Niemals tut man so vollständig und so gut das Böse, als wenn man es mit guten Gewissen tut.

An diesen Ausspruch von Blaise Pascal (1623-1662) muss ich denken, wenn ich die täglichen Anschuldigungen und Verdächtigungen, die Vorverurteilungen und die Hetze hören oder lesen muss. Nicht immer, so glaube ich, aber oft geschieht es sogar mit gutem Gewissen.

Jens Stoltenberg, der die hier als unpiq ausgewählte Rede hielt und die Fragen danach beantwortete, war 2011 der besonnene norwegische Ministerpräsident, der angesichts der schrecklichen Mördereien des Rechtsradikalen Breivik die Emotionen nicht hochkochen ließ und das Land in Trauer zusammenführte.

Nun beteiligt er sich an dieser Drohkulisse, die Europa weiter spalten wird. Ja, Russland ist ein Staat der autoritärer und autoritärer wird.

Aber man kann nicht Rechtsstaatlichkeit von Russland oder anderen einfordern, wenn man sie selber immer wieder umgeht.

Möglicherweise sind russische offizielle Stellen für die Mordanschläge in Salisbury verantwortlich. Aber die Ausweisungen erfolgen ohne Beweise und mit Mutmaßungen.

Warum kann es sich nicht um Machtkämpfe zwischen russischen Oligarchen handeln? Verbrecher, die das Volkseigentum der Sowjetunion raubten und Milliarden in den Westen verschoben. Vielleicht geriet Skripal zwischen die Fronten.

Glücklicherweise gibt es immer noch besonnene Stimmen.

Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss.

So Ex-EU-Kommissar Günter Verheugen über die Ausweisung von mehr als 100 russischen Diplomaten. Leider sind solche Aussagen rar gesät und bei den westlichen Spitzenpolitikern nicht vorhanden. Anspannung statt Entspannung, Moralismus statt Realpolitik, Herrschaft der Politik über das Recht und die Gerichte (rule by law anstelle von rule of law) statt Rechtsstaatlichkeit – es geht dabei nicht nur um Russland, sondern um einen gefährlichen Umbruch, der uns zur Ausweitung der Kriegszonen führen wird.