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Medien und Gesellschaft

Warum den Reporter:innen der Klimakrise Aktivismus vorgeworfen wird

Christoph Zensen
Informationswissenschaft, Medieninformatik, Produktmanagement

#ViewFromSomewhere #MovementJournalism

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Christoph ZensenMontag, 07.09.2020

Irgendwie, irgendwann hat man sich im Journalismus mal darauf geeinigt, dass Journalismus und Aktivismus nicht zusammengehen kann. So richtig gut begründet wird das häufig nicht. Meistens muss man sich mit einem Verweis auf einen Spruch von Rudolf Augstein oder von Hanns Joachim Friedrichs zufriedengeben.

Aber unabhängig davon, ob es auch anders sein könnte – #Keller-Greenwald-Debate #movementjournalism #Muckraker –, gerade ist es nun einmal so, dass es für Journalist:innen eine Ehrverletzung ist, als Aktivist:in bezeichnet zu werden. Der Vorwurf hängt auf der Beledigungsskala so zwischen „Haltungsjournalismus” und „Propaganda”.

Aber nicht alle Journalist:innen sind gleichermaßen gefährdet. Wer sich auf die Klimakrise spezialisiert hat, gerät leichter in Verdacht.

Letzte Woche ärgerte sich der ZDF-Journalist Dirk Steffens darüber:

Ich ärgere mich ein bisschen, weil ich in Talkshows immer als Journalist und Umweltaktivist vorgestellt werde. Das ist totaler Quatsch. Das ist ungefähr so, als wenn Sie eine Politikjournalistin als Demokratieaktivistin ankündigen. – Journalist.de

Heute schreibt Sara Schurmann in ihrem offenen Brief an die Branche:

Viele Journalist:innen betonen zu Recht, den Unterschied von Aktivismus und Journalismus. Aber die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels als vierte Gewalt zu kontrollieren, ist kein Aktivismus. Es ist wissenschaftlich, menschlich und journalistisch geboten. Wir Journalist:innen können das Versagen der Politik nicht einfach nur protokollieren. Politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die zur Nicht-Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels führen, sind nicht bloß eine Seite einer Geschichte, die wir zu Wort kommen lassen müssen. — übermedien.de

Mitunterzeichnerin Teresa Bücker dazu:

Vielleicht sollte man mal anfangen, gewisse Menschen als „Aktivist für Geschlechterdiskriminierurg“, „Aktivist für Umweltzerstörung“, „Aktivist für Menschenrechtsverletzung“ etc. zu betiteln – Twitter

Und Bernd Ulrich:

Der am weitesten verbreitete Aktivismus unter Journalisten ist wohl die Parteinahme für eine Normalität, die es nicht mehr gibt, also der #Normalismus als Ideologie. Womit dann eine begrenzte Wahrnehmung und verfälschende Gewichtung von Realität einher geht – Twitter


Das 3-Sphären-Modell von Daniel Hallin

Um besser zu verstehen, wann ein:e Journalist:in als Aktivist:in oder eben nicht gelabelt wird, hilft mir immer das Model der Hallin-Sphären.

Nach diesem Modell teilen Redaktionen die Welt in drei Sphären ein: Die Sphäre des Konsenses, die Sphäre der legitimen Kontroverse und die Sphäre der Devianz.

In der Sphäre der Konsens wird die grundsätzliche Affirmation einer Idee gar nicht als solche wahrgenommen und behandelt. Zum Beispiel für eine geringe Arbeitslosigkeitsquote, für die Pressefreiheit, gegen Krieg und int. Spannungen, gegen Hunger und Kinderarmut, für hohe Verkaufszahlen im Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels oder eben für die Demokratie.

In der Sphäre der legitimen Kontroverse ist es anders. Hier können Themen nicht ohne Fragezeichen behandelt werden. Tut man es doch, kann das leicht zum Aktivismus-Vorwurf führen. In dieser Sphäre sprechen viele Redaktionen selbst nur im Kommentar und lassen ansonsten Protagonisten von "beiden Seiten" einspringen.

In der Sphäre der Devianz findet sich der diskursive Sondermüll. Thesen, die so abseitig sind, dass sie von dem Marktplatz der Ideen ausgeschlossen werden. In der Sphäre der Devianz finden sich z.B. Rassenlehre, Menschenhandel, die Duell-Kultur oder das Wahlrecht nur für Männer.

Gerade wenn man sich so einiges aus der Sphäre der Devianz betrachtet, merkt man, dass es zu einem früheren Zeitpunkt in der Geschichte mal anders gewesen ist. Einige diese Ideen waren mal in der Sphäre der legitimen Kontroverse oder einige sogar in der Sphäre des Konsenses.

Und genau um diesen Sphären-Shift (sagt das dreimal schnell hintereinander 😛) geht es auch in der aktuellen Debatte. Die Klimakrise muss endlich aus der Sphäre der legitimen Kontroverse in die Sphäre des Konsenses aufsteigen.

Sehr kontraproduktiv dabei ist, dass Nachrichtenredaktionen es nicht so sehen, wie Daniel Hallin es mit seinen Sphären beschreibt. Die Auswahl und Darstellung von Nachrichten wird so wenig reflektiert, dass es gruselig ist (Mein Piq zum Thema). Deswegen piqe ich hier einen Text von Ezra Klein. Als Chefredakteur von vox.com ist er ja auch ein Nachrichtenmacher. Als Insider hat er noch die besten Chancen angehört zu werden.


Warum den Reporter:innen der Klimakrise Aktivismus vorgeworfen wird

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Kommentare 11
  1. Andreas P.
    Andreas P. · vor mehr als 3 Jahre

    Ist das jeweils Journalismus oder Aktivismus?
    https://www.piqd.de/su...
    https://www.piqd.de/kl...
    https://www.piqd.de/kl...

