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Russen im Exil

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerDienstag, 28.02.2023

"Ende April 2022 irgendwo im Osten Berlins, jenseits des S-Bahn Rings. Das Konzert ist mehr als ausverkauft. Ich stehe in der Schlange und sehe den Eingang nicht. Alle sprechen russisch. Wir sind umringt von Plattenbauten. Ich fühle mich wie in Moskau – ein seltsames Gefühl."

Im Feature "Ausgesperrt – das 'andere Russland' im Exil" von Anastasia Gorokhova und Erik Albrecht kommen mal andere russische Stimmen zu Wort, Stimmen, die heute oft untergehen angesichts der allseits so präsenten lauten russischen Propaganda.

"Drinnen ist es so eng, dass das Atmen schwerfällt. Um mich herum drängen sich Menschen, die Putins Regime den Rücken gekehrt haben, jung, offen, ein wenig Hipster. Es ist das andere Russland, das Russland, das ich früher als Journalist im Moskau der Nuller-Jahre kennen gelernt habe. Im Saal branden immer wieder Sprechchöre auf. 'Slava Ukaini!' – Ruhm der Ukraine – wechselt mit 'Lang lebe Belarus!' Und vor allem wird Putin alles erdenklich Schlechte gewünscht. Der russische Rapper Noise MC und die Sängerin Monetochka schaffen es, dass auch in Kriegszeiten Menschen aus Russland, der Ukraine und Belarus gemeinsam auf ihr Konzert gehen. 40€ kosten die Karten, der gesamte Erlös geht an Geflüchtete."

Wir hören hier kritische Journalisten, Gegner Putins, die der Angriffskrieg auf die Ukraine fassungslos machte, Aktivist*innen, die schließlich ihre Heimat Russland verlassen mussten, da es für sie dort zu gefährlich wurde.

"Ganz Russland ein Gefängnis? Monetochka hat den Song 2016 geschrieben - lange bevor der Kreml Menschen mit bis zu 15 Jahren Haft bedrohte, nur, weil sie Putins Krieg gegen die Ukraine 'Krieg' nennen. Der Angriff auf die Ukraine, die Auslöschung jeder Opposition – war all das damals schon absehbar? – Seitdem mein Land Tag für Tag die Ukraine zerstört, treiben viele hier im Saal diese Fragen um. Haben wir wirklich alles getan, um die Katastrophe zu verhindern? Wann genau haben wir versagt? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen? Die Suche nach Antworten – sie führt uns nicht mehr nach Moskau. Sie führt uns nach Vilnius, nach Warschau und nach Berlin."

Die Autoren, die selbst enge Verbindungen zu Russland hatten, sprechen mit russischen Exilanten in Vilnius, Warschau und Berlin. Sie werfen dabei auch einen Blick zurück. Der Krieg gegen die Ukraine führte einmal mehr zu einer Auswanderungswelle aus Russland, wie sie schon so oft in der Geschichte vorkam.

"Es ist in Russland traurige Tradition, Andersdenkende aus dem Land zu vertreiben. 'Kein Mensch – kein Problem' – soll der Sowjektdiktator Josef Stalin einmal gesagt haben. Seit dem 24. Februar jagt Russland erneut Intellektuelle, Kritiker*innen und Andersdenkende ins Exil. Vier Millionen Menschen sollen Russland seit Beginn des Krieges verlassen haben. (...)
Schon nach der Oktoberrevolution vor über 100 Jahren flohen die Gegner der Bolschewiken in den Westen."

Als Beispiel wird hier auch die Geschichte Vladimir Nabokovs aufgeführt, den sein Exilroman Lolita weltberühmt gemacht hatte. Er hatte immer nach Russland zurückkehren wollen, starb aber schließlich im Exil. Der Traum eines anderen Russlands, in das die Geflüchteten irgendwann zurückkehren können, bleibt auch heute zu spüren. Die hier porträtierten Russen hadern zudem mit ihrer Situation im Ausland. Sie fühlen eine kollektive Schuld, werfen sich vor, nicht genug getan zu haben, haben mit Depressionen zu kämpfen.

"Aber all die ukrainischen Flaggen erinnern dich daran, dass es Leute gibt, die deutlich größere Probleme haben als du."

Viele der Exilrussen hatten gute Gründe, das Land zu verlassen. Und dennoch bleiben Selbstvorwürfe und Zweifel nicht aus.

"Es fängt ganz irrational damit an, dass ich mich mitschuldig fühle, weil ich in Russland gearbeitet und Steuern bezahlt habe. Ich habe nicht genug getan, um früher auszuwandern. Ich war zu lange in politischer Apathie, wollte in Ruhe gelassen werden und habe Politik als etwas Dreckiges empfunden, von dem man sich besser fernhält. (...) Am 24. Februar habe ich geheult. Ich war mir sicher, dass sich Moskau erhebt, dass einfach alle Menschen auf die Straße gehen und dort bleiben, aber als ich gesehen habe, dass wir nur ein paar verstreute Gestalten  waren, dass kaum jemand kam – damals habe ich das Gefühl bekommen, dass wir das alles wahrscheinlich verdient haben."

Die Gefahren, denen sich Putinkritiker und Regimegegner in Russland aussetzten, und die damit verbunde permanente Anspannung schildert auch Podcaster Max:

"In Russland stehst du die ganze Zeit unter Strom, bist die ganze Zeit im Vertreidigungsmodus. Erst kommt jemand und erzählt dir, wie toll Putin ist, dann schreit dich eine Frau im Krankenhaus an, und immer und überall kann dich die Polizei festnehmen. Ich habe wie ein Karatekämpfer gelebt, jederzeit bereit, Schläge abzuwehren."

Das Gefühl lässt die Exilanten auch fernab der Heimat nicht ganz los. Ein vermeintlicher Kollege in Vilnius entpuppte sich als russischer Spitzel. Es gibt immer wieder – auch im privaten Umfeld – Verdächtigungen und Warnungen unter vorgehaltener Hand, nicht über die journalistische Arbeit zu sprechen. Auch im Exil sorgt Putins langer Arm also dafür, kritische Journalisten einzuschüchtern oder zum Schweigen zu bringen. Es ist ein Regime der Angst, das über die Grenzen hinaus wirkt. Und immer wieder kommt eine Frage nach der Schuld für diese Zustände auf. Nicht nur die Flucht, sondern auch generell die Tatsache, Russe/in zu sein, geht bei vielen Exilanten mit Schuldgefühlen einher, das macht das Autorenteam im Feature deutlich.

"Und da kommen wir wieder zurück zur Schuldfrage: Auf der einen Seite will man alles tun, was möglich ist, auf der anderen Seite waren wir nicht bereit, unsere eigene Sicherheit dafür zu opfern. Auf diese Frage suchen wir jeden Tag eine Antwort. Auch darauf, was wir von hier aus tun können."

Es ist eine wichtige Botschaft, ein Feature, das den im eigenen Land mundtot gemachten russischen Kriegsgegnern und Kämpfern für ein anderes Russland eine Stimme gibt.

Russen im Exil

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