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Literatur

Es reicht!

Thomas Durgeloh Oliva

Community piqer für: Literatenfunk, Volk und Wirtschaft, Zukunft und Arbeit, Wissenschaft und Forschung, Europa

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Thomas Durgeloh OlivaMittwoch, 06.09.2017

Als bekannteste Persönlichkeit in der französischen „Décroissance“- Bewegung gilt Serge Latouche, der in vielen Befunden und Vorschlägen mit Viktor und Jackson konform geht, in manchem aber wohl noch radikaler ansetzt. Latouche kommt aus den sozialen Bewegungen und hat bereits in den 1980er-Jahren gemeinsamen mit anderen Initiativen für eine Wachstumsrücknahme gestartet. U.a. machte die „Décroissance“-Bewegung mit der „Übermalung“ von Werbeplakaten auf sich aufmerksam.

Das Buch „Petit traite de la décroissance sereine“ (2007) von Latouche ist 2015 auf Deutsch unter dem Titel „Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn“ erschienen. Latouche spricht nicht von Wachstumsbeschränkung, sondern von Wachstumsrücknahme bzw. einer „Aufwärtsspirale der Wachstumswende“. Der Analytiker der „Décroissance“-Bewegung skizziert das Bild einer Gesellschaft, in der das soziale Miteinander und tätig sein bei gleichzeitiger Reduzierung des Warenkonsums im Mittelpunkt steht. 

Marktbeziehungen seien damit nicht obsolet, würden aber eingebettet in Sozialstrukturen der Kooperation und Muße. Die Grundthese des Autors: Die ökologisch gebotene Wachstumswende erfordert die drastische Reduktion der materiellen Durchsätze, nicht weniger aber ein kulturelles Umdenken. Drei der von Latouche ausgeführten „großen R“ – „Reevaluierung“, „Rekonzeptualisierung“ und „Restrukturierung“ beziehen sich auf neue Werte und Bewertungen einschließlich eines anderen Zugangs zur Natur: „Nicht mehr wie Raubtiere leben, sondern wie Gärtner.“ (S. 60) Von den vier weiteren „R“ – „Redistribution“ (Neu-Verteilung von Arbeit und Einkommen), „Reduktion“ (Abkehr von der Warenanhäufung), „Recycling“ (langlebige und wiederverwertbare Güter) und „Relokalisierung“ – hofft der Autor insbesondere auf letzteres. Bewegungen für Ernährungssouveränität und eine lokale Energieversorgung, die Wiederentdeckung regionaler Identitäten und Besonderheiten sowie die Rückkehr zu regionalen Güterkreisläufen seien dabei richtungsweisend: „Ideen sollten Grenzen frei überwinden, aber der Transport von Waren und Kapital muss auf das Notwendigste beschränkt werden.“ (S. 63)

Latouche zitiert viele Vordenker für sein Konzept von „Degrowth“ sowie neue Initiativen insbesondere aus Frankreich und Italien und formt daraus ein attraktives alternatives Lebens- und Wirtschaftsmodell. Nicht weniger wichtig sind jedoch die Reflexionen des Autors über Wege und Wahrscheinlichkeiten der dargelegten Transformationsprozesse. Im abschließenden Teil stellt sich der Autor daher Fragen, wie die Veränderungen politisch anzugehen wären (vom Arbeitsmarkt bis hin zu neuen grünen Technologien), ob hierfür eine eigene Partei zu gründen sei (Latouche rät vorerst davon ab), wie man sich von der „Anti-Moderne“ der Rechten abgrenzen könne und müsse – und vor allem, ob eine Wachstumswende im Kapitalismus überhaupt möglich sei. Auf Letzteres antwortet Latouche salomonisch.

Die Politik werde immer mehr ihrer Substanz beraubt („Alle Regierungen sind, ob sie es wollen oder nicht, ́Funktionäre ́ des Kapitals“ S. 108), und dennoch sei es wichtig, politische Reformen von Umwelt- und Vermögenssteuern über Arbeitszeitverkürzungen und Mindestlöhne bis hin zu hohen Werbekostenabgaben einzufordern. Die Wachstumswende ist für den Autor mit dem Kapitalismus zwar unvereinbar, doch sei das Engagement nicht mehr auf den Kampf gegen Konzerne und Vermögende zu beschränken, sondern auf den Konsumismus auszuweiten. Die „Revolution“ sei nicht mehr mit gewalttätiger Enteignung der Besitzenden einzuleiten. Vielmehr gehe es darum, durch viele kleine Schritte sowie den Neuaufbau lokaler Versorgungsstrukturen dem Kapitalismus sozusagen den Boden zu entziehen. Dazu gehöre eben auch die Aufkündigung des Konsumdenkens als Komplizenschaft des gegenwärtig dominierenden Wirtschaftssystems. Einrichtungen wie Geld, Märkte, Privatbesitz oder Lohn würden ihre Funktion behalten, jedoch in demokratisch vereinbarte Schranken verwiesen.

Wie realistisch ist diese Strategie? „Die global vernetzte Konsumentenklasse dominiert in Europa bereits jetzt und anderswo absehbar jeden parlamentarisch-demokratischen Prozess“, so schreibt Niko Paech im Vorwort zur deutschen Ausgabe. Dies spreche jedoch keinesfalls dagegen, die Frage nach politischen Maßnahmen und Rahmenbedingungen für eine Wachstumsrücknahme „theoretisch plausibel zu beantworten“, wie dies Latouche exzellent gelingt – und sei es nur, so Paech weiter, „um politische Entscheidungsträger zu verunsichern oder ihnen das Alibi zu nehmen, von keiner Alternative gewusst zu haben“ (S. 11). „Es reicht!“ gilt in diesem Sinne als weiterer Beleg für die in der Literatur wie in ganz praktischen Projekten international an Bedeutung gewinnende Perspektive einer Postwachstumsökonomie.

Es reicht!

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