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Literatur

Tanz den Spatz

Tanz den Spatz

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtSamstag, 08.12.2018

Wenn ich an dieser Stelle ein Buch preise, bin ich mir meistens selbst nicht ganz sicher, ob ich nicht etwas übersehen habe oder mich nur von einer momentanen Stimmung leiten lasse und meine Meinung irgendwann noch einmal ändern muß. Ich mißtraue mir selbst als Publikum viel zu sehr. Genauso mißtraue ich aber auch meinem Publikum und versuche, mich weder von positiven, noch von negativen Reaktionen auf Texte beeinflussen zu lassen. Das Publikum, an das man sich eigentlich wendet und vor dem man bestehen will, wartet ja irgendwann in einer fernen Zukunft.

Anders ist das, wenn ich für Kinder schreibe, weil Texte sinnlos wären, wenn sie nicht sofort funktionieren würden, bei Kindern muß ich nicht auf die Zeit als Richter warten, weil sie ungefiltert reagieren, jedenfalls solange sie dem zerstörerischen Preteen-Kommerz der Unterhaltungsindustrie noch nicht zum Opfer gefallen sind. Wenn z. B. der geist- und seelenabstumpfende Musical-Kitsch für Erwachsene als Kinderversion reproduziert wird, wie bei der glubschäugigen Lolita-Eisprinzessin Elsa von Disney (was ist mit Disney passiert? Gab es da nicht mal das "Dschungelbuch"?), fühlt sich das für mich an, als würde man alles, was am Menschen in einem frühen Alter noch unverdorben und liebenswert ist mit dem Flammenwerfer des Zielgruppenzynismus niedermachen. Soldaten spielende Kinder könnten keine perversere Imitation der Erwachsenenwelt sein als das hysterische Schlager-Mienenspiel dieser seelenlosen Lolita-Larve, und daß ihr musikalischer Part in der deutschen Version von einem mit verbissenem Ehrgeiz gnadenlos auf Durchschnitt designten Gesangssimulakrum übernommen wird, ist von einer bedrückenden Konsequenz.

Bin ich ein verbitterter Erwachsener, der seinen Kleinen keinen Spaß gönnt? Hätte ich früher auch "Nietenhosen", Elvis Presley und Sprechblasen in Comics abgelehnt? Nein, denn das waren genuine Phänomene einer Jugendkultur, während diese computeranimierten Kindfrauen für Niedlichkeitsjunkies ausschließlich kommerzielle Produkte sind und wie die Verfilmung ihres eigenen Merchandisings wirken. Wenn es kulturpessimistisch ist, festzustellen, daß die Schund- und Schmutzliteratur früher besser war, setze ich mich dem Vorwurf gerne aus. Wünsche ich mir mein Blechspielzeug zurück? Nein, denn es ist ja nicht so, daß es heute weniger gute Produkte für Kinder gäbe als früher, es gibt wahrscheinlich sogar mehr als je in der Geschichte der Menschheit, man wird sie nur in Handel und Medien kaum finden, wenn man nicht aufmerksam danach sucht. Nicht ich bin reaktionär, sondern Produkte wie dieser Disney-Film, die Neuem im Weg stehen.

Als Eltern kommt man gegen diese Lawine, die man auf die eigenen Kinder zurollen sieht, natürlich nicht an, es wird kaum gelingen, sie zu stoppen, und es hätte keinen Sinn, sein Leben zu einem Waldorf-Kindergarten zu machen. Die einzige Chance sehe ich darin, Vergangenheit und Gegenwart nach Schätzen abzusuchen, um das Immunsystem der Kleinen gegen den globalen Kommerzkleister zu stärken. Es ist klar, daß ich dabei subjektiv vorgehe, aber warum auch nicht? Wenn die Alternative ist, vor der Unterhaltungsindustrie zu kapitulieren und sich dem Schrott auszuliefern, der saisonal gerade angespült wird?

