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Wenn Sanktionen in Sippenhaft umzukippen drohen

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerMittwoch, 09.03.2022

Im Großen und Ganzen finde ich die Sanktionspolitik sehr richtig, aber die einzelnen Sanktionen sollten zielgenau und auf die Elite rund um Putin gemünzt sein sowie dessen Krieg möglichst erschweren. Manches scheint doch eher symbolischer Natur zu sein, was man natürlich auch nicht unterschätzen sollte.

Doch längst werden auch Künstler boykottiert, die sich noch nie groß zur Politik geäußert haben (also eben nicht Valery Gergiev). Oder behinderte Sportler, die nun nicht mehr bei der Olympiade mitmachen dürfen (dass es Sportler gibt, die Propaganda betreiben, steht auf einem anderen Blatt). Sogar die Internationale Katzenförderation führt einen Boykott durch. Und die Liste ist hier noch keineswegs zu Ende. Was nützen solche Sanktionen, wenn alle möglichen Kontakte abgebrochen werden? Sind sie damit überhaupt produktiv?

Alexander Kissler warnte in der NZZ schon kurz nach Kriegsbeginn vor einer Sippenhaft:

Die Frage, was den Westen ausmacht, stellt sich besonders in Kriegszeiten. Man kann darüber streiten, auf welchen Wegen die Ukraine am besten unterstützt werden kann, ohne einen globalen Flächenbrand auszulösen. Es gilt, Putin in die Speichen zu greifen. Ebenso unstrittig hat jeder Mensch das Recht, nach seinen tatsächlichen Handlungen und konkreten Äusserungen beurteilt zu werden und nicht nach seiner Herkunft. Kontaktschuld, Generalverdacht und Sippenhaftung sind mit den westlichen Werten nicht vereinbar.

Tatsächlich finden auch hierzulande längst Übergriffe auf Russen statt, etwa auf russische Lkw-Fahrer oder gegen russische Geschäfte. Mittlerweile gibt es eine Art Wettrennen. Jeder will Verträge mit Russland aussetzen, was oft kaum noch begründet wird. So schreibt selbst die Deutsche Forschungsgemeinschaft lapidar auf ihrer Internetseite:

Die Solidarität gilt dabei sowohl den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Ukraine, die um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten und ihre Heimat verlassen müssen, als auch unseren langjährigen Kooperationspartnern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an russischen Forschungseinrichtungen, die über das Handeln der russischen Regierung selbst entsetzt sind.

Der Absatz wirft mehr Fragen auf, als der DFG vermutlich lieb ist. Was genau macht die Aussetzung von deutsch-russischen Kooperationsprojekten zu einem Zeichen der Solidarität? Immerhin haben sich fast 7000 russische Wissenschaftler öffentlich gegen Putins Krieg positioniert, was Haftstrafen nach sich ziehen kann. Oder weiß die DFG von russischen Forschern, die über den Krieg jubeln? Auch so etwas hat es schon in der Geschichte gegeben. Man denke an das "Manifest der 93" von 1914. Und das wäre dann tatsächlich ein Grund, die gemeinsamen Projekte nicht nur ruhen zu lassen, sondern sie ganz zu beenden.

Gepiqd habe ich einen kostenpflichtigen Text aus der F.A.Z. von Jürgen Kaube, der sich mit dieser Entscheidung der DFG auseinandersetzt. Kaube schreibt:

Es liegt auf der Hand, dass Wladimir Putin nicht durch die Aufkündigung von gemeinsamer Schwerionenforschung oder Studien zu Wanderungsbewegungen von Tieren zu beeindrucken ist.

Und er resümiert:

Trotz Putins verbrecherischen Angriffs Russe oder Russin zu bleiben, kann niemandem vorgeworfen werden. So gut es darum ist, wenn die DFG Ukrainern wie Russen, die ihre Länder verlassen müssen, Unterstützung anbietet, so zweideutig bleibt eine Sanktion, die keine Handlungen sanktioniert, sondern nur eine Zugehörigkeit.

Ich habe bei manchen Entscheidungen den Eindruck, dass es weniger um Putin geht. Vielmehr will man dem hiesigen Publikum beweisen, dass man zu den Guten gehört. Und vermutlich fürchtet man einen entrüsteten Twittersturm, wenn man sich denn zu einer differenzierteren Position entschlösse. Präziser und klüger als die DFG finde ich eine Entscheidung der Humboldt-Stiftung, hier nachzulesen. Sie teilt mit: 

Der institutionelle und materielle Austausch mit Russland ist gestoppt, die Kommunikation wird jedoch fortgesetzt. Durch den Krieg oder aus politischen Gründen bedrohten Forschenden wird unbürokratische Unterstützung und Zuflucht geboten.

Kaubes lesenswerter, kurzer Text ist für ein paar Tage auch auf Blendle abrufbar.

Wenn Sanktionen in Sippenhaft umzukippen drohen
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Kommentare 3
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 2 Jahren

    Ja, im Krieg geht wohl erst die Wahrheit und dann die Differenziertheit verloren. Oder beides zugleich….

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

    hm. Der Titel stört mich ziemlich - weil Sippenhaft etwa im Nazi-Deutschland oder anderen Diktaturen tatsächlich als Unterdrückungsinstrument genutzt wurde. Hier die etwas ausufernde Boykott-Welle so tu bezeichnen, ist falsch.

    Mich hat auch Unbehagen ergriffen, als zb Musiker und Forscher quasi gebannt wurden.

    Allerdings kann (!) Zugehörigkeit eine Handlung sein - wenn nämlich keine Distanzierung erfolgt.
    Wenn diese denn möglich ist. Was etwa für die Forscher im Russland (auch wenn sie ja wie der Text erwähnt erfolgt) doch schwer machbar ist. Aber für zb Künstler hier in Deutschland? Ich denke doch.

    und klar kann ein Russe hier bei uns auch die Freiheit genießen, nicht unserer Meinung zu sein und nicht 'gezwungen' werden, sich von seinem Land bzw. dessen Präsidenten loszusagen.
    Aber genauso frei können Einrichtungen Firmen etc entscheiden, Jemanden zu entlassen. Ich möchte betonen dass ich dass - sofern sich derjenige nicht politisch pro-Putin und -Krieg geäußert oder engagiert hat - nicht richtig finde. Sogar wenn man zu recht argumentieren kann dass sich in bestimmten Situationen nicht politisch zu äußern, dies sehr wohl politisch ist.

    Kooperation abzubrechen ist somit verständlich - Kontakte nicht (vorallem wenn man mit denjenigen gut zusammen gearbeitet hat! ).

    und auch mit hm... der feindlichen Seite sollte man reden, wie auch im kalten Krieg. Allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen. und nicht so tun, als könnte man jetzt zb mit russischen Gruppen oder gar Putin genauso reden wie zb vor 15 Jahren.

    Wir erwarten von einem Staat, der noch vor einigen Jahren auf den Weg in die Demokratie war und der sogar die Aussicht hatte, Nato-Mitglied zu werden und der Teil der neuen Weltordnung nach 1989 war, einfach mehr als von einem Staatenblock wie es die UdSSR war.

    und ich befürchte (hoffe?), dass wir auch gar nicht mehr zurück wollen in Zeiten, wo wir zähneknirschend Staaten so ein Verhalten haben durchgehen lassen müssen.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 2 Jahren

      Die Kritik an der Überschrift ist nicht ganz falsch, wenngleich Sippenhaft ein ziemlich alter Begriff ist, trotzdem habe ich den Titel jetzt noch mal ein klein wenig geändert.

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