  2. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

    Hier noch ein aktuelles Interview, in dem eine Umweltjournalistin über den Aktivismus-Vorwurf spricht:
    "Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass der Umweltjournalismus hierzulande nicht allzu oft seine Zähne zeigt. Wir sind manchmal zu defensiv, zu harmoniesüchtig. Es fehlt die Konfliktfreude. Vielleicht haben die KollegInnen Angst, dass man ihnen Aktivismus vorwirft, vielleicht fehlt ihnen oft die Zeit, sicherlich fehlen ihnen sehr oft die Mittel und der Rückhalt der Redaktion. Investigative UmweltjournalistInnen in Deutschland kann man an einer Hand abzählen."

    https://www.journalist...

  3. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre

    Wenn ich den IPCC richtig verstanden habe, ist das 1,5% Ziel beim Klima gar nicht mehr einzuhalten. Worin soll nun der Konsens bestehen. Es kann doch nicht die Aufgabe von Journalisten sein irrational Ziele zu kontrollieren?

    1. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

      1. Es steht nicht fest, dass sich das 1,5°-Ziel nicht erreichen lässt.

      2. Ein Ziel wird nicht unbedingt irrational, wenn es nicht mehr erreichbar ist. Die verbundenen Ziele für den CO²-Gehalt in der Atmossphäre und Maßnahmen bleiben weiter richtig.

      3. Es sollte nicht die Aufgabe von Journalisten sein, irrationale Ziele zu kontrollieren, aber es kann auch dazu kommen. Es ist halt die Frage, ob es dieses Ziel in die Sphäre des Konsens schafft. Siehe BIP.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

      @Christoph Zensen
      So richtig steht die Zukunft natürlich nie fest. Auch nicht beim Klima. Das stimmt. Wenn die Wissenschaft allerdings feststellt, dass sich die Nationen nicht so verhalten, wie es die Einhaltung des 1,5 Grad Zieles erfordern würde, dann muß man über neue Strategien nachdenken und berichten. Dann ist klar, das Ziel wird es nicht in die Sphäre des Konsens schaffen. Es zu propagieren wird irrational. Ich erwarte von Journalisten Realismus.

      Das heißt natürlich nicht, man müsse nicht weiter CO2 reduzieren. Aber man muß z.B. verstärkt auch auf strategische Anpassung an die Erwärmung setzen.
      https://www.scinexx.de...

    3. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 3 Jahre

      @Thomas Wahl Können wir uns so einigen?

      "Die Dringlichkeit der Klimakrise gehört in die Sphäre des Konsenses"

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

      @Christoph Zensen Ja, das die Klimaveränderung dringende Maßnahmen erfordert, ist sicher Konsens. Aber da fängt das Problem doch erst an. Viele Völker haben andere genau so dringende Probleme. Und es ist klar, China, Indien u.a. werden demnächst nicht aus Kohle oder Öl aussteigen. Das würde zum Zusammenbruch der Gesellschaften führen. Und auch im Westen sind die Termine nicht realistisch. Dazu hat man viel zu lange auf Wind und Sonne gesetzt. Atomkraft bekämpft. Gesellschaften haben keinen Schalter, den man umlegen kann.

    5. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 3 Jahre

      @Thomas Wahl Also so geht das doch nicht. Für ein vollständiges Climate-Delayer-Bingo fehlen dir noch:

      - Die Gesellschaft wird nur auf unterstützende und freiwillige Maßnahmen reagieren, restriktive Maßnahmen werden scheitern und sollten aufgegeben werden.

      - Einzelpersonen und Verbraucher sind letztendlich dafür verantwortlich, Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen.

      - Wir sollten nur perfekt ausgearbeitete Lösungen suchen, die von allen betroffenen Parteien unterstützt werden. Andernfalls verschwenden wir unsere begrenzten Chancen auf eine Anpassung.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

      @Christoph Zensen Wer ist wir? Gesellschaft ist ein evolutionärer Prozess und ja, auch ein Suchprozess. Es gibt keine perfekt ausgearbeiteten Lösungen (und schon gar keine globalen) - und schon gar nicht vorab. Restriktive Maßnahmen sind angebracht, wenn sie auch zu einer Lösung führen und nicht den Zustand der jeweiligen Gesellschaft verschlechtern. Wenn Menschen das Gefühl haben, die Restriktionen sind nachteilig und greifen massiv in ihre Lebensqualität ein, werden sie dagegen arbeiten. Wobei dieses Herumschubsen von Schuld und Verantwortung Unsinn ist. Letztendlich sind es Kommunikations- und Lernprozesse auf allen Ebenen. Nichts davon geht schnell. Aus vielen Gründen - psychologischen, ressourcenbezogenen Gründen und auch aus Gründen des Erkenntniszeitraums der nötig ist. Heftige Vorwürfe und heftiges Wünschen helfen nicht .... und eine Ökodiktatur wollen wir doch nicht, wobei die gegen große Teile des Volkes wohl auch nur unbefriedigende Ergebnisse bringen würde? Selbst wenn die in einzelnen Nationen greifen würden - entscheidend ist ja wohl die globale Entwicklung. Wir können vielleicht (auch das ist unsicher) hier Im Lande genügend Windräder aufstellen um uns halbwegs stabil mit Strom zu versorgen. Nur wenn dann durch die globale Erwärmung die Stürme zunehmen, dann können wir die gar nicht stabil betreiben.

  4. Andreas P.
    Andreas P. · vor mehr als 3 Jahre

    „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.“ Dieser Satz von Hanns Joachim Friedrichs ist immer noch richtig.

    1. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 3 Jahre

      Wie gesagt... 😑

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