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Literatur

Die City - der Tod unserer Innenstädte

Die City - der Tod unserer Innenstädte

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtMontag, 23.05.2016

Man kommt sich ja schnell als Miesepeter vor, wenn einen beim Spazieren durch deutsche Innenstädte eine Atmosphäre von Künstlichkeit und Konsum trübsinnig macht, die man mit Bedauern auch im Ausland sich ausbreiten sieht (wo man selbst als Tourist natürlich automatisch dazu beiträgt.) Wie schön, diesen klugen, angriffslustigen Essay zu lesen (Hannelore Schlaffer "Die City - Straßenleben in der geplanten Stadt"), der voller zitierwürdiger Aperçus steckt und gleich einmal klar macht, daß die City heute der Masse gehört und wer es sich leisten kann, die Innenstädte meidet, in denen eine kalte Architektur das Bühnenbild für stilloses Leben bildet. "Es gehört zum Image der gesellschaftlich Bevorzugten, die Innenstadt zu verachten. Angeblich treffen sie dort nur auf Proletarier, Touristen, Migranten, Gammler und Häßlichkeit." Die Metropolen zerfallen in "City" und Vororte sowie Umland. Die Planung wird von Investoren dirigiert, ansässige Bewohner stören nur. "Die City respektiert keine Aura." Auratische Gebäude verschwinden hinter Werbung oder Stadtfestbuden. Wenn man sich wieder einmal durch die ständig dort aufgebauten Après-Ski-Bumsmusik-Blockhütten am Alex durchgekämpft hat, möglichst mit Kinderwagen, den man über mäandernde, Kabel abdeckende Schwellen wuchten muß, stimmt man dem gerne zu. Wer sind die Menschen, die hier irgendein Vergnügen finden? Touristen? Bewohner aus dem Umland? Oder gar unsere Kinder? "In die City reist man mit Freunden oder in Trupps." Die City ist ein deutsches Phänomen, durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg waren die Städte dazu prädestiniert, sich so zu entwickeln. (Späterer Abriß kam dazu – Stichwort "autogerechte Stadt".) Für mich eine deprimierende Erfahrung, westliche Städte, die für mich klangvolle Namen hatten, nach der Wende zum ersten Mal zu sehen, und bitter habe ich es empfunden, daß die Fehler der Stadtplanung im Osten im Eiltempo wiederholt wurden. Die City, in der die Zahl der Besucher höher als die der Bewohner ist, muß täglich neu gefüllt werden. Die alte Stadt leiht ihr nur den Namen. Statt früher nach Metall riecht es nach Wegzehrung. (Diese "unentwegte Eßlust"! "Freßorgien, die sich Stadtfeste nennen.") Schlimm für die Nase, "dieses Sinnesorgan, das den Verfall von Leben registriert." Für mich zählt übrigens auch das ewige Eisschlecken dazu, das es einem ermöglicht, auch noch die letzten mahlzeitlosen Momente des Tags an etwas "Leckerem" mundelnd zu verbringen. Es sieht finster aus, sagt Frau Schlaffer: "Die Zufluchtsorte der Intellektuellen und manch alteingesessener Bewohner werden auch in dieser Stadt [Berlin] binnen kurzem von Touristen aus der 'Region' Deutschland besetzt sein, die, wie es zum heutigen Reisenden gehört, nach originalen Szenen des Lebens suchen und sie dabei zum Verschwinden bringen." Manchmal findet man ja noch einen Briefmarkenladen, nicht daß ich Briefmarken kaufen würde, aber daß es so etwas überhaupt noch gibt, freut mich dann. Geschäfte, die sich eigentlich nicht mehr lohnen. (Buchläden dürften auch dazu gehören.) Wirklich einkaufen kann man heute nur noch auf dem Trödelmarkt. Überall sonst ist das Konsumangebot nahezu identisch. "Konsumglück kann nur durch Preisnachlaß erreicht werden." (Interessant dabei: "Der Großhandel tritt gerne verkleidet als Kleinhandel auf.") Frau Schlaffer brilliert manchmal mit Beobachtungen, die von Jünger oder Adorno stammen könnten. Z.B. zum Verschwinden des Kleiderständers im Café oder Restaurant. Köstlich, wenn sie über die Stunde der Senioren schreibt, die anbricht, wenn morgens die Kaufhäuser öffnen. Dann könne man beobachten, wie Männer über 65 die Rolle des Begleiters am Gängelband übernehmen. "Ein aus dem Berufsleben ausgeschiedener Mann entkommt seiner Frau nur schwer." Große Literatur: "Das ältere Ehepaar tritt, obwohl es nur aus zwei Mitgliedern besteht, gern im Gänsemarsch auf. Die Frau leitet die Entdeckungsreise in die City, der Mann folgt, entspannt und ein wenig verlegen." Warum ist das Bild der City gerade in Deutschland so niederschmetternd deprimierend? "Die City ist ein einziges Schaufenster geworden. [..] Alle Schönheit auf Straßenniveau ist zugunsten der Einkaufszone zertrümmert. [..] Diese zweite Zerstörung der Städte ist kaum weniger gravierend als die des Weltkriegs, zumindest ist sie universal. Die Global-City färbt jede europäische Stadt und schneidert sie zur Provinz ohne Geschichte um." Und dann wieder, als hätte Adorno "Minima moralia - Teil 2" geschrieben: "Kaugummi auszuspucken ist die verächtliche Geste an Wochentagen und ein explosiver Ausdruck der Verzweiflung derer, die arbeiten müssen, Getränke zu verschütten die Festtagsrevolte an Wochenenden." Das Buch ist natürlich ein Beispiel für die Vergeblichkeit intellektueller Durchdringung der Wirklichkeit, denn keinen Verantwortlichen wird es zur Vernunft bringen, die Vercitysierung unserer Städte ist nicht aufzuhalten, es gibt keinen Weg zurück, die Massen in ihrer Funktion als Konsumenten haben gesiegt. Ich persönlich denke, daß sich die Verhäßlichung der Welt rächen wird, weil der Mensch ein Bedürfnis nach Schönheit hat, auch wenn es ihm nicht bewußt ist. Äußere Häßlichkeit erzeugt auch soziale Häßlichkeit, davon bin ich überzeugt. Aber ich werde nie aufhören, auch an den Umkehrschluß zu glauben: durch Schönheit kann die Welt gerettet werden!

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