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Literatur

Zynismus, im Sommer

Zynismus, im Sommer

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 31.05.2018

Knausgård und kein Ende: Nachdem ich von der Coelhohaftigkeit der ersten beiden Bände seines sogenannten Jahreszeitenzyklus mit Mini-Essays an seine kleine Tochter, "Im Herbst" und "Im Winter" (alles Luchterhand), mächtig abgenervt war, feiert der Autor gerade mit "Im Frühling", "Kein Heimspiel" und "Im Sommer" so etwas wie eine kleine Auferstehung aus der Versenkung, in der er ja leider nie ganz verschwunden ist. Nehmen wir "Kein Heimspiel" (btb) mal raus, weil es ein Fußballbuch ist, ein überraschend gut geschriebener Mailwechsel mit seinem schwedischen Freund Frederik Ekelund über die letzte WM (eventuell zur Wiedervorlage hier im Literatenfunk bei der diesjährigen WM), so bleiben die beiden Abschlußbände "Im Frühling" und "Im Sommer". In ihnen versucht Knausgård noch mal etwas anderes als kurze Essays über Alltagsdinge wie Zahnbürsten und Sex. "Im Frühling" ist ein kleiner Roman für sich, mit den bewährten "Mein Kampf"-Themen Kinder und Linda, und ich muss zugeben, dass ich ihn noch nicht mal angelesen gehabt hatte, als ich schon den Abschlussband der Reihe, "Im Sommer", in der Post hatte. Was tun?

Obwohl es zu "Im Frühling" eine super Rezension von Silke Scheuermann in der FAZ gab, entschied ich mich aufgrund der Bebilderung (bei "Im Frühling" gibt es verstörend gegenständliche, bisweilen offen kitschige Bilder: ein Knausgård ähnelnder Mann weint zum Beispiel; bei "Im Sommer" hingegen ein paar schön bunte Anselm Kiefer, deren interpretierende Betrachtung jetzt den lakonischen Rahmen dieses piqs sprengen würde), der Neuheit und Dicke des Buches zunächst "Im Sommer" zu lesen. Zwar gibt es in "Im Sommer" auch wieder Mini-Essays, aber auch zwei Tagebuchteile, die im Juni und Juli 2016 spielen und natürlich auch in "Mein Kampf" hätten stehen können - man ist sofort drin und im Limbo zwischen genervt (Knausgård mäht den Rasen) und fasziniert (Knausgård lehnt das Angebot der New York Times ab, sich mit Trump zu treffen und über den amerikanischen Wahlkampf zu schreiben), wie sich das für ein Tagebuch gehört.

Von den Mini-Essays las ich willkürlich zwei über "Kurze Hosen" und "Stuntshows", weil die Themen mich interessierten. Dann stieß ich im Inhaltsverzeichnis auf "Zynismus" (zwischen "Fahrrad" und "Pflaumen", und da ich mich selbst in einer wie schwach auch immer gedachten kynischen Tradition sehe, las ich mir diesen Text sofort durch (ich lag an einem Sonnabendnachmittag in der Badewanne, die Bundesliga war vorbei). Und freute mich sofort so über Knausgårds Widerspruch und die Schwäche seiner Argumente, dass ich den Text hier einmal abgeschrieben habe (in der deutschen Übersetzung von Paul Berf):

