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Literatur

Sayaka Murata: Die Ladenhüterin

Quelle: https://www.unidivers.fr/roman-konbini-sayaka-murata/

Sayaka Murata: Die Ladenhüterin

Saša Stanišić
Mit slow erhitzten antiquarischen Stühlen jonglieren
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Saša StanišićMittwoch, 16.05.2018

Ich war noch nie in Japan, ich habe noch nie in einem Supermarkt gearbeitet, und ich war noch nie eine junge unverheiratete Japanerin. 

Ich habe noch nie darüber nachgedacht, was es bedeutet, heute eine junge, unverheiratete Japanerin zu sein, die in einem Supermarkt als Aushilfe arbeitet. 

Im Zentrum (meist zwischen den Supermarktregalen) des rabiaten kleinen Romans "Die Ladenhüterin" von Sayaka Murata schiebt Keiko pflichtbewusst und fast glücklich ihre Schichten und scheint ebenfalls lange Zeit nicht darüber nachgedacht zu haben, was es bedeutet, sie zu sein, also eine junge, unverheiratete Japanerin, Aushilfe in einem "Konbini", einer Art japanischem "Späti". 

Keiko ist sonst auch außergewöhnlich – und schon hat man sich selbst entlarvt als jemanden, der Menschen konsensbasiert sortiert in Standardware auf der einen Seite, und der Norm nicht entsprechende auf der anderen, das Außergewöhnliche eben, etwa weil sich Keiko angesichts des weinenden Kindes ihrer Schwester mit dem Blick auf ein Messer überlegt, dass es einen sehr einfachen Weg gibt, den Schreihals zum Schweigen zu bringen.

Keiko ist alleinstehend und hat bis auf ihre Schwester und ein paar Bekannte keinen Anschluss an ein soziales Umfeld außerhalb des Supermarkts. Beides – das Single sein und die spärlichen Kontakte – ist für Keiko gar kein Problem, es ist sogar so, dass sie sich mit den Bekannten auch bloß deswegen trifft, weil man das eben so macht, um "normal" zu wirken; man hält sich irgendwo auf, wo Menschen sind, und betreibt mit ihnen Unterhaltungen.

Die Imitation eines einiger Maßen geselligen Wesens, um nicht weiter aufzufallen: das ist die Kernproblematik der "Ladenhüterin" – Menschen erwarten von Keiko in jedem sozialen Milieu eine zu diesem Milieu passende Normalität, ein Funktionieren ohne Ecken und Kanten nach teilweise fragwürdigen Regeln des Miteinanders, die jegliche Abweichung beruflich und privat als abnorm erscheinen lassen.

In ihrem Supermarkt wird von Keiko am wenigsten erwartet. Die Regeln, die dort gelten, findet sie logisch, bedient sie ohne Bedenken und fordert sie auch ein, gegenüber den Mitarbeitern. Das Bewerben der Waren, der Umgang mit Kunden, und sogar das Pausengespräch mit Kolleginnen – aufgehend in totaler Imitation deren Verhaltens, deren Einkaufsvorlieben und sogar Sprechweise – Keiko beherrscht all das und genießt es – genießt das "richtige" Handeln am richtigen Ort. Hier, im Rampenlicht des Neonlichts, kann sie am ehesten sie selbst sein, eine hundert Prozent gebende und sich den strukturellen Prozessen der Dienstleistung, des Verkaufens, des Kundentrostes ergebende Arbeitnehmerin. 

Sobald er die Umlaufbahn des Supermarkts verlässt, gerät der Mond Keiko in den Sog des schwarzen gesellschaftlichen Lochs, meine Fresse, war das ein fürchterliches Bild. Es erwarten sie Normen und traditionelle Kodizes verengten, strengen Konformitätsgalaxie, oh Gott, es wird immer schlimmer, aber ich kann das Astronomische jetzt auf keinen Fall fallen lassen – jedenfalls fällt es Keiko extrem schwer, die Regeln zu verstehen und zu akzeptieren, die ihr entgegengebracht werden und das Gefühl geben, sie würde ein falsches Leben führen.

Die Erwartungen richten sich an ihre "Gesellschaftsfähigkeit" und meinen sie als Frau, als Arbeitnehmerin, als Mittdreißigerin. Das Motto lautet: "Der Mensch hat die Pflicht, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein". Passiv-Aggressiv zum Abwinken, aber Keiko ist in ihrer Denke unvoreingenommen genug, um sogar damit glücklich zu sein, wenn es sich nur auf die Arbeitswelt beziehen würde. Aber die Arbeitswelt, wie die anderen sie für richtig halten, sieht es nicht einmal vor, dass eine unverheiratete Mittdreißigerin noch überhaupt arbeitet, allemal nicht als bloße Aushilfe. 

"Heiraten, und zwar egal wen" - heißt es nun gegenüber Keiko, ein offen vorgetragener Aufruf zum Erfüllen einer als Normalität verstandenen Abhängigkeit der Frau von ihrem arbeitstätigen Mann. 

Und Keiko lernt tatsächlich jemanden kennen – einen ehemaligen Angestellten ihres Supermarkts, der dort hinausgeworfen wurde, weil er – so wie Keiko in der Welt da draußen – nicht so richtig hineingepasst hat, Fremdkörper war eines Organismus, der Käuferwünsche befriedigt und Verkäuferwünsche ignoriert. 

Außenseiter meets Außenseiter, aber was sich nun entspinnt, ist gottseidank keine Romanze. Keiko und Shihara – so heißt der junge Mann - gehen eine symbiotische Beziehung ein, sie brauchen und gebrauchen einander für den Schein eines Miteinanders, für die gespielte Erfüllung der moralischen Norm, wie man in Japan "zu funktionieren" habe. 

Doch als Keiko in ihrem Supermarkt kündigt (spannender, nach hinten offener Satz, der das Ende des Buches nicht verrät) ...

"Die Ladenhüterin" ist kein Hammerbuch. Es ist aber ein total okayes Buch, und es ist wirklich sehr in Ordnung, dass es existiert. Bäume werden stilistisch nicht ausgerissen, die Sätze sind halt Sätze, ab und an mal ein längerer dabei, die Charaktere vorstellbar, obwohl teilweise skurril, der Humor da, aber nicht laut. 

Und auch wenn die Welt, die der Roman fasst, geographisch nicht gerade Dormagen ist, können sich viele Themen – vor allem die moralisierende Konformitätsverlangen der Gruppe gegenüber davon ausschlagenden Einzelnen – durchaus, wenn auch weniger streng auf unsere sozialen Umfelder übertragen. 

Umso wichtiger ist der unverfälschte und forsche Innenblick, den Sayaka Murata hier in die japanische Gesellschaft wirft, für die japanische Gesellschaft. Der Roman hat sich immens Mal verkauft. Die Auswüchse der Uniformität als Geisteshaltung und auf der anderen Seite, der Seite des Empfängers, das regelrechte Unterdrücktwerden der Individualität durch die vieles gleich machend wollende Moral, scheinen den Nerv der sogenannten Zeit getroffen zu haben. 

Der Widerstand einer jungen Frau gegen konservative Wertvorstellungen, ein moderner, klarer, guter Roman. 





 

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