Besonders schwer tue ich mich mit Kindermusik, oft klingt sie wie Billigproduktionen von Musikern, die zu unbegabt sind, um sich vor ein erwachsenes Publikum zu trauen. Dabei muß man sich für Kinder viel mehr Mühe geben als für Erwachsene, sie sind schließlich noch in der Entwicklung. Deshalb weise ich hier mit großer Freude auf eine neue CD mit Kinderliedern eines der begabtesten und produktivsten Songschreibers Deutschlands hin: "Tanz den Spatzvon Sven van Thom. Mancher wird Sven van Thom als den musizierenden Bühnenpartner von Gotti kennen, die beiden treten seit Jahren als "Tiere streicheln Menschenauf, ein Format, das zu recht auf Dauertournee durch Deutschland ist. Sven van Thom schreibt für jedes Programm neue Lieder, ich weiß nicht, wie er das macht, zumal er Multiinstrumentalist ist und alles selbst einspielt und live mit Gitarre, Loops und unter Drücken diversester Fußtasten, performt. (Auf "Tanz den Spatzspielt er Gitarren, Bass, Schlagzeug, Percussion, Cajon, Keyboards, Theremin, Kalimba, Ukulele, Banjo, Mandoline, Mellotron, Korg Monotron, daneben singt er natürlich.)

Das Booklet ist von Mawil gestaltet worden, eine gute Wahl, denn auch er beherrscht die ganze Bandbreite von Jungs-Nonsens bis zu wehmütigem Kindheitsblues. Kinderlieder, die Erwachsene zum Weinen bringen, hat der von mir nach wie vor hoch verehrte Gerhard Schöne einige geschrieben. Sven van Thom traut sich ebenfalls, ab und zu "am Jemüt zu lutschen", obwohl er ein völlig anderes Naturell als Schöne hat und gesellschaftliche Mißstände in den Liedern dieser CD nicht angesprochen werden. Aber wenn man gerade einen schnellen Song über Hunger auf einen mysteriösen Schokoladenpilz gehört hat, der unter dem Bett wächst, trifft einen ein Lied über das lebenslange, innige Verhältnis zur jüngeren Schwester ziemlich unvorbereitet:

"Als ich sieben Jahre alt war, war sie vier,

und ich weiß, ich war nicht immer nett zu ihr.

Ich scheuchte sie aus meinem Zimmer,

sagte, daß sie nervt und schlimmer:

'Mein Freund Roy ist da, und wir wollen dich nicht hier."

Das Bild von Mawil zu diesem Lied zeigt Bruder und Schwester im Doppelstockbett, unter dem die Schultasche, Pantoffeln und ein Tennisball liegen. Sie hat Pferde auf der Bettdecke, er das Batman-Logo, an seiner Wand hängt ein Samantha-Fox-Poster und sie unterhalten sich durch ein selbstgebasteltes Membran-Telefon.

"Doch wenn Roy am Abend längst gegangen war,

verstand ich mich mit meiner Schwester wunderbar.

Hatte man uns ins Bett gebracht,

quatschten wir noch die ganze Nacht,

Leise, daß uns niemand hörte - ist ja klar."

Als Eltern wünscht man sich für seine Kinder, daß sie später im Leben zusammenhalten, auch wenn sie momentan manchmal noch Probleme damit haben.

"Und wir teilten unsre Sorgen,

die kleinsten und die größten.

Wir erzählten uns die Dinge,

die uns manchmal Angst einflößten.

Und war einer von uns traurig,

konnt' der andere ihn trösten.

Wenn niemand zusah, waren wir füreinander da."

