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Zeit und Geschichte

Ein Spiel mit der Historie – die ungewöhnliche Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMontag, 22.06.2020

Es war nicht nur wegen der Pandemie ein ungewöhnlicher Lesewettbewerb, wo erstmals nicht vor Ort gelesen wurde. Vor 40 Jahren war die diesjährige Preisträgerin schon nach Klagenfurt eingeladen. Im Jahre 1980 durfte Helga Schubert nicht aus der DDR nach Österreich ausreisen, weil – so steht es in den Akten – es eine gesamtdeutsche Literatur nicht gebe und der berühmte Bachmann-Wettbewerb deshalb reine Fiktion sei.

Hier nun der Text, in dem deutsche Geschichte in einer Mutter-Tochter-Beziehung schlaglichtartig aufleuchtet:

Ich habe dich bei der Flucht aus Hinterpommern bis zur Erschöpfung in einem dreirädrigen Kinderwagen im Treck bis Greifswald geschoben, und drittens: Ich habe dich nicht vergiftet oder erschossen, als die Russen in Greifswald einmarschierten. Dein Großvater verlangte nämlich von mir, dass ich mich vergifte oder erschieße. Gift und Pistole legte er vor mich auf den Tisch. Greifswald sollte als erste Stadt an die Russen kampflos übergeben werden, was Hitler ja verboten hatte. Du hast neben mir gesessen und warst fünf Jahre alt, gerade wieder auf den Beinen nach der Flucht, nach Typhus und Mittelohrvereiterung. Dann muss ich ja mein Kind vorher töten, habe ich zu ihm gesagt, das kann ich nicht. Da habe ich dich am Leben gelassen. Du warst eben dein ganzes Leben ein Sonntagskind, sagte meine Mutter zu mir, sechs Tage vor ihrem Tod.

Da war die Mutter im 102. Lebensjahr, den Vater hat die Tochter nie kennengelernt, da er beim Angriff auf die Sowjetunion starb:

zerrissen von einer Handgranate, auf einem vereisten Arm der Wolga bei Kalinin.

Fünf Jahre nach dem Tod der Mutter erhielt die Tochter mit 80 Jahren den renommierten Bachmann-Preis.

Auch die Kritik jenseits des Wettbewerbs ist zufrieden.

Cornelia Geißler (Berliner Zeitung):

Helga Schubert erzählt vom Lebenskreislauf aus der Perspektive einer alten Frau. Die erinnert sich an die Kindheit in Krieg und Nachkrieg mit einer Mutter, die keine Liebe für sie hatte. Der Text nimmt christliche, musikalische und Naturmotive auf, tritt in Dialog mit Ingeborg Bachmann und mit den Dichtern der Romantik, bleibt aber immer nah an der Gesellschaft, an den Entbehrungen einer Generation. Es ist keine Abrechnung mit der Mutter, sondern ein Ringen um Verstehen, eine Reise im Kopf. Die Wärme der Erzählstimme gilt aber ihrem kranken Mann im Nachbarzimmer.

Hier muss man ergänzen, dem sterbenden Mann, denn es kommt nur noch eine Palliativärztin.

David Hugendick (Die Zeit):

Schuberts Text nähert sich dieser Mutter, einer vom Leben verhärteten, wenig gütigen Frau mit einer beeindruckenden sprachlichen Klarheit an, während zugleich ein historisches Tableau dezent aufscheint, die Flucht aus Pommern, der Weltkriegstod des Vaters. Ihr Text ist ein stiller Akt literarischer Güte und des Verständnisses gegenüber einer Frau, die ihre Tochter nie gewollt hat, diese aber bis zum Tod bat, über sie zu schreiben.

Gerrits Bartels (Tagesspiegel):

Diese verschlungene Ost-West-Geschichte dürfte in Zukunft sicher zu einer der erzählenswertesten, spektakulärsten des Bachmann-Wettbewerbs zählen.

Und hier noch die Preisträgerin, die lange als Psychologin arbeitete, im Interview:

Zum Schreiben, kann ich sagen, ist das nur Material. In der psychologischen Arbeit habe ich gelernt, dass ich immer dem folgen muss, was Patienten mir erzählen. Und im Schreiben ist es genau umgekehrt. Da folge ich nicht den Schicksalen, sondern ich setze den letzten Satz, ich bin ja die Macht.

Ein Spiel mit der Historie – die ungewöhnliche Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert

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