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Literatur

Das Leben der Maggie Nelson

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelFreitag, 01.03.2019

Maggie Nelson wird 1973 in San Francisco geboren und hat ein Leben wie aus einer Kurzgeschichte von Roberto Bolaño, wenn der sich für queere Genderfragen interessiert hätte (was er bis zu einem gewissen Grad, an dem es zu stressig identitätspolitisch wird, literarisch sicherlich gemacht hätte - ... hier in den USA knallen sie bei dem Thema allerdings gerade ein wenig durch: Topmanager, die ihre 16jährigen Töchter nicht she, he oder it nennen, sondern they, um sie gendermäßig nicht festzulegen). Als Teenager litt sie unter der Scheidung ihrer Eltern und dem frühen Tod ihres Vaters, einem Anwalt aus der Bay Area, der sie als Kind mit ins Büro nahm, ihr Stift und Papier gab und sagte, sie solle alles aufschreiben, was ihr auffällt. So was machen Kinder nur, wenn sie einen leichten Hau haben und Schreiben die Liebe ihres Lebens wird. Mit 12 gewinnt Maggie einen Gedichtwettbewerb der Band The Cure, indem sie die Poetik Robert Smiths geschickt kopiert. Sie hat Panikattacken vor dem Tod und legt sich gern im Dunkeln in die Badewanne, mit Geldmünzen auf ihren Augen. Andere Interessen: Alkohol, Porno und Analsex, abgefuckte Situationen. Mit siebzehn zieht sie zuhause aus und will unbedingt nach New York, ihrem großen Sehnsuchtsort. Kommt aber erstmal nur in Connecticut an einer Uni unter, wo sie das Schreiben von berühmten Pulitzerpreisträgerinnen lernt und lesbische Künstlerinnen bewundert, die den Mumm haben, für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren. Als Maggie Nelson es nach New York City schafft, arbeitet sie dort in Bars und Restaurants, schreibt und veröffentlicht in Fanzines, „nicht weil der New Yorker einen abgelehnt hätte“, sondern weil sie Bock hat, lieber Teil der Avantgarde und Punk-Poesie-Szene zu sein und sich an Leuten wie Patti Smith zu orientieren. Sie nimmt auch hier Kurse an der Uni und veröffentlicht ihre ersten Bücher über Frauen in New York (oder Frauen und New York). Und beginnt sich für Jane Mixer zu interessieren, die tote Schwester ihrer Mutter: Jane war eine lebhafte, sich für Bürgerrechte interessierende junge Studentin, die 1969 in Michigan auf dem Weg in die Spring Break-Ferien von einem Unbekannten erschossen und stranguliert wurde. Maggie wird zur Expertin in diesem Fall, der 2004 wegen neuer DNA-Spuren wieder aufgenommen wird und zur Verurteilung des Täters führt, und sie schreibt darüber ein autobiographisches Buch, „The Red Parts“. 2005 zieht sie nach Los Angeles, weil sie dort an einer kalifornischen Kunstschule, dem CalArts, unterrichten kann, und es werden die drei einsamsten Jahre ihres Lebens, weil sie von ihrem Geliebten verlassen wird und das erste von zwei Büchern schreibt, die sie berühmt machen werden.

Das zweite heißt „The Argonauts“ (2017 als „Die Argonauten“ bei Hanser Berlin erschienen) und handelt von ihrer Ehe und Familiengründung mit dem Transgender-Künstler Harry Dodge (sorry für die bekloppte Verkürzung: Harry wurde als Harriet geboren und hat sich einer langwierigen Geschlechtsumwandlung unterzogen, wurde Künstler und Vater, brachte einen Sohn mit in die Ehe mit Maggie, mit dem sie auch noch ein Kind bekam, das Iggy heißt), ein Lieblingsbuch von Knausgård.

Das erste heißt „Bluets“ (sprich wie „Duets“), hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag und handelt in 240 durchnummerierten Fragmenten (oder „Propositionen“, irgendwas zwischen Lyrik und Aphorismus jedenfalls) von ihrer Liebe zur Farbe Blau und vom Ficken (beziehungsweise der Erinnerung daran nach dem Verlassenwerden). Dieses Buch lese ich gerade für eine Spezial-Bad-Fucking-Folge Kolumne Bad Reading und empfinde es ganz im Sinne der Autorin wie die Droge Pharmakon (Platon, Derrida) – halb nervendes Gift, halb heilsames Wundermittel. Insgesamt ist man sich nicht ganz sicher, ob das mit der poetischen Überhöhung nicht eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist (ich hab es mir extra auf Englisch besorgt, um nicht alles so genau zu verstehen und vor den allzu prätentiösen Passagen zu schützen). Und so begeistert man immer mal wieder von der Idee mit der Durchnummerierung (ich denke an Andreas Bernards "Fortlaufende Beobachtungen" im Zeit-Magazin oder Alejandro Zambras neues Buch "Multiple Choice"), funktioniert das mit dem Schreiben nach Zahlen in der realen Lesepraxis dann meistens doch nicht so gut: Text verschwindet irgendwie in der schnellen Abfolge und dem Zu-Viel von Maggie Nelsons Wissen und Einfällen. Andererseits ist das natürlich genau so gewollt: Der Leser soll wie in Heraklits Fluss nie zweimal in die selbe Badewanne im Dunkeln steigen.

Insgesamt lesen sich die Bluets wie eine (formale) Befreiung aus dem Gefängnis einer Obsession (oder Schreibidee). Eine super Inspiration und zwischendurch muss man auch mal lachen:

179. When I imagine a celibate man – especially one who doesn’t jerk off – I wonder how he relates to his dick: what else he does with it, how he handles it, how he regards it. At first glance, this same question for a woman might appear „tucked away“ (pussy-as-absence, pussy-as-lack: out of sight, out of mind). But I am inclined to think that anyone who thinks or talks this way has simply never felt the pulsing of a pussy in serious need of fucking – a pulsing that communicates nothing less than the suckings and the ejaculations of the heart.

Das Leben der Maggie Nelson

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