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Literatur

Vom Lesen in fremden Ländern - „Das Knistern in den Sternen“

Vom Lesen in fremden Ländern - „Das Knistern in den Sternen“

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDienstag, 12.09.2017

Ende August neun Tage Albanien, drei Tage Montenegro – ein Stück Handgepäck. Rahmenbedingungen für den Sommerurlaub. Tagelang ringe ich mit mir, Taucherbrille ja oder nein, vier Bücher oder doch nur drei? Ich laufe Bücher in den Händen wiegend durch die Wohnung, in die Handtasche kommt schließlich der erste Coetzee meines Lebens, „Schande“, in den Rucksack Halldór Laxness´ „Das wiedergefundene Paradies“ und Jón Kalman Stefánssons „Das Knistern in den Sternen“. Der Flug nach Korfu startet mit Verspätung, auf der Fähre ins albanische Saranda habe ich bereits 220 Seiten der „Schande“ gelesen. Ein südafrikanischer Literaturprofessor ist wegen seiner Affäre mit einer Studentin von der Uni geflogen und begibt sich auf die Farm seiner Tochter. Wenig Wasser, viel Sand. Mein Schiffchen legt an. Die Hochhäuser der Hafenstadt sehen aus der Nähe nicht mehr so erschreckend aus, zwei Handvoll Passagiere klettern nach Albanien von Bord. Zwischen dem Beton wachsen Blumen, mitten in der Stadt wird noch gebadet, als wir mit Meerblick zu Abend essen.

Am nächsten Tag um 5:30 Uhr mit dem Bus nach Borsh, anderthalb Stunden übern Berg ins nächste Tal. Dank fehlender Infrastruktur sind die Strandstraßen Albaniens oft noch staubige Pisten, auf welcher Kühe, Esel und manch ein durchgerosteter Mercedes entlang wackeln, Fisch wird morgens im Meer geangelt, mittags per Megaphon vom Auto verkauft oder abends in den vier, fünf Restaurants angeboten. Unser modern ausgestattetes Hotelzimmer sehen wir nur nachts, da wir mit neuen Freunden Raki trinken, Käse und Obst essen und in italienisch-englisch-deutschem Kauderwelsch über die Welt reden müssen. Tochter Pegi lernt Deutsch, will später Medizin studieren, wir sollen raten, ist Heidelberg besser, oder Berlin? Morgens mit dickem Kopf raus auf die Liegen. Die Tochter des Literaturprofessors wird vergewaltigt, der Vater kann nicht helfen. Hunde sterben in Südafrika, in Albanien laufen schöne Mädchen in kurzen Hosen zum Strand. Das Meer ist warm und türkisfarben, es gibt keine Muscheln. Am frühen Abend sind die Temperaturen erträglich genug, den kilometerlangen Strand zu erkunden. Müllberge, Blumen, blühende Palmen, Hühner, Beton-Bau-Ruinen, ein Luxushotel im Nirgendwo, abgerutschte Bunker, Müll. Meer. Eine Bar mit Terrasse.

"Schande" ist ausgelesen und an Pegi verschenkt (mit dem Hinweis, noch mit der Lektüre zu warten), ich komme schwer in das "Paradies" von Laxness, mit sturen Männern hatte ich schon immer Probleme. Steinar will Mormone werden und lässt seine Familie (jahrelang) zurück, die Tochter wird von einem alten Viehhändler geschwängert, bekommt ein Goldstück für ihre Unschuld, der Hof verfällt. Ich zücke meine Handy und schaue unter den aus meiner Bibliothek für den Notfall ausgeliehenen E-Books, finde Manja Präkels "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß", na bitte. Zwei Tage unterm Strohsonnenschirm in einer brandenburgischen Kleinstadt, ein Aufwachsen im Wende-Getümmel, brutales Nazi-Land umher. Wenn ich meinen Blick auf das Glitzern vor mir hebe, seufze ich. Die Sprache Präkels ist knapp, bildhaft und stark. Die Geschichte ein bitteres Logbuch ohne Zielhafen. Tote und Verletzte werden aufgezählt, der letzte Satz ein Aufatmen. Geschafft. Nun flutscht auch der Laxness und das fröhliche Ende am Salzsee in Utah versöhnt.

Unsere albanischen Freunde fahren ab nach Tirana, das neue Schuljahr beginnt. Wir lernen ein deutsches Pärchen kennen, das den gleichen Weg nimmt. Fahren mit ihnen nebst Mietwagen nach Vlora und weiter nach Skhodra, ganz in den Norden. Zeit zum Schauen, Staub, Beton, Müll. Berge, Weiden, Maisfelder. Ziegen, Schafe, Rinder. Hunde, Hunde, Moscheen, Kirchen, Hunde, Müll. Alles voller Staub und Autowaschanlagen, mehr Tankstellen und Zahnkliniken als Bäckereien und Supermärkte, genauso viele halbfertige, verlassene Häuser wie bewohnte. Bunker, verwaiste Gleise, Stände mit gegrilltem Mais, Äpfeln und Raki aus Plastikflaschen. Hochzeitspaläste aus Gips, freundliche Menschen. Überall das gleiche Lächeln, Staunen. Aus Deutschland? Wir bekommen eine Führung im Stadion von Flora, vor dem Länderspiel Finnland-Kosovo geleitet uns die Polizei zur Kasse.

Als ich "das Knistern in den Sternen" beginne, überqueren wir die Grenze nach Montenegro. Schluss mit der Freundlichkeit, dem opulenten Essen für wenig Geld, Platz am Meer und sauberem Wasser. Abends auf dem Balkon unseres Apartments schaue ich auf die fernen albanischen Berge unterm Mondaufgang und heule. Stefanssons Ich-Figur hat seine Mutter verloren, ich mit ihm. Die isländische Familiensaga bannt mich zwei Tage lang in Trauer, bis ich auf dem Heimweg über den märchenhaften Skardar-See und im Flieger von Podgorica mit dem digitalen Erzählungsband "Ferngespräch" das Lächeln wiederfinde. Der Kater einer der Figuren Alejandro Zambras bekommt plötzlich Junge, wird von Pedro zu Pedra umgetauft und gewinnt ihm den kleinen Sohn zurück. Eines der Kätzchen, das weiße, leckt dem Vater die Wange und Pegi schickt mir per Instagram ein Bild - wir alle vor unserem türkisgrünen Meer.

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