Djordje reißt der Geduldsfaden. Zu lang hat sich zu viel Frustration in dem jungen Mann angestaut. Und dann kommt auch noch Pech dazu. Mit einem einzigen Schlag auf's Kinn haut er den Freund seiner Mutter tot. Ja, toll, jetzt erzählt er schon wie es endet, denken Sie jetzt vielleicht. Aber ich habe keineswegs zu viel verraten, denn der Autor dieser bissigen Geschichte, Milan Djurasovic, bittet gleich zu Beginn um Nachsicht für Djordje, seinen guten Freund mit dem Feuer-und-Qualm-Schlag. Hört euch erst mal seine Geschichte an, bevor ihr über ihn urteilt, bittet er. Ich hab sie natürlich bis zum Ende gelesen (sogar zweimal), sonst würde ich ja hier nicht drüber schreiben, und überlege seitdem, was ich diesem Djordje wohl schreiben könnte, in einem Brief, zur Aufmunterung, adressiert an seine Mutter, die ihn ihm ins Gefängnis bringen würde. (Mir ist noch nichts eingefallen.) 

Djurasovic stammt aus Mostar, der Stadt in Bosnien-Herzegowina mit der berühmten Brücke, im Krieg zerstört, von der internationalen Gemeinschaft wieder aufgebaut, ein Postkartenmotiv, das den Ort bekannt macht, ohne dass ihn jemand kennt. 

Noch ein Satz zur Einordnung im Kanal "Literarischer Journalismus": Die "Geschichte vom verloren gegangenen Zahn" firmiert zwar als Kurzgeschichte. Sie basiert aber auf wahren Begebenheiten und arbeitet mit korrekten historischen Referenzen. Ich finde die Story objektiver als die meisten Reportagen, die sich bemühen, den Alltag einer Familie im ehemaligen Jugoslawien zu beschreiben. Wahrscheinlich ist sie sogar wahr. Genauer weiß man es eh nie.