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Literatur

"Ein falsches Wort" von René Pfister

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yourbook. shopMittwoch, 03.05.2023

Dieses Buch Anfang Mai 2023 zu lesen, war eine besondere Erfahrung: Die Empörung über einige Äußerungen von Boris Palmer führten gerade zu einer weitgehenden Selbstkritik und seinem Parteiaustritt; in den Kommentarspalten von SPIEGEL- und ZEIT-online ging es hoch her. 

 Genau um ähnliche Konstellationen geht es in diesem Buch des SPIEGEL-Redakteurs (erschienen im Dezember 2022). Pfister widmet sich dem Phänomen „Cancel Culture“ (oder auch „Wokeness“ oder „Identitätspolitik“) überwiegend aus amerikanischer Perspektive. In einer kurzen persönlichen Einleitung stellt er dar, wie positiv die ersten Eindrücke in seiner neuen Nachbarschaft (in Washington D.C.) waren: Er stieß auf ein liberales und tolerantes Klima, in dem er auch seine Kinder gut aufgehoben empfand. Dieser Eindruck hielt nicht lange vor. Der Autor entdeckte immer mehr Anzeichen dafür, dass nicht nur im rechten Trump-Lager Demagogie und Spaltung betrieben wurde, sondern sich in weiten Teilen der amerikanischen Universitäts- und Medienlandschaft (und in einem Teil der Demokratischen Partei) ein illiberaler linker Dogmatismus verbreitet hatte, der Rede- und Meinungsfreiheit bedroht. 

 Den typischen Facetten dieser Entwicklung geht PFISTER anhand einiger populärer Fälle in amerikanischen Universitäten und Printmedien nach. Er stellt dar, dass z. T. einmalige „kritische“ Formulierungen (die ganz nebenbei oft die Mehrheitsmeinung der Bürger widerspiegelten) zu unbarmherzigen Social-Media-Kampagnen geführt haben. Da immer wieder auch das Umfeld (Arbeitgeber, Zeitungen, Institute) nicht den Mut hatte, sich dem massiven Druck entgegenzustellen, wurden nicht nur der freie Meinungsaustausch verhindert (durch Absage von „unliebsamen“ Vorlesungen oder Veranstaltungen). Selbst Karrieren von etablierten Wissenschaftler/innen oder Journalist/innen wurden jäh beendet. Pfister arbeitet heraus, dass eine aus dem Ruder gelaufene Kultur der „Empfindsamkeit“ dabei eine wesentliche Rolle spielt: An die Stelle einer argumentativen oder wissenschaftlichen Auseinandersetzung tritt immer häufiger der Hinweis, dass man (eine bestimmte marginalisierte Gruppe) sich durch bestimmte Haltungen, Inhalte oder Formulierungen „verletzt“ oder „bedroht“ fühle. Der Autor macht sehr deutlich, dass in einem solchen Klima die Grundlage für ein Ringen um die „besseren“ Argumente bzw. um faktenbezogene Fortschritte in der Erkenntnis zum Erliegen kommen müssten. Damit nähme sich – so der Autor – das linke Lager selbst die Möglichkeit, dem rechten anti-faktischen Populismus einen offenen und rationalen Diskurs entgegenzustellen. Kritisch betrachtet Pfister auch das opportunistische Verhalten von Teilen der Wirtschaft, die gerne die Gelegenheit ergreifen würden, sich durch ein demonstrativ diverses Image einen moralischen Heiligenschein aufzusetzen – um so von viel grundsätzlicheren Defiziten und Problemen abzulenken.

 Der entscheidende Pluspunkt dieses Buches steckt in dem Umstand, dass der Autor diese Situation aus der Perspektive eines Journalisten beschreibt, der sich selbst eindeutig dem liberal-fortschrittlichen Spektrum zuordnet. Bei Pfister lugt an keiner Stelle Sympathie für die Haltungen und Ziele rechter Populisten um die Ecke. Man nimmt ihm ab, dass es ihm nicht um eine Schwächung von emanzipatorischen Bewegungen geht. Im Gegenteil: Immer wieder bedauert er Konstellationen, in denen Intoleranz und Dogmatismus aufseiten von Aktivisten dem politischen Gegner inhaltliche Munition und politische Zustimmung einbringen. Für Pfister ist die manchmal mit nahezu religiöser Inbrunst dargebotene „reine Lehre“ (z. B. bei der Bekämpfung von „strukturellem weißen Rassismus“ durch verordnete Selbstgeißelung) nicht nur inhaltlich unglaubwürdig, sondern auch ausgesprochen dumm bzw. schädlich. 

 Wenn man 250 Seiten lang über die skizzierten Themen schreibt, lässt sich eine gewisse Redundanz nicht vermeiden. So spannend und unterschiedlich die Beispiele und Facetten auch sein mögen – natürlich landet Pfister immer wieder bei seinen Grundthesen. Das Buch verliert aber dadurch nicht an Substanz – es wirkt eher überzeugend, wenn aus unterschiedlichen Bereichen und Blickwinkeln sehr ähnliche Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Der Autor kann gut begründen, warum ihm – trotz aller Unterschiede – die genaue Betrachtung der amerikanischen Situation so lohnend erscheint: Inzwischen gibt es ja auch in Deutschland zahlreiche Beispiele für den massiven Druck, den gut organisierte Aktivistengruppen auf einzelne „Missetäter/innen“ und ihr Umfeld ausüben. Nicht konforme Meinungen in aktuell gesellschaftlich hochgekochten Themen (z. B. Transgender) zu äußern, ist inzwischen auch bei uns für viele (vor allem) jüngere Wissenschaftler/innen oder Medienmenschen offenbar durchaus potenziell karriereschädlich. 

 Pfister hat hier ein gut lesbares, informatives und anregendes Sachbuch vorgelegt, dass das Zeug hat, den öffentlichen Diskurs bzgl. dieser Thematik zu versachlichen und auf ein höheres Niveau zu bringen. Und – obwohl es der Autor nicht explizit anspricht: In diesem Text steckt auch ein Appell an die Leserschaft, sich der Versuchung zu widersetzen, grundlegende Prinzipien der Fairness, des kritischen Abwägens und der Mäßigung über Bord zu werfen, um sich einem doktrinären Meinungsdruck zu unterwerfen (und zwar auch dann nicht, wenn die Richtung mit eigenen Überzeugungen übereinstimmten sollte). Und: Egal wie man den aktuellen (Sonder-)Fall „Palmer“ beurteilen mag: Das Buch bringt zusätzlich Licht in die zugrunde liegenden Dynamiken.


Eine Rezension von seeker7 aus der yourbook.shop-Community.

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"Ein falsches Wort" von René Pfister

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