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Literatur

Salinger als Religion

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 26.04.2018

Über ein halbes Jahr, nachdem ich "Rebel in the Rye" in Amerika gucken wollte, habe ich es jetzt doch noch in Deutschland geschafft. Dank der schönen Rezension von Fritz Göttler, der von all meinen alten Lieblings-Filmkritikern (Peter Buchka und Michael Althen sind tragischerweise tot, Andreas Kilb schreibt inzwischen für die FAZ über historische Kriegsbücher und Botho Strauß) irgendwie der Last Man Standing ist und in der SZ zum Glück auch die Filme auf dem Schirm hat, die hier nur als DVD auf den Markt kommen, wurde ich noch mal auf Danny Strongs "Rebel in Rye" aufmerksam.

Unter der Überschrift "Schreiben als Religion" macht sich Göttler ein paar gute Gedanken über J.D. Salinger und seine competition um Erfolg und Einsamkeit beim Schreiben (oder die "Schimäre" des Autors als Loner und populäre Filmfigur), steht dem Film aber insgesamt vielleicht ein bisschen zu wohlwollend (oder altersmilde) gegenüber.

Trotzdem (oder gerade deswegen) habe ich mir "Rebel In The Rye" jetzt sofort angeguckt und fand danach die Kritik in der New York Times treffender, die ich hier noch mal aus dem letzten Jahr zitieren möchte:

Mr. Strong seizes on the idea of Holden Caulfield as a Salinger alter ego and runs hard with it. While "Rebel in the Rye" isn't quite as bad as its pile-of-bricks-clunky title suggests, it's both simple- and literal-minded, less concerned with Salinger's consciousness or sensibility than with his ostensible ontological status as a Tortured Creative Giant. Its depiction of Salinger's probable PTSD, the product of his service in World War II, is almost insultingly hackneyed. (...)

Nicholas Hoult plays Salinger with keen timing and palpable commitment, yet seems respectfully removed from the role. The only moments that set a spark pit him against Kevin Spacey as Whit Burnett, an early mentor. Their last scene together ends on a note that would, in a better movie, carry real emotional devastation.

Denn der Film ist tatsächlich besser, als der Titel befürchten lässt, nämlich gleichzeitig literarisch und dennoch filmisch vereinfachend angelegt. Wie jedes Biopic kämpft es mit den ganz normalen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten des Genres, auf die zum Beispiel David Shields (ein weiterer Salinger-Biograf) in seinem Buch "Reality Hunger" ausführlich hingewiesen hat. Stichwort maximale fiktionale Anverwandlung von Authentizität beispielsweise im Method Acting (und gerade dadurch natürlich die bewusst-unbewusste Perversion von so was wie "Authentizität"): Leo di Caprio verwandelt sich in di Caprio als Howard Hughes, Joaquin Phoenix geht, singt und trinkt wie Johnny Cash, Larrry David als Larry David – make it till you fake it, curb your literature-enthusiasm.

Was der Hollywood-Hasser Salinger darüberhinaus von der musikalischen Untermalung seiner Kriegserinnerungen und inneren Schreibmonologe aus dem Off gehalten haben mag, möchte man sich noch nicht mal vorstellen. Komisch, dass offenkundig von ihm begeisterte Filmemacher es nicht schaffen, ein Studio zum Bruch mit diesen Konventionen zu bewegen. Ein Film über Salinger (ungleich Holden Caulfield) hätte sich davon abgesehen trauen müssen, seine Filmfigur nicht penetrant alles "phony" finden zu lassen – nur um damit ein bisschen billige book-credibility zu erheischen.

Und wie gesagt dennoch: Geben sich Nick Holt und Kevin Spacey alle Mühe, der "Realität", wie sie Kenneth Slawenski in seinem Buch zusammenrecherchiert hat, mit ihrem Schauspiel auf die Sprünge zu helfen. Vor allem Kevin Spacey als Salingers charismatischer Creative Writing-Lehrer geht einem seltsam zu Herzen, weil, wie Fritz Göttler schreibt, dies seine letzte Rolle gewesen sein könnte.

Vor dem Hintergrund seiner aktuellen Me-too-Verstrickungen um sexuellen Missbrauch kommt hinzu, dass man bei Kevin Spacey in diesem Film dauernd an Mr. Antolini denken muss, Holden Caulfields Lehrer, der ihm in der tiefsten New Yorker Nacht zunächst Unterschlupf gewährt und ihm dann ausgerechnet in einer der verstörendsten Szenen des "Fänger im Roggen" über den schlafenden Kopf streicheln muss – gerade als man glaubt, alles könnte doch noch gut werden:

Dann passierte etwas, das ich nicht gern erzähle.

Ich wachte plötzlich auf. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es war und so, aber jedenfalls wachte ich plötzlich auf. Ich fühlte etwas am Kopf, irgendeine Hand. Ich erschrak fürchterlich. Es war Mr. Antolinis Hand. Er saß neben der Couch am Boden, im Dunkeln, und streichelte oder tätschelte meinen verdammten Kopf. Ich machte einen meterhohen Luftsprung, glaube ich.

"Was zum Teufel machen Sie denn?" fragte ich.

"Nichts! Ich sitze nur hier und bewundere -"

"Aber was machen Sie denn?" fragte ich wieder. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte - ich fand es wahnsinnig peinlich.

"Könntest du nicht deine Stimme etwas dämpfen? Ich sitze hier nur-"

"Ich muß ohnedies", sagte ich. Großer Gott, ich war vielleicht nervös. Ich fing an im Dunkeln meine verdammten Hosen anzuziehen. Aber ich war so nervös, daß ich kaum dazu imstand war. Mir sind in den Schulen sicher mehr Perverse begegnet als jedem anderen Menschen, und immer müssen sie sich ausgerechnet dann pervers aufführen, wenn ich in der Nähe bin...

Zitiert übrigens nach der alten Böll-Übersetzung, die inzwischen leider von Kiepenheuer&Witsch durch eine Neuübersetzung des sicherlich hochverdienten Eike Schönfeld ersetzt wurde, die ich leider nicht so gut finde.


Salinger als Religion

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Kommentare 3
  1. Tino Hanekamp
    Tino Hanekamp · vor fast 6 Jahre

    Dringender Hinweis: Unbedingt das mit dem letzten Halbsatz verlinkte Interview lesen - was für eine Schlusspointe!

  2. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor fast 6 Jahre

    Ich habe vor wenigen Tagen diesen Podcast zu "Catcher in the Rye" gehört. Die Stelle mit Mr. Antolini stand dort im Fokus. Im Original schreibt Salinger "he was sort of petting me or patting me on the goddam head". Da die beiden Wörter im Englischen phonetisch so nah beinander liegen, in der Bedeutung aber weit entfernt voneinander sind (zumindest wenn es darum geht wie unterschiedlich sexuell aufgeladen die beiden Gesten sind) wird die Situation dort noch deutlich uneindeutiger.
    Sehr hörenswert: http://www.slate.com/a...

    1. Andreas Merkel
      Andreas Merkel · vor fast 6 Jahre

      Guter Hinweis, danke - die Stelle liest sich natürlich wie Salingers ultimative Verunglimpfung der Erwachsenenwelt (oder Abrechnung mit seinem Mentor Whit Burnett?), die ihm kurz vorher noch noble Psychoanalytiker-Ratschläge über Reife und Unreife gegeben hat. Und ist umso tragischer, weil Salinger sich ja später selbst mit seinem Faible für junge Mädchen in Mr. Antolini-Situationen wiedergefunden haben könnte.

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