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Pop und Kultur

Literatur-Nobelpreis für Annie Ernaux

christina mohr
Freie Autorin

Geboren in Frankfurt, heute wieder dort lebend und arbeitend - hauptberuflich für einen Sachbuch- und Wissenschaftsverlag, daneben als freie Autorin für Magazine wie Spex, Missy Magazine, Konkret, Die Anschläge, kaput-magazine.com, melodiva.de, culturmag.de.

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christina mohrFreitag, 07.10.2022

Es hätte auch Haruki Murakami werden können. Oder Michel Houellebecq. Die beiden omnipräsenten Autoren wurden ebenso wie der vor Kurzem bei einem Attentat schwer verletzte Salman Rushdie als Top-Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis gehandelt – umso erstaunlicher und großartiger, dass Annie Ernaux von der Schwedischen Akadamie zur Preisträgerin erkoren wurde. Die 82-jährige französische Schriftstellerin passt nach Meinung des NZZ-Journalisten Paul Jandl nämlich gar nicht zum Nobel-Betrieb:

Mit dem Nobelpreis für Annie Ernaux ist es seltsam. Der Preis der anachronistisch hochpolierten Veranstaltung geht an eine Autorin, die über das glanzlose Leben schreibt. Nichts hat die französische Schriftstellerin genauer analysiert als jene Gefühle der Scham, die sich aus dem Gefälle der Klassen ergeben. Jetzt auf einmal ist sie Klassenbeste. Sie wird also im Stockholmer Nobelrummel geehrt werden, im letzten literarischen Frackzwang, den diese Welt kennt.

Die 1940 in Lillebonne, Seine-Maritime als Annie Thérèse Blanche Duchesne geborene Ernaux veröffentlichte ab Mitte dreißig autobiographische Bücher, in denen sie ihren Lebensweg als Arbeiterkind beschreibt, das als Erstes ihrer Familie einen Universitätsabschluss erhält. Beziehungsweise überhaupt den scheinbar vorgezeichneten Weg verlässt. Doch Ernaux' Werk hat, wie Jandl hervorhebt, nicht den Anspruch, aus den eigenen Erfahrungen gesellschaftspolitische Bedeutung abzuleiten – wie es etwa Didier Eribon oder Édouard Louis in ihren Büchern tun, die wiederum von Ernaux gelernt haben dürften. Nein, Annie Ernaux schreibt "autofiktional", ein Begriff, der wie für ihre Arbeit erfunden scheint. Sie bespiegelt den Werdegang ihres Ich auf schmerzlich klare, ungeschönte Weise. Ein weiterer Unterschied, es mag banal klingen, doch ist es essenziell: Sie schreibt über das Leben als Frau in einer nach wie vor patriarchal geprägten Welt. In Ernaux' Werken geht es um sexuellen Missbrauch, Abtreibung, Gewalt, Erniedrigung, Scham. Das muss man aushalten können als Leser:in – oder erkennt sich wieder in Bücher wie "Das Leben einer Frau" oder "Die Jahre". Auch wenn sich ihre "radikale Erinnerungsarbeit" aus der eigenen Biographie speist, werden ihre Erfahrungen von zahllosen Frauen geteilt. Die Entscheidung des Nobel-Komitees wurde von der Presse durchweg positiv kommentiert (siehe z. B. hier, hier und hier) – es war an der Zeit, nach allein fünfzehn aus Frankreich stammenden männlichen Preisträgern endlich wieder eine Frau, diese Frau zu küren. Dass Annie Ernaux von ihrer Auszeichnung aus dem Radio erfuhr, weil sie den Anruf des Komitees schlichtweg verpasst hatte, ist bezeichnend für die uneitle Haltung der Autorin, deren Bücher allesamt der Lektüre wert sind.

edit 12.10.2022: In den Beifall für Ernaux mischen sich kritische Stimmen, die das Engagement der Autorin für die israelfeindliche Organisation BDS betreffen. Wie viele andere Medien versucht der österreichische Standard eine Erklärung:

https://www.derstandard.at/story/2000139845733/annie-ernaux-antikapitalistisch-antikolonialistisch-antisemitisch

Doch es wird Annie Ernaux selbst sein müssen, die ihre Israel-Kritik glaubhaft von Antisemitismus trennt. Sofern das möglich ist.

Literatur-Nobelpreis für Annie Ernaux

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Kommentare 2
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Ergänzend sei dieses Gespräch mit Sandra Kegel empfohlen:
    https://www.3sat.de/ku...

    1. christina mohr
      christina mohr · vor mehr als ein Jahr

      Super, danke!

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