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Interview mit einem Demonstranten in Iran

Lars Hauch
Researcher. Schwerpunkte: Mittlerer Osten, insbesondere Syrien.
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Lars HauchFreitag, 30.09.2022

Gestern Abend habe ich mich mit einem Kontakt in Teheran über den Stand der Proteste austauschen können. Da wegen des eingeschränkten Internetzugangs derzeit recht wenig Informationen geteilt werden können, dachte ich mir, einige der LeserInnen interessieren sich für so eine lokale Perspektive. Das Gespräch habe ich übersetzt und der Lesbarkeit halber gekürzt.

Wie sieht es derzeit mit der Internetverbindung bei Euch aus?

Ich konnte gerade erst online gehen. Wir brauchen dringend technische Unterstützung, durch Starlink oder was auch immer. Ansonsten können wir uns kaum organisieren. Es war ein ganz schöner Krampf, online zu kommen, und am besten behältst Du für Dich, wie ich das gemacht habe. Wenn solche Informationen veröffentlicht werden, reagiert das Regime bloß darauf und sperrt die Zugänge.

Gibt es dennoch Tendenzen innerhalb der Protestbewegung, sich zu organisieren?

Das geschieht teilweise bereits. Ein Freund hat mir eben erzählt, dass in einem östlichen Stadtteil von Teheran drei Mitglieder des Sicherheitsapparates von Leuten mit Messern getötet wurden. Der Sicherheitsapparat hat aber eine weitaus größere Anzahl von Menschen ermordet. Sie schießen mit scharfer Munition.

Welche Sicherheitskräfte führen die Niederschlagung der Proteste an?

Hauptsächlich Polizei, Basij Milizen (da sind auch Minderjährige dabei), Mitglieder der Revolutionsgarden und regimenahe Personen mit Einfluss. Besonders Letztere sind für extreme Gewalt verantwortlich. Sie kommen und töten Menschen, als sei es eine Art krankes Hobby.

Wie nimmst Du die Verfassung der Sicherheitskräfte derzeit wahr?

Sie sind erschöpft. Das Regime zahlt vielen von ihnen einen Bonus aus, etwa 260$. Trotzdem desertieren einige, andere erscheinen nicht zum Dienst. Dennoch sind die Proteste gerade etwas zurückgegangen, weil das Regime so viele Kräfte mobilisiert hat. Die Menschen weichen nun auf andere Protestformen aus. Sie hupen andauernd in ihren Autos und mit ihren Motorrädern, außerdem gibt es Ankündigungen von Streiks. Ich glaube aber, das ist nur eine kurze Pause. Die Menschen sind extrem wütend und fürchten nicht mehr, verhaftet zu werden. Vor ein paar Tagen war ich in der Metro und es war ruhig. Ich bin zu einem Propagandaplakat gegangen und habe es von der Wand gerissen. Niemand hat etwas gesagt, manche haben sogar applaudiert. Sowas hätte es früher nicht gegeben. Und es zeigt, dass viele Leute bereit sind. Sie brauchen aber Führung und Inspiration. Leider macht nicht einmal die zersplitterte iranische Exilopposition ernsthafte Anstalten, Führung zu übernehmen, soweit sie es könnte.

Was denkst Du, wie es weiter geht?

Bisher sind die Proteste oft ziellos. Vor ein paar Tagen zum Beispiel. Da sind wir einfach ohne Plan auf die Sicherheitskräfte zugelaufen. Sie haben uns zurückgeschlagen. Wir hatten gar keine Idee, was wir machen wollten, zum Beispiel ein Regierungsgebäude ansteuern oder Ähnliches. Stattdessen lassen wir uns von den Sicherheitskräften jagen, oder wir jagen sie. Darum sind viele Leute mittlerweile müde oder genervt. Und ohne Internet ist es wirklich schwierig, uns zu organisieren. Da sind es dann bloß kleine Zellen von Leuten, die sich kennen, und lokal ein wenig Führung übernehmen. Aber es ist noch nicht vorbei. Vieles ist dieses Mal anders. Das Regime hat prominente Unterstützer verloren.


Dazu passt folgendes Zitat aus dem gepiqten Artikel von Tareq Sydiq gut:

Aus Angst vor einer erfolgreichen, landesweiten Protestbewegung schränkt das System Flexibilität und Offenheit gegenüber Kritik ein. Das führt aber gleichzeitig dazu, dass es immer schwerer fällt, den zahlreichen Protesten mit etwas anderem zu begegnen außer Gewalt. 

Wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage bleiben dem Regime immer weniger Möglichkeiten, die Massen zu besänftigen. Gleichzeitig hat die Bevölkerung, unter anderem wegen der massiven Einschränkung von legalen Oppositionstätigkeiten, kaum mehr Ventile für Frust oder Hoffnung auf Veränderung. So verlagert sich der Zorn auf die Straßen. Sydiq beschreibt das Dilemma des Regimes und schlussfolgert: 

Schaffen die Machthabenden es nicht, die sozialen Krisen schnell abzufedern, dürften sich die Spannungen weiter verschärfen.

Genau das ist nun eingetreten. Wirtschaftlicher und sozialer Unmut gepaart mit Empörung über politische Unterdrückung und Willkür der Sicherheitskräfte ergeben eine explosive Mischung.


Außerdem lesenswert: Amnesty hat Leaks iranischer Sicherheitskräfte und Militärs zugespielt bekommen, die dokumentieren, dass Befehle zur Niederschlagung der Proteste ("egal zu welchem Preis") gegeben wurden. Die Gewalt dürfte weiter eskalieren. Währenddessen bombardiert Irans Führung Ziele in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Warum der Konflikt auch die Frage kurdische Identität und Selbstbestimmung betrifft, erklärt Amberin Zaman hier.

Interview mit einem Demonstranten in Iran

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Kommentare 1
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als ein Jahr

    Vielen Dank für dieses Update!! Ich habe keinerlei Kenntnisse über die inneren Verhältnisse im Iran und bin dankbar für jedes Informations-Atom.
    Was können wir in DE zur Unterstützung eines positiven Wandlungsprozesses tun? Das ist die große Frage.

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