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Alltäglicher Rechtsradikalismus: Das andere „Deutschboden“ – eine Widerrede zu Moritz von Uslar

Jörn Klare
Neugier und Misstrauen
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Jörn KlareSamstag, 09.12.2017

Heute habe ich bereits Julia Jürgens Reportage über das Leben in einem Plattenbau der sächsischen Kleinstadt Aue empfohlen, da stoße ich gerade im aktuellen SPIEGEL auf einen halb reportageartigen, halb essayistischen Text, der eine andere Perspektive des Themas aufzeigt. Geschrieben hat ihn Manja Präkels. Die Musikerin und Schriftstellerin ist im gut 50 Kilometer von Berlin entfernten Zehdenick aufgewachsen. Der „Zeit“-Reporter Moritz von Uslar schrieb der Kleinstadt an der Oberhavel mit seinem 2010 erschienenen Buch „Deutschboden“ ein seinerzeit viel beachtetes Denkmal. Der Untertitel der gut lesbaren 384 Seiten lautet „Eine teilnehmende Beobachtung“. Ich fand die Lektüre damals spannend, fragte mich aber auch, ob nicht etwas mehr Distanz an Stelle einer testosteron-lastigen Verbrüderungsfreude gegenüber den ortsansässigen jungen Männern - „echte Kerle mit Tätowierungen und Muskeln“ - erhellender gewesen wäre. Von Uslar macht keinen Hehl daraus, dass er in Zehdendick „wahre Freunde“ gefunden hat. Vielleicht verzichtete und verzichtet er deswegen auf vertiefende Nachfragen oder die Suche nach anderen, eventuell widersprechenden Stimmen. Später wurde aus dem Buch noch ein Kinofilm, und Anfang Oktober druckte die „Zeit“ von Uslars Bericht über einen „politischen Stammtisch“ zur zurückliegenden Bundestagswahl, den er mit seinen Freunden in ihrer Heimatstadt abgehalten hatte. „Alle vier Männer haben mittlerweile die Aura von ordentlichen Bürgern und ehrbaren Mitgliedern der Gesellschaft.“ Dieses Gespräch nimmt die 1974 in Zehendick geborene Präkels schließlich als Anlass, ihre Perspektive der Geschichte zu erzählen. Sie bekennt, dass sie beim Anblick von Fotos der Männer, denen von Uslar so viel Raum gewährt, auch heute noch schlichtweg Angst verspürt. "Das ging gar nichts anders," zitiert sie einen der Freunde Uslars aus dem "Zeit"-Gespräch. "Wenn du auf die Straße gegangen bist, dann warst du rechts." Präkels war nicht rechts und irgendwann konnte sie deswegen nicht mehr auf die Straße gehen. 1998 musste sie wie andere Gleichgesinnte ihre Heimatstadt verlassen, weil das Leben für sie dort zu gefährlich geworden war. „Die Straßen und öffentlichen Plätze waren nun besetzt von Glatzen-und Seitenscheitel-Banden.“ Neben selbst erlebten Bedrohungen, in denen auch einer der Männer aus dem „Zeit“-Gespräch eine Rolle spielt, führt sie zahlreiche rechtsradikale Übergriffe auf, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein in und um Zehdendick herum stattgefunden haben.

Präkels eindringlicher Einspruch ist so wichtig, weil er zeigt, dass zu leicht übersehen wird, was einfach nicht übersehen werden darf.

„Mit Rechten reden? Das passiert unablässig. Auf allen Kanälen. Doch während Reporter fasziniert auf Lippen starren, beschwichtigenden Worten lauschen und reden, reden, reden, geht weiter die Furcht um, draußen vor der Tür. Die Betroffenen leben in Angstzonen, die für all jene unsichtbar sind, die nichts zu befürchten haben. Weiße, ganz ungestörte Gegenden, wo das Absingen des Horst-Wessels-Liedes am Fußballplatz zum Alltag gehört. Die Perspektive der teilnehmenden Beobachtung ist nicht voraussetzungslos. Die Opfer (schon längst ein Schimpfwort) bleiben nicht cool. Sind verletzt, unsichtbar, verstecken sich, finden keine Worte oder können nichts mehr sagen.“


Alltäglicher Rechtsradikalismus: Das andere „Deutschboden“ – eine Widerrede zu Moritz von Uslar
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Kommentare 4
  1. Ingo Reims
    Ingo Reims · vor 4 Jahren

    Weder Frau Präkels, noch Herr von Uslar zeichnen das wahre Gesicht Zehdenicks ab. Sie, die in ihrer Jugend offensichtlich dermaßen traumatisiert wurde, dass ein Kneipenbesuch bereits schlechte Gefühle in ihr auslöst. Er, der sich vom Zigarettenqualm und Alkohol so sehr einfangen ließ, dass das dargestellte Bild Zehdenicks in Deutschboden wohl reduzierter nicht hätte sein können. Noch dazu beide aus Berlin, zwei Städte, die konträrer nicht sein könnten. Das von Moritz von Uslar dargestellte, lässt sich wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf so ziemlich jede ostdeutsche Kleinstadt projizieren aber die Stadt kann weitaus mehr, nur traut sie sich nicht. Die außerordentlich schöne Umgebung, die wirtschaftliche Stärke Oberhavels und die Nähe Berlins lassen nur im Ansatz erahnen, dass Zehdenick eine durchaus lukrative Zukunft haben könnte. Um so schmerzhafter ist es zu erfahren, dass der Herr von Uslar erneuert die Schwächen dieses schönen Flecks mit Deutschboden 2 zu skandieren versucht. Mit einer objektiveren Portraitierung lässt sich vermutlich jedoch kein Geld verdienen.

  2. Jörn Klare
    Jörn Klare · vor mehr als 6 Jahre

    Ja, ging mir auch so. Man sollte wohl seinem Mißtrauen leider doch noch öfter trauen. Heute auch noch in der Süddeutschen Zeitung eine Reportage von Anna Fastabend, die Manja Präkels bei einem Besuch in Zehdenick begleitet: "Wenn die eigene Heimat Angst macht"
    http://www.sueddeutsch...

  3. Christoph Weigel
    Christoph Weigel · vor mehr als 6 Jahre

    wie gut, diese gegenrede zu lesen! danke für's piqn. mir war bisher bereits bei einigen texten von von uslar etwas mulmig, jetzt fang ich an klarer zu sehen warum...

  4. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor mehr als 6 Jahre

    Eine sehr wichtige Replik. Ich habe nur den Film gesehen, aber der Testosteron-Ton dort, war so lächerlich, dass ich das alles nur als Satire wahrnehmen konnte. Der Blick einer Betroffenen, für die dieses Sittenbild nicht alberne Selbstdarstellung, sondern gelebter Alltag war, ist das umso wertvoller.

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