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Zeit und Geschichte

Wie verändert Terrorismus Gesellschaften? – Geschichte als Film

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMontag, 20.03.2023

Zu den vielen Korrespondenzen, Parallelen und Wechselspielen zwischen der deutschen und der italienischen Geschichte gehört in den 1970er-Jahren der Terror gegen Spitzen des Staates.

Noch stärker als Westdeutschland der sogenannte Heiße Herbst 1977 wühlte Italien die Entführung und die Ermordung des christdemokratischen Spitzenpolitikers Aldo Moro auf.

Es bleibt ein in Teilen bis heute nicht aufgeklärtes Verbrechen.

Bis zum 12. Juli 2023 ist die sechsteilige Miniserie „Und draußen die Nacht“ von Marco Bellocchio in der arte Mediathek zu sehen. Sie entfaltet diese historische Epoche mit epischer wie mit dramatischer Kraft – leise und verstörend zugleich.

Die Kritik lobt Schauspiel und Kamera, setzt aber politisch andere Akzente.

In der FAZ benennt Ursula Scheer den verbürgten Vorgang so:

Am 16. März 1978 entführte die kommunistische Terrororganisation Aldo Moro, den früheren Ministerpräsidenten und nun Parteivorsitzenden der mit Regierungsmacht im Nachkriegsitalien synonym gewordenen konservativen Democrazia Cristiana. Seine fünf Leibwächter starben im Kugelhagel. 55 quälende Tage später war auch Moro tot: Der Leichnam des Erschossenen wurde im Kofferraum eines Kleinwagens gefunden, mitten in Rom.

Stärker noch als in Westdeutschland hatte die Entführung und Ermordung von Moro weltpolitisches Format und Dimensionen:

Alles fing damit an, dass Moro die von den Christdemokraten geführte Minderheitsregierung durch Kommunisten und Sozialisten im Parlament stützen lassen wollte. Die radikalisierte Linke will das als Verrat an der Revolution verhindern. Unbehagen empfinden aber auch der Papst, die Christdemokraten, alte Faschisten und Mafiosi angesichts einer möglichen Kooperation mit kommunistischen Atheisten. Amerika fürchtet einen Drift gen Moskau.

Das wird nicht als Meisterspiel großer Persönlichkeiten inszeniert, sondern als eine verstörende typische Mischung aus Schwäche und Kalkül, Inkompetenz und Niedertracht.

Im SPIEGEL bemerkt Hannah Pilarczyk:

Zwangsläufig ist an der Ermordung Moros dennoch nichts, das macht gerade Bellocchios Fokus auf die psychische Verfassung seiner Figuren klar. Ein klein wenig Abweichen vom persönlichen Kalkül, ein etwas menschlicherer Blick auf den politischen Gegner hätten womöglich gereicht, um die Geschichte umzuschreiben. Auch deshalb lässt Bellocchio die Ermordung von Aldo Moro wahrscheinlich nicht los. Es hätte so wenig bedurft, um alles zu ändern.

Immer noch erscheinen in Italien jährlich Bücher und Filme über diese Epoche; der Regisseur und Drehbuchautor Marco Bellocchi (Jahrgang 1939) drehte vor dieser Serie 1995 eine Dokumentation über das Verbrechen an Aldo Moro und 2003 einen Spielfilm zum Thema.

Die facettenreiche Miniserie ist nun der Höhepunkt dieser jahrzehntelangen Annäherungen und Auseinandersetzungen.

Im Neuen Deutschland gibt es diese lesenswerte Rezension, deren Fazit die alte Geschichte in die Gegenwart verlängert:

Nachdem Moro mit acht Schüssen im Körper tot aufgefunden wurde, ging nämlich schnell auch das zarte Pflänzchen Eurokommunismus ein, der seinerzeit versuchte, abseits vom sowjetischen Einfluss einen dritten Weg des Ausgleichs zwischen Ost und West, Stalinismus und Kapitalismus zu gehen. Selbst hierzulande kann man den reaktionären Backlash der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls kaum unabhängig vom Tod Aldo Moros betrachten.

All dies nie didaktisch zu verabreichen, sondern dramaturgisch originell und filmisch anspruchsvoll, buchstäblich bewegt von Francesco Di Giacomos herausragender Kameraführung – das ist die eigentliche Sensation einer sehenswerten Fernsehserie, die einen klüger zurücklässt, aber auch deprimierter. Kohl und Kanther, Trump und Orbán, Schill und Höcke: Der Keim ihres rechtspopulistischen Aufstiegs wurde auch am 16. März 1978 gewässert, als Aldo Moros Historischer Kompromiss zerplatzte.

In Italien sahen die von der Rai und Arte koproduzierten Serie Millionen. So bekannt und schon gar nicht so aufregend ist der Stoff hier nicht und die Serie kann deshalb in Deutschland nicht mit einem vergleichbaren Massenpublikum rechnen.

Sehenswert ist der Sechsteiler aber nicht nur für Italieninteressierte, sondern viele der hassvergifteten Fronten sind erschreckend aktuell.

So wird der Film zu einem fernen Spiegel, zuweilen Zerrspiegel.

Wie verändert Terrorismus Gesellschaften? – Geschichte als Film

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Kommentare 2
  1. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor einem Jahr

    Man muss sich drauf einlassen, aber es lohnt sich. Die Miniserie ist jedenfalls ganz schön entschleunigt, was man gar nicht mehr gewohnt ist. Dafür wird die Psychologie sehr plastisch herausgearbeitet.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      Ja, wenn die Leute stark am Stoff interessiert sind, sehen sie auch Filme mit dieser Erzählweise an. Ansonsten ist diese nur was für wenige. Schon in Deutschland wird es wohl nicht so gut klappen wie in Italien.

      Es erklärt auch, warum die global agierenden Filme so schnell und teilweise historisch so ungenau sind.

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