Das habe ich so noch nicht gelesen: Kerry Howley vom New York Magazine hat sehr, sehr viel Zeit in eine Recherche gesteckt, um drei Menschen zu porträtieren, die am 6. Januar 2021 für Donald Trump das US-Kapitol stürmten, um die legale Auszählung der Stimmen zu verhindern (Artikel ist vom Dezember). Zwei saßen und sitzen im Gefängnis, eine starb auf den Stufen des Kapitols (woran genau? Darüber streiten sich die zwei politischen Lager. Über jeden anderen Krümel der Realität). Howley schreibt das ohne Wertung und buchstäblich filmreif auf, kommt den Protagonisten und ihren Angehörigen sehr nah. Sie schildert, welchen schicksalhafte Wendung die Schnapsidee, "für Trump" nach Washington D.C. zu fahren, dem Leben der drei gab (dem Mann, in dessen Namen sie in die Katastrophe schlitterten, sind sie, so ist anzunehmen, völlig egal). Es hilft wohl, dass Howley auch Drehbücher schreibt.

Eine Schönheitssalon-Besitzerin, eine Süchtige im Kampf gegen ihre Krankheit und ein frustrierter Ölarbeiter: Es ist die genaue Schilderung jenes prekär-kleinbürgerlichem US-Milieus, das immer weiter in Paranoia versinkt und von dem Teile offensichtlich extrem anfällig sind für Qanon und andere wilde Pädophilie-Politik-Theorien (das Motiv des vermeintlichen "Kinderschutzes" in diesen Reihen ist hier gut beleuchtet worden). 

Der Text wirft nebenbei einmal mehr ein Licht auf die Zustände im US-amerikanischen Strafvollzug, die in diesem Fall einmal weiße Verlierertypen treffen. Das US-System hat auch mit den Trump-Fans keinerlei Mitleid.

Schade nur, dass Howleys Quellen etwas intransparent bleiben. Der cineastische Stil lässt zum Beispiel unklar, ob die Textnachrichten, die sie praktisch in den Kopf der Personen schauen lassen, aus Gerichtsverfahren stammen oder ob sie sie sich selbst besorgt hat. Und ob sie mit den beiden lebenden Protagonisten gesprochen hat, ist mir auch nicht ganz klar.

Ich empfehle zur Ergänzung auch diese Reportage, die ich kurz nach dem Kapitol-Sturm gepiqd habe.