Zynismus

Zynismus ist die Bezeichnung für eine Denkweise, die nicht mit den Gefühlen verbunden ist und deshalb häufig als frei angenommen wird, nicht unähnlich dem Dasein eines Teenagers, wenn der Rest der Familie in Urlaub gefahren ist und er oder sie zum ersten Mal allein zu Hause ist. Die Gedanken können tun, was sie wollen, sie müssen keine Rücksicht auf nichts und niemanden nehmen, außer auf die Wahrheit, die sich für den Zyniker gewissermaßen hinter einem Schleier befindet. Dieser Schleier besteht aus seinen Vorstellungen von der Wirklichkeit, insbesondere der gesellschaftlichen, die von Illusionen geprägt sind, an die wir glauben und auf deren Basis wir die Welt lesen, was aber nur ein Spiel ist, etwas Sekundäres, von dem das Primäre, unsere eigentlichen Beweggründe, verdeckt werden: Eigennutz, Egoismus, Selbsterhaltung, Begierde. Das bedeutet, dass nichts so ist, wie es aussieht, sondern immer nur ein Ausdruck für etwas anderes. Ein solches Denken des Misstrauens kennt nur einen Verlauf, es kann zu nichts anderem führen als zur Misanthropie, die wiederum nur zwei mögliche Konsequenzen hat, Nihilismus oder Hedonismus. Nihilismus ist nichts, Hedonismus ist Genuss ohne Gefühle für andere. Und es ist schon ironisch, dass der klare, gefühlsreine, unabhängige und ungebundene Intellekt, der den Menschen gegenüber allen anderen Tieren kennzeichnet, in letzter Konsequenz auf direktem Weg in das Tierische führt, allerdings mit einem grausamen Unterschied, dem Bewusstsein des Sinnlosen daran. Für den Zyniker gibt es dennoch keinen anderen Ort, an den er sich begeben kann, weil es die Wahrheit ist, die ihn dorthin führt. Erlöst zu werden, zum Beispiel durch den Glauben an Gottes Gnade, ist keine Alternative, da der Glaube eine Illusion ist, erschaffen, um der Wahrheit zu entgehen, die so brutal ist, dass kaum jemand bereit ist, ihre Bürde auf sich zu nehmen, dass die allermeisten tun, was sie nur können, um ihr zu entfliehen. Am anderen Ende der Skala für das Zynische befindet sich das Naive, denn wo das Zynische alles analysiert und an nichts glaubt, analysiert der Naive nichts und glaubt an alles. Nirgendwo sind die Gegensätze zwischen diesen beiden Polen besser eingefangen worden als in Fjodor Dostojewskis Roman „Der Idiot“. Das soziale Leben, das er beschreibt, ist ein Spiel, bei dem es um Strategien und Berechnungen geht, um den eigenen Gewinn und den Fall anderer, und das zusammenbricht, sobald es auf jemanden trifft, der nicht spielt, jemanden, der nicht kalkuliert, sondern alles für bare Münze nimmt und glaubt, was er sieht. Seine Güte liegt darin, dass er sich nicht verstellt, dass er keine verborgenen Absichten verfolgt, sondern auslebt, was er empfindet, wie ein Kind. Gleiches geschieht in dem Film „Die Idioten“ von Lars von Trier, in dem eine Clique desillusionierter Kopenhagener zusammenkommt, um Idioten zu spielen, und ihr Spiel zusammenbricht, als sie jemandem begegnen, der nicht spielt, einer Frau, die ihr Kind verloren hat. Lars von Trier ist selbst ein Zyniker, und auch Dostojewski muss einer gewesen sein, jedenfalls kannte er das Spiel, den Nihilismus und den Hedonismus, von innen, und die Werke dieser beiden Künstler lassen sich als ein Kampf gegen ihr zynisches Ich betrachten, als gewaltige Versuche, Sinn und Leben in den inneren zynischen Einöden zu installieren. Ja, vielleicht ist jede Kunst letztlich ein Ausdruck für diesen Kampf. Reiner Zynismus kann keine Kunst erschaffen, weil seine Methode, die Welt zu betrachten, wie sie ist, ohne Gefühle und ohne Glauben, die Methode der Kunst ausschließt, die auf Einfühlung basiert. Die Form des Zynismus ist deshalb der Aphorismus, der kristallklare und unangreifbare Satz, und die Aufgabe des Zynikers ist die des Kritikers, der eigentlich, im tiefsten Inneren, kunstfeindlich ist. Reine Kunst wird dagegen vom Naiven erschaffen, und sie ist größer und besser, je naiver der Künstler ist. Edvard Munch ist das beste Beispiel, das mir dafür einfällt, in ihm gab es nicht einen Hauch von Zynismus, er war ein Idiot, und doch haben nur wenige die Lebensbedingungen des Menschen auf dieser Erde wahrer dargestellt als er.

Das ist natürlich Bad Writing Galore.

Haarsträubend naive „In-letzter-Konsequenz“-Setzungen („der gefühlsreine Intellekt“), wackelige Halbdefinitionen ("Hedonismus"), pseudoautoritärer Ansage-Aristotelismus („das andere Ende der Skala für das Zynische“).

Für fünf Minuten kurz mal wie Bono von U2 darum bemüht to squeeze a complicated life into a simple headline, während die Kinder im Garten rumtoben, neben dem Aschenbecher der Kaffee kalt wird und eine Mail von der New York Times reinkommt.

Als Gedankenstück ist der Text natürlich ein Witz - kurz denkt man, dass Knausgard nur Schriftsteller spielt, in etwa so wie Donald Trump US-Präsident spielt -, als Rollenprosa wartet er immerhin mit ein paar überraschenden Bildern und Wendungen auf (der Teenager zum ersten Mal in den Ferien allein zuhause als Geisteszustand). Denn hier will ja ein Vater seiner Tochter möglichst eindeutig das zweideutige Wesen der Welt erklären ("was ist zweideutig, Papa?"). Das Kind wird dann schon selber beim Erwachsenwerden feststellen, wo Papa Bullshit gelabert hat.

Und trotzdem: man weiß, was er meint. Vielleicht ein Teil seines Erfolgsgeheimnis in Amerika.

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