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Literatur

Mein kleiner Buchladen – Debüts: Die Sache mit Bruno

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDienstag, 31.03.2020

Im September ist Tante Fatima gestorben. Sie war ja schon lange asthmakrank, aber im September ist sie in unserer Wohnung einfach erstickt. Sie beschossen uns mit Granaten, Woche um Woche, und wenn sie einmal Pause machten, war ein fanatischer Heckenschütze zur Stelle. Er tötete unseren Nachbarn, der nicht einmal das Haus verlassen hatte. Er hatte nur die Tür ein wenig aufgemacht, um hinauszuspähen, und da traf ihn die Kugel in die Stirn, und er stürzte zu Boden.

Vor wenigen Tagen versuchte ich, den verlinkten Podcast bis zum Ende anzuhören. Ich bin nicht gut im Hörbuch oder Podcasts hören. Bei Hörbüchern vermisse ich das Sehen, das Texterfassen mit den Augen – ja, so blöd es klingt, die Schönheit der Buchstabenkonstellationen. Bei Podcasts bin ich altmodisch, sobald ich das erste ähm, ich sag mal so oder Lachen höre, bin ich raus. Die Minuten, die ich hier reingehört habe, waren ein spannender Austausch zur Literatur vom Balkan. Einiges kannte ich, anderes werde ich mir besorgen, wie die neue Biografie Ivo Andrićs oder sein Nacht-Tagebuch, welches im Herbst erscheinen soll.

Stärker drifteten meine Gedanken jedoch ab, als ich an ein Taschenbuch aus meinem Laden denken musste. Stahlblauer Himmel mit angeschnittener Skyline über einem Durchfahrtsverbotsschild. Darauf der Name Aleksandar Hemon. "Die Sache mit Bruno" heißt dieser Erzählungsband und ist das literarische Debüt des 1964 in Bosnien geborenen Autors.

Aber zu Tante Fatima: Ihr Asthma-Mittel ging zur Neige, und sie konnte nicht aus dem Haus. Die Fenster waren schon lange zertrümmert. Sie fror die ganze Zeit, und die kalte Luft, welche sie einatmete, war von herumfliegendem Staub und kleinen Schuttpartikeln durchsetzt. So erstickte sie einfach mit diesem saugenden Geräusch beim Luftholen, doch sie bekam keine Luft mehr. Wir konnten sie nicht beerdigen, ja, nicht einmal aus dem Haus bringen, denn die Granatwerfer und Heckenschützen machten einfach weiter, als wenn es kein Morgen gäbe.

Das erste Mal von diesem Autor gehört hatte ich vor einigen Monaten, als ich die Schauspielerin und Sängerin Vernesa Berbo für ein aktuelles Buchprojekt interviewte. Mein Blick war auf das dudelnde Küchenradio gefallen und Vernesa entschuldigte sich, sie vergesse immer, es abzustellen, das sei so ein Automatismus, übriggeblieben von der Belagerung Sarajevos – es sei unerträglich still gewesen in den Beschusspausen. Wenig später sprachen wir über das Gefühl, als Flüchtling nirgendwo anzukommen. Sich nicht willkommen zu fühlen. Vernesa sagte: "Sie haben alles getan, um dich irgendwie loszuwerden. Meiner Meinung nach ist damals ein Riesenfehler gemacht worden, als man gut integrierbare Leute, gebildete Leute, vor allem Bosnier, nicht haben wollte. Australien hat sie aufgenommen, oder Amerika – und sie profitieren heute noch davon. Künstler wie der Schriftsteller Aleksandar Hemon und andere. Loswerden um jeden Preis ist problematisch."

Das zweite Mal las ich bei Johan Harstad, wie er in einem Interview von Aleskandar Hemon schwärmte. 283 Seiten umfasst dieses Debüt, ins Deutsche übertragen von Hans Hermann. Die erste Geschichte "Inseln" kommt in aphorismengleichen Abschnitten daher, kleinen Erinnerungs-Glaskugeln aus der Kindheit des Autors. Die sommerliche Fahrt an die Adria, auf eine Insel, die von Mungos bevölkert und deren Idylle von den sibirischen Lager-Geschichten des Onkels konterkariert wird. Da ist es schon, was für mich den Reiz jeder Erzählung ausmacht, neben behaglichen, witzigen Anekdoten auf höchstem sprachlichen Niveau ballert uns der Autor das Lächeln aus dem Gesicht, lässt Körper explodieren und Blut spritzen. Neben skurrilen Biografien wie der eines Alphonse Kauders behandelt Hemon Familiensagas, den Spionagering um Richard Sorge und eine Emigrantenstory.

Nach den grotesken Trauerfeierlichkeiten legten wir Tante Fatima in mein Zimmer. Bald wurde es ihr Zimmer. Keiner von uns ging da hinein. Wenn etwas aus ihrem Zimmer gebraucht wurde - ein Schal, eine Decke, ein Foto -, sagte jemand: "Es ist in Fatimas Zimmer", und das hieß, es ist unrettbar verloren. Wir gaben die Hoffnung nicht auf, sie beerdigen zu können, aber eine Woche verging, und sie war immer noch da - meine übel riechende Tante.

Die zitierte Erzählung "Eine Münze" ist in der Taschenbuchausgabe zwanzig Seiten lang und enthält die Briefe, welcher der Ich-Erzähler an eine Freundin im belagerten Sarajevo schreibt – sie berichtet vom Leben im Ausnahmezustand. Und, wie es mit der Leiche von Tante Fatima weiterging...

Mein kleiner Buchladen – Debüts: Die Sache mit Bruno

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