Sven van Thom gelingt es, ein paar bisher unbesungene Standardsituationen der Kindheit aufzuspüren, oder bekannte umzuinterpretieren, wie bei "Nicht schon wieder an die Ostsee", das sozusagen ein performativ widersprüchlicher Sommer-Hit ist, den man auf dem Weg zum nächsten Ostsee-Urlaub unbedingt im Auto hören sollte ("Vierzehn Tage frieren am Strand/ und der Schlüppi voller Sand"). In "Nie wieder heim" will der Junge noch nicht nach Hause, obwohl es dunkel wird, aber man wollte doch noch so viel machen. Daß man aufhören soll, wenn es am schönsten ist, war schon immer eine unlogische Behauptung Erwachsener, denn woher sollte man wissen, wann es am schönsten war? In "Mein neuer Bruder" wird das sensible Thema, ein Konkurrenzgeschwisterkind bekommen zu haben, nonchalant angegangen ("Mein neuer Bruder/ sieht aus wie'n alter Mann./ Keine Haare auf'm Kopp,/ und im Mund kein einziger Zahn"), in "Glatze wie Opa" wird ein Zusammenhang zwischen Opas Entspanntheit und seiner Glatze vermutet:

"Die Ruhe selbst. Opa ist tiefenentspannt.

Mit keinem andern bin ich lieber verwandt.

Er hat immer Zeit, von Eile keine Spur.

Manchmal frag ich mich: Liegt das vielleicht an der Frisur?"

Kleine Kinder leiden noch nicht so unter Sentimentalität wie Erwachsene, was ihnen wohl ein Lied über das Ende des Sommers sagt?

"Der Rasen ist zertrampelt,

das Schwimmbad schließt sein Tor.

Kein Wasser mehr im Becken, nur der Geruch von Chlor.

Der Sprungturm steht so einsam, ohne die Drängelei.

Ich glaube, der Sommer ist vorbei."

Unser Lieblingslied ist, das gebe ich gerne zu, vom ausgelassenen Genre, es handelt davon, daß wir die wichtigen Dinge, z.B. daß Gummistiefel anders als Kaugummi nicht zum Kauen da sind, nicht in der Schule lernen. Wenn man einmal erlebt hat, wie schwer sich ein Kind damit tun kann, ein Gedicht, das ihm nicht gefällt für den Deutschunterricht zu lernen, staunt man doch über die Textsicherheit, die die Kleinen schon nach wenigen Tagen bei so einem komplizierten Text aufweisen:

"Gummistiefel sind nicht zum Kauen da.

Hühneraugen sind nicht zum Schauen da.

Zahnstein ist nicht zum Bauen da,

doch du kannst's ja mal probier'n.

Katzen sind nicht nur zum Miauen da.

Männer sind nicht nur für Frauen da.

Fahrräder sind nicht zum Klauen da.

Doch es kann schon mal passier'n."

An zwei Klassiker, an denen sich jeder Kinderliedschreiber erproben muß, dem Pups- und dem Schlaflied, hat auch Sven van Thom sich gewagt. Der Pupssong ist ein Ohrwurm (wie die meisten Lieder der CD, davor muß gewarnt werde, man hat die Songs wochenlang im Ohr, wenn sie zufällig mal nicht im CD-Player laufen). Das Schlaflied kommt ganz zuletzt, die schwerste Übung des Kinder-Songwritings, weil es natürlich eine reiche Tradition gibt, an der man sich messen lassen muß. Sven van Thom läßt sich hier von Larissa Pesch unterstützen, mit der er auch als Duo "Machete" zusammenarbeitet. Oft gehen mir die Stimmen von sich als große Mädchen gebärdenden Sängerinnen auf die Nerven, mal hört man ein geschlechtsloses Püppchen piepsen, mal hauchen sie alles lasziv nieder, bei Larissa Peschs ungekünsteltem Timbre kann man berührt sein, ohne sich dafür schämen zu müssen.

"Draußen vor dem Fenster

steht ein alter Baum

wacht mit seinen Zweigen

über Deinen Traum".

Es ist ein Lied vom Wunsch, groß und stark zu sein, also kein Kind mehr, den ja fast ausschließlich Kinder haben, und daß es dazu von ganz alleine kommt, wenn man der Natur vertraut, was man auch als Eltern tun sollte.

"Und wenn Du gleich schläfst, bis

in den neuen Tag,

wirst Du, wie der Baum, ganz

langsam groß und stark".

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