Ben Wells (großer Leky-Fan, by the way), der einen auch endlos über die Wirkmächtigkeit von Klischees und Cheesyness zutexten kann. Oder natürlich aus dem R’n‘B, wo Leute wie The Weeknd dann aber immerhin A-ha-kompatible Schlagermelodien und Michael-Jackson-Gesänge mit Texten über Drogen- und Sex-Missbrauch konterkarieren.

Um jetzt selbst nicht zu cheesy zu werden, reden wir dann noch über unsere kriminelle Vergangenheit, die uns perspektivisch bei der Persönlichkeitsentwicklung und dem Schreiben geholfen hat. Ich fange damit an, indem ich ihr die Story erzähle, wie ich mal wegen Ladendiebstahls zweier CDs (von LCD Soundsystem und Mike Patton: weiß ich bis heute) ganz unaufgeregt vom Kaufhausdetektiv hochgenommen wurde und ein Jahr Hausverbot hatte. Das ist zum Glück elf Jahre her, denn es war bei Dussmann. Mariana nickt anerkennend. Sie hat aber nur bis vierzehn geklaut, um das Selbst- und Fremdbild als pausbäckiges Mustermädchen zu unterlaufen und weil ihr Vater, Psychologe am kriminologischen Seminar, sie glaubwürdig davor warnte, ab diesem Alter strafmündig zu sein.

Dafür gibt sie jetzt seit vier Jahren Creative Writing-Seminare in Gefängnissen. Vom Verein aufBruch vermittelt bringt sie wöchentlich zwischen Plötzensee und Moabit wechselnd männlichen und weiblichen Hochsicherheits-Insassen bei, sich selbst als Haus zu beschreiben. Bad Writing im noch mal ganz anderen, besten Sinne: Dabei entstehen teilweise wunderbare Gedichte, die im Keller beginnen und auch dort enden.

Unser Nachmittag endet bei einer letzten Zigarette unter den Big-city-Lights der Friedrichstraße. Mariana raucht normalerweise circa fünf R1 am Tag, nimmt jetzt aber auch eine American Spirits. Sie raucht, das ist noch wichtig, nie im Gehen, nur im Stehen. Dann müssen wir beide weiter. Sie zu Rossmann, ich zum Training.


Ein Nachmittag in der Buchhandlung - Part II

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