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Literatur

Vor dem Ereignis

Vor dem Ereignis

Felix Lorenz

Schreibt hier über Literatur und Literaturähnliches.

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Felix LorenzDonnerstag, 30.03.2017

Zur Zeit lese ich mich ein bisschen durch Fontane. Man kann bei ihm, gespiegelt im 19. Jahrhundert, viele Orte, Plätze und Straßen aus dem heutigen Berlin wiederfinden, und das freut mich jedesmal wieder auf eine halb blöde Art. Damals war vor allem sehr vieles noch nicht da und dann kann man immer aufs Neue erstaunt sein, wieviel von dem Nochnichtdaen tatsächlich noch nicht da war. Das Tempelhofer Feld war gar nicht schon immer ein ehemaliger Flughafen, sondern einmal ein Exerzierplatz? Sowas, da schau an.

Schach von Wuthenow ist wahrscheinlich eines der weniger häufig gelesenen Werke von Fontane. Es fällt auch etwas aus dem heraus, was für Fontane typisch ist. Ja, das Buch spielt vorwiegend in Berlin und Brandenburg, aber es ist kein Zeitroman, sondern eine historische Novelle, die um 1805/6 angesiedelt ist. Es schildert Preußen, wie es vor einem seiner Untergänge steht (kurz vor der Niederlage gegen die Grande Armée), aber der Untergang wird im Buch selbst nicht ausgesprochen. Fontane fängt eine Gesellschaft kurz vor ihrem Ende ein, als sie noch nichts davon weiß und sich noch – mit dem größten Stolz – für selbstverständlich halten kann.

Fontane wäre aber nicht Fontane, wenn er für das Zeitbild einer Gesellschaft nicht eine schlichtere, wenig pompöse Verpackung wählen würde. Es ist in diesem Fall mehr eine Ehe- als eine Liebesgeschichte. Sie erzählt von den Ansprüchen an das Standesdenken in einer Zeit, in der das Konzept der Ehre als Charakterkitt noch entscheidend war. (Und natürlich geht die Geschichte, erwartungsgemäß, auf eine Art nicht gut aus.)

Fontane bedient sich hier einer einschlägigen Technik des historischen Erzählens: Ein geschichtliches Problem wird in einer Figur, Schach von Wuthenow, kondensiert. Schach ist Rittmeister im Regiment Gensdarmes und verkehrt regelmäßig im Salon der verwitweten Frau von Carayon. Zeitweise zeigt er Interesse an einer Heirat mit ihr, er wird aber im Lauf der Erzählung trickreich dazu gedrängt, ihre Tochter zu heiraten, die in jungen Jahren von den Blattern gezeichnet wurde. Schach kann man anmerken, dass ihn persönlich das Äußere der jungen Carayon gar nicht so sehr abschrecken würde, aber dann tauchen karikaturistische Zeichnungen in seinem Umfeld auf und wir erleben Schach in Gesprächen mit sich selbst, bei denen es schwer fällt, zu unterscheiden, wo die äußeren Konflikte aufhören und die inneren beginnen.

An einer Stelle schmiedet Schach Pläne für die nächsten Jahre: “Und nach abermals einem Jahr, oder einem zweiten und dritten, je nun, da hatte sich’s verblutet, da war es tot und vergessen. […] Alles war überstanden und das Lebensschiff an der Klippe des Lächerlichen nicht gescheitert.” Aber notwendig wäre keiner seiner Pläne gewesen. Wenig später sind entscheidende Bedingungen für sein Handeln entfallen, auch wenn diese Veränderungen im Buch selbst nicht vorkommen. Das Regiment Gensdarmes, das für Schachs sozialen Status bestimmend ist, wird 1806 nach verlorener Schlacht aufgelöst, und Schach, sofern noch am Leben, hätte sich in dieser Zeit des Umbruchs, wenig Gedanken über sein Ehrgefühl machen müssen. Es entsteht eine historische Misslichkeit aus dem einfachen Umstand, dass sich die Wirklichkeit erst über die Zukunftsperspektive herstellt und doch niemand die Zukunft kennt.

Robert Musil hat sich im Mann ohne Eigenschaften, über den ich kürzlich hier schon etwas geschrieben habe, einer ähnlichen Darstellungsweise bedient. Dadurch, dass man den weitere historischen Gang der Dinge als Leser schon kennt, wird in der Erzählung ein Moment des Tragischen sichtbar. Der Ernst, den die Wirklichkeit hat, wenn sie wie der Ewigkeit gewordene letzte Schluss der Geschichte wirkt, ist das, was das Handeln der Charaktere unausweichlich und fatal erscheinen lässt.

Aber die Unabgeschlossenheit der Geschichte hat auch etwas Befreiendes an sich. Es ist immer wieder erfrischend, wenn man an die Fragilität, die Vergänglichkeit und die schiere Nichtigkeit sozialer Wertmaßstäbe erinnert wird. Was heute wie ein unausweichlicher Zwang wirkt, kann morgen schon eine Kleinigkeit bedeuten. Man braucht nie allzu sehr den Gesetzen der Zeit trauen, in der man lebt.

Aber das alles betrifft nur die Art, wie diese Novelle denkt. Sie denkt aber nicht nur, sie schillert auch. Ich habe selten ein Buch gesehen, bei dem das Setting für die einzelnen Kapitel so präzise ausgewählt waren: Die Berliner Salons mit ihrer in jedem Detail ausgesuchten und sozial codierten Einrichtung und ihrer klar definierten Menschenanordnung; der Ort Tempelhof, der damals noch ein Dorf war und die Charaktere in einer pastoralen Umgebung zu ganz anderen Konversationen verleitet als bei ihren Abendgesellschaften; das Gut Wuthenow mit Seezugang, der Schach dazu verleitet, als er einmal nicht schlafen kann und auch sonst nicht weiß, was er mit sich tun soll, die Nacht sinnlos auf einem Boot zu verbringen. Die Stadt und das Land und den See, mehr braucht es eigentlich nicht, damit ein Buch die richtige Grundierung bekommt.

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