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Lektionen in Leid und Würde: Han Kang über Astrid Lindgren

Fabian Peltsch
Musikjournalist

Fabian Peltsch lebt und arbeitet in Peking und Berlin und schreibt regelmäßig für Rolling Stone, Musikexpress, Mint, China Table, RADII, Fluter und die Berliner Morgenpost. Er interessiert sich vor allem für globale Popkultur-Perspektiven jenseits von World-Music-Klischees.

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Fabian PeltschSamstag, 23.09.2017

In ihrem gefeierten Roman "Die Vegetarierin" beschrieb die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang mit geradezu übersinnlicher Tiefenschärfe, wie sich Gewalterfahrungen im Körper widerspiegeln. In dem nun ins Deutsche übersetzten Nachfolger "Menschenwerk" weitet sie ihre Beobachtungen auf die Gesellschaft aus, auf das Trauma im Volkskörper sozusagen. Die Rahmenhandlung bildet der sogenannte Gwangju-Aufstand, ein Studentenprotest, der im Mai 1980 von der südkoreanischen Armee in einem Massaker niedergeschlagen wurde. 

In einem bewegenden Essay, der in der "Literarischen Welt" erschien, beschreibt die Schriftstellerin, wie der Gwangju-Aufstand sie als junges Mädchen erstmals mit dem Tod und der menschlichen Grausamkeit konfrontierte. Das Blutbad, über das die Erwachsenen nur tuschelten, wurde für sie zu einem "erdrückenden Geheimnis". Erst als sie Astrid Lindgrens Märchen "Brüder Löwenherz" entdeckte, fand sie einen Spiegel für das "diffuse Gefühl aus Liebe und Leid", das sie seitdem nie mehr losgelassen hat:

Wenn ich die „Brüder Löwenherz“ heute, dreißig Jahre später, wieder zur Hand nehme, entdecke ich die Tragweite der Fragen, die ich mir damals zwölfjährig gestellt habe, als ich nicht wusste, was meine Augen und meine Kehle so glühen ließ. Erst jetzt gelingt es mir, meinem jungen Selbst Antworten auf diese Fragen zu geben. Wir verzweifeln, weil wir lieben. Wir empfinden Schmerz, weil wir an die Würde glauben. Also ist unser Schmerz ein Schlüssel, ein zäher, beständiger Samen.

Sie habe schon lange ein Buch schreiben wollen über "die menschliche Brutalität, die sich durch die Massaker der Moderne zieht", so Kang. "Doch weder für die Brutalität noch für den Widerstand gegen sie fand ich Worte." Dank ihrer außergewöhnlichen, an Lindgrens Büchern geschulten Sensibilität gelang es ihr schließlich doch. "Menschenwerk" ist das beeindruckende Zeugnis. 

Lektionen in Leid und Würde: Han Kang über Astrid Lindgren

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