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Quelle: Rousseau, "Die Bekenntnisse", Artemis&Winkler, München, 1978
piqer für: Literatenfunk Fundstücke
Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er wöchentlich auftritt und neue Texte liest. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle"), aufwendig recherchierte Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien") und das Tagebuch eines abenteuerlichen Lektürejahres "Schmidt liest Proust". Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks" und "Schmythologie" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die ost-westdeutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". 2015 erschien von ihm "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland", eine Entdeckungsreise zu den archäologischen Überresten der DDR-Zivilisation. Auf jochen-schmidt.blogspot.de sammelt und kommentiert Jochen Schmidt seine fotografischen Fundstücke. Zuletzt erschienen von ihm "Der Wächter von Pankow", "Ballverliebt" und "Zuckersand".
Im Studium war ich Rousseau-Fan, weil ich mich in diesem naturverbundenen, ständig gekränkten, äußerst mißtrauischen, in der Öffentlichkeit bis zur Erstarrung ungeschickten Menschen wiederfand, der ständig die anderen zugedachten Schläge einsteckt, und der als Dilettant zu allen geistigen Fragen seiner Zeit etwas zu sagen hatte, immer mit dem Anspruch, aus seinem eigenen Herzen die eigentliche Wahrheit zu schöpfen. Ich wollte immer ein Stück über Rousseau schreiben, weil mir seine Macken so komisch vorkamen, bei modernen Autoren gehören sie ja zur Folklore, aber bei einem Aufklärer aus dem 18.Jahrhundert? Wie produktiv es war, wenn man seine Macken zum Thema machte, aber bis in die Nuancen! Und auch die sexuellen Idiosynkrasien, ein Mann, viel chaotischer und damit menschlicher als sich Goethe geschildert hat. Und jetzt gibt es einen ganzen Rousseau-Roman, natürlich mal wieder nicht von mir! Wenn ich Rousseau wäre, würde ich eine Verschwörung wittern. Das Buch von Karl-Heinz Ott heißt "Wintzenried", trägt also den wundervoll widerlichen Namen des Mannes, der Rousseau bei seiner "Maman", seiner Geliebten und Gönnerin vertrieben hat, wodurch Rousseau nach seiner Lesart erst zum Autor wurde und sein ganzes Unglück begann. Denn er wäre natürlich lieber Träumer und Spaziergänger geblieben und geriet so unter die Menschen, wo man sich von sich selbst nur entfremden kann. Eigentlich wird im Buch kaum etwas erzählt, was nicht auch in den "Confessions" stehen würde, auch da war es schon komisch, aber so als Roman macht sich der Stoff trotzdem gut. Z.B. wie Rousseau tagelang in Medizinbüchern blättert und sich die entsetzlichen Zeichnungen ansieht: "In allem entdeckt er sich selbst, sein ganzes, ungeheuerliches, grenzenloses Leiden. Im Grunde könnte er dem Doktor verkünden: Ich habe alles! Doch er will sich bei seiner nächsten Visite aufs Wesentliche beschränken und ihn lediglich davon überzeugen, daß sich in sein Herz in Polyp hineingefressen hat."
Schöner Artikel. Danke.
Mein Lieblingssatz: "Denn er wäre natürlich lieber Träumer und Spaziergänger geblieben und geriet so unter die Menschen, wo man sich von sich selbst nur entfremden kann."
Hier noch der Link zum erwähnten Wintzenried-Buch von Karl-Heinz Ott. Klingt wirklich sehr interessant.
www.hoffmann-und-campe.de/buch-info...
Die Philosophen scheinen alle ihre Körperfunktionen besonders zu beobachten. Kant formulierte sogar eine Theorie über seinen Darm ...