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Literatur

Urlaubsqualen – welche Bücher gehören ins Reisegepäck?

Urlaubsqualen – welche Bücher gehören ins Reisegepäck?

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSonntag, 04.09.2016

Vor jeder Reise überkommt mich Panik - welche Bücher soll ich mitnehmen? Nicht zu viele, nicht zu wenige. Nicht zu dicke, nicht zu schmale. Ein paar Tage sollte mich ein Roman schon gefangen nehmen können. Keine geborgten Bücher, weil ich nicht für Rückkehr und akzeptables Aussehen garantieren kann. Bevor ich Taucherbrille, Medikamente und Kleidungsstücke zusammensuche, wächst der Bücherstapel. Tagelang sortiere ich um und nehme am Ende noch ein, zwei Reserve-Romane mit. Für zehn Tage Balkan sind es sieben Bücher geworden, dazu der Reiseführer und ein Autoatlas.

Auf der Hinfahrt erweist sich Jenny Erpenbecks „Geschichte vom alten Kind“ mit seinen 125 Seiten sowohl als handtaschentauglich wie entspannend, um nach 12 Stunden Autofahrt im slowenischen Hotel angelesen zu werden. Auf der Fähre von Zadar in die dalmatinische Inselwelt habe ich es geschafft und bin verzaubert. Meer gucken, Karte betrachten. Neues Buch holen. Uwe Radas „Die Adria“, bereits gelesen und für informativ wie poetisch befunden, wird durchgeblättert. Unsere Insel ist nicht erwähnt, aber die Geschichte der nicht allzu weit entfernten Heimstatt der roten Zora. Noch ein wenig zur Piraterie auf der Adria vorgelesen, dann sind wir da.

Mit Hilfe des Reiseführers und Dank der Hinweise eines Segler-Forums finden wir ein ehemaliges Fischerdorf mit einigen Ferienwohnungen. Hafen, Touristen-Büro und drei Kneipen nebst W-Lan. Einsame Buchten und den nächsten Nacktbader erst in hundert Metern Abstand. Am Abend in der Pension: Bücherstapel bauen am Bett. Carson McCullers „Frankie“ - bereits nach den ersten Sätzen bemerke ich: es ist alles noch frisch im Gedächtnis, weil unlängst verschlungen und mit jeder Zeile geliebt. Wie konnte mir das passieren? Wenigstens noch einmal die Beschreibung der Köchin: „Nur eines stimmte nicht bei Berenice: ihr linkes Auge war aus leuchtend blauem Glas. Es starrte unbeweglich und wild aus ihrem stillen dunklen Gesicht, und kein Mensch hatte je begriffen, warum sie sich gerade ein blaues Auge gewünscht hatte. Das rechte Auge war braun und traurig.“

Mit Bedauern verstaue ich Frankie ganz nach unten und greife Gisela Elsners „Die Riesenzwerge“. In Berlin mit der Lektüre begonnen, schwanke ich von Beginn an, wie ich das Buch einordnen soll. Ist die minutiöse Beobachtung des dünnen Kindes Lothar und seiner seltsamen Eltern ironisch gemeint oder nicht? Jetzt quäle ich mich durch das knapp 30 Seiten lange Kapitel „Der Knopf“, worin ein Lehrer (und der vermeintliche Vater Lothars) seine Schüler militärisch streng befragt, wie sie das Problem eines abgefallenen Knopfes lösen würden ... Ich gebe auf.

Das nächste ist Barbi Markovičs „Superheldinnen“. Die in Wien lebende Serbin schreibt von einer eben solchen Superheldin, Kindheit und Jugend in Belgrad, Erwachsenenleben in Wien. Arbeitet mit ihren Freundinnen Mascha und Direktorka für die Zeitschrift Astroblick und verfügt über dunkle Kräfte. Bis Seite 143 weiß ich noch nicht genau, wie diese funktionieren, aber jede Menge über Belgrad, Tauben, das rotzige Kind (welches am Berliner Alexanderplatz sein Unwesen treibt) und die Melancholie der mittellosen Kreativen in Wien. Ein wunderbares Buch, 45 Seiten habe ich noch.

Am Meer lese ich „Lagerfeuer“ von Julia Franck und bin begeistert. Ein Episodenthriller um das Aufnahmelager Marienfelde im Westberlin der Siebziger Jahre, brillant, unterhaltsam und traurig. Als ich nach den letzten Zeilen aufblicke, ziehen zwei Delfine an der Bucht vorbei.

Was danach in die Badetasche packen? Den Skizzenblock, Aquarellstifte, Pinsel und „Ich höre dich mit meinen Augen“ des slowenischen Philosophen und Kulturkritikers Slavoj Žižek. Die bosnischen Muslime, erfahre ich, sind vor dem jüngsten Krieg und den Qualen, denen sie ausgesetzt waren, die wohl „kosmopolitischste“ ethnische Gruppe in Ex-Jugoslawien gewesen; sie hatten praktisch keinen Sinn für nationale Identität, sondern nahmen erst in Reaktion auf die Gewalt ein Gefühl dafür wahr. Wie entsteht der Ausbruch ethnischer Gewalt, fragt Žižek? „Worauf beruht unsere Intoleranz gegenüber Fremden? Was irritiert uns an ihnen und stört unser psychisches Gleichgewicht?“ Das wesentliche Merkmal dieser Ursache kann nicht in einer klar definierten und beobachtbaren Eigenschaft lokalisiert werden, setzt er nach. „Unsere Beziehung zu diesem unergründlichen traumatischen Element, das uns im Anderen stört, ist in Phantasmen gegliedert (über die sexuell/politische Allmacht des Anderen, über „deren“ seltsame sexuelle Praktiken, über deren geheimen hypnotische Kräfte usw.).“

Beim Zeichnen der mediterranen Fremde lasse ich Žižek sacken. Abends schreibt mein Sohn auf Whatsapp; hör dir mal Jennifer Rostock an! Er bekommt den erhobenen Daumen zurück. Erstaunlich ruhig die Nachrichtenlage. Floridas Tornado wurde runtergestuft, Mutter Theresa heiliggesprochen. Ich studiere den Autoatlas und plane die Rückfahrt über den kroatischen Nationalpark Plitvička (die Wege nicht verlassen, Minengefahr!), Bosnien (nochmal bei Uwe Rada nachlesen!), Ungarn und Tschechien (vielleicht doch die „Riesenzwerge“ aktivieren?). Für die letzten Badetage borge ich mir „Weisses Rauschen“ Don DeLillos von meinem Freund. Hoffentlich reicht es.

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