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Literatur

Ein Nachmittag in der Buchhandlung - Part I

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 23.12.2021

Festliche Stimmung in der 2G-Schlange vorm Kulturkaufhaus an einem kalten Dezembernachmittag: Hinter uns sind Leute extra aus Cottbus angereist, um bei Dussmann noch mal ausführlich Bücher shoppen zu können. Neben mir steht – von der Menge unerkannt, mit schicker FFP2-Maske, die nach braunem Cord aussieht – Mariana Leky.

Seit dem Riesenerfolg ihres Romans „Was man von hier aus sehen kann“ ist Leky, Jahrgang 1973, so etwas wie der „Darling des deutschen Buchhandels“ (ein Begriff, den sie natürlich selbst nie verwenden würde, dafür ist Mariana viel zu geerdet und vernünftig). Aber es stimmt trotzdem: Ihr Roman wurde vor vier Jahren praktisch ohne PR oder Medienhype allein aufgrund der Power begeisterter Buchhändlerinnen-Weiterempfehlungen zum Bestseller: 200 Lesungen, 3.998 5-Sterne-Rezensionen auf amazon, immer noch Platz 37 in den Taschenbuch-Charts, englische Ausgabe gerade in der New York Times besprochen worden (s. Link unten).

Wir kennen uns von Party-Smalltalks und trafen uns kürzlich auf einem Raucher-Balkon über der Prenzlauer Allee wieder (ein gemeinsamer Freund feierte seine 50. als 2G-Plus-Party). Dort sprachen wir zunächst über das Wesen der Zeit am Beispiel von 80er-Songs auf runden Geburtstagen, bei denen man sich komischerweise keinesfalls zehn Jahre älter fühlt. Dann über den FC (die in Ostberlin lebende gebürtige Kölnerin ist dank ihres Sohns hervorragende Fußball-Kennerin). Der FC hat in diesem Text natürlich absolut nichts zu suchen, aber derart enthusiasmiert fragte ich spontan, ob sie nicht Lust hätte, mit mir für einen Weihnachtstext als „Darling des deutschen Buchhandels“ einen Nachmittag in der Buchhandlung zu verbringen. Sie hatte.

Allerdings klingt „Nachmittag in der Buchhandlung“ gleich schon wieder ziemlich handkemäßig. Peter Handke meinte in einem André Müller-Interview mal, er gehe eigentlich gern in Buchhandlungen, aber dann wären die Buchhändlerinnen immer so befangen, wenn da ein Autor käme – statt sich, wie er sich das wahrscheinlich vorstellte, über die Erscheinung zu freuen.

Um also dem Aufkommen kleiner Befangenheiten (oder zu großer Hallos) zwischen Handel und Autor vorzubeugen, haben wir uns lieber gleich für Berlins größte Buchhandlung entschieden, das sogenannte Kulturkaufhaus Dussmann.

Nach Impf- und Personalausweis-Kontrolle folge ich Mariana ebendort zunächst in die Non-Books-Sektion, um das Power-Shopping mit einem Profi-Gespräch über Schreibgeräte zu beginnen. Leky schreibt per Hand ca. DIN A4-große Notizbücher voll, deren Seiten sie nummeriert. „So kann ich Notizen cooler verlinken: Siehe Seite 47!“ Obwohl sie eine Schwäche für Füllfedern hat, ist ihre weapon of choice ein pragmatischer Ballpen mit Kappe („bei Druck-Kulis immer die Gefahr, dass die in der Hosentasche aufgehen und man einen Tintenfleck hat“). Dann rät sie mir beim Kauf eines Kalender-Moleskines 2022 zu einem Exemplar in taubenblau. Ich frage sie, ob die Farbe wirklich „taubenblau“ heißt und ob sie solche deskriptiven Detaillierungen (statt einfach nur „blau“) beim Lesen und Schreiben nicht nerven. Antwort: Ja, und nicht im Geringsten – sie mag es sogar, Begriffe nachzuschlagen.

Dann lassen wir uns erstmal ein bisschen ziellos durchs Erdgeschoss treiben, verweilen kurz bei den hochwertigen KLASSIKER-Editionen der Lyrik (Leky mag Rilke), driften von dort weiter zu den BERLIN-Büchern. Kurz überlege ich sogar, ob ich in der CD-Abteilung daneben nach dem neuen Album von Jay Electronica fragen soll. Rufe uns beide dann aber streng zur Raison und insistiere jetzt sofort auf dem Weg ins Reich des Bösen: Das Regal mit den Bestsellern in der großen ROMAN-Abteilung. Obwohl, wenn man sie in Relation zur mehrgeschossigen Gesamtverkaufsfläche von Dussmann setzt, ist die gar nicht so groß – was das fürs einstige Königinnen-Genre bedeutet, mag jede selbst nachrechnen.

Das Bestseller-Regal ist natürlich Sebastian-Fitzek-Nele-Neuhaus-Katrin-Gier-County. Unser Blick fällt auf die paar akzeptableren Bücher in den Charts, von Leuten wie Robert Seethaler und Juli Zeh. Kurzer, vorsichtiger Meinungsaustausch über diese. Seethaler ist einer der „Hausgötter“ der Viel-Leserin Leky (neben Elisabeth Strout und John Irving). Juli Zeh mag sie auch: „Unter Leuten“ und „Über Menschen“, beides gern gelesen. Ich halte mich meinungstechnisch zurück. Denn vorm Bestseller-Regal fühl es sich jetzt kurz so an, als wären wir die Schöne und das Biest, das Model und der Schnüffler, Cybill Shepherd und der Taxi Driver. Oder, logisch: die Erfolgsautorin und der schonungslose Kritiker.

Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie konstruktiv Mariana ihren Kollegen gegenüber eingestellt ist. Wie positiv sie immer den Weg in den Roman hinein sucht, Bücher zu Ende lesen will. Ihnen eine Chance auch über die ersten, sagen wir, 50 Seiten hinaus gibt. Selbst bei Elena Ferrante, die sie interessanterweise nicht mochte. Leider verhält es sich bei mir genau andersherum – Stichwort Julio Cortázar, im weitesten Sinne: Hass auf die Literatur mitten aus der Literatur heraus. Ich muss daran denken, wie vernichtend Herrndorf über Juli Zeh geschrieben hat, und erzähle Mariana dann aber lieber nur, dass ich „Tschick“ in den verdammten Taschenbuch-Top-20 vermisse und wie Herrndorf sich genau erschossen hat. Mariana nimmt sich meinen Tipp „Die Anomalie“ von Hervé le Tellier mit („Roman des Jahres, gut gegen Flugangst!“).

Wir schlendern jetzt an den Verkaufstischen in der Belletristik entlang. „Was man von hier aus sehen kann“ fällt sofort ins Auge. Ich nehme ein Exemplar und lese rein (angenehm klarer, kluger Ton um eine märchenhafte Todeshandlung mit geträumten Okapis in einem Dorf im Westerwald, ein Kapitel heißt „Der Sex mit Renate bringt mich um den Verstand“). Bis mich Leky dezent darauf hinweist, dass mir aber schon klar wäre, wie es sich anfühle, wenn jemand neben einem gerade im eigenen Buch lese. Lachend ziehen wir weiter zu den Regalen mit den normalen Romanen.

(Morgen mehr.)

Ein Nachmittag in der Buchhandlung - Part I

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