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Literatur

Richard Hell I: Autobiographie

Richard Hell I: Autobiographie

Felix Lorenz

Schreibt hier über Literatur und Literaturähnliches.

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Felix LorenzDienstag, 25.04.2017

Richard Hell war immer sowas wie mein Lieblings- … ja, was eigentlich? … mein Lieblingstyp vermutlich. Hell war Bassist in mehreren New Yorker Punkbands der Siebziger, zuerst bei Television, dann bei den Heartbreakers und schließlich bei den Voidoids. Bis auf “Blank Generation” liegt sein bleibender Einfluss aber eher im Kleidungsstil: Die zerschlissenen T-Shirts, die Strubbelhaare, die Sicherheitsnadeln, das alles hat Richard Hell zuerst getragen.

Jemandem, der so wesentlich an der Entstehung von Punk beteiligt war, fällt es schon mal nicht schwer, mein Lieblingsirgendwas zu werden. Im Gegensatz zu anderen hat es Richard Hell aber nie zu dem Status gebracht, bei dem man im Pop-Duktus als “Ikone” gilt. Er ist kein Sid Vicious, keine Debbie Harry und kein Ramone. Seine Autobiographie I Dreamed I Was a Very Clean Tramp hat vielleicht auch deshalb weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen als die Bücher von Bob Dylan oder Patti Smith. In ihr schildert Hell sein Leben von der Kindheit in den Fünfzigern über die Jahre als Bohème-Lyriker in New York der Sechziger und frühen Siebziger bis zu einer passablen Musik- und veritablen Drogenkarriere in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern.

Mich interessieren Rock-Biografien meistens nicht, weil ich immer befürchte, dass ich eine Lebensgeschichte kaufe und dann nur eine Sammlung von Anekdoten bekomme. In Richard Hells Autobiographie gibt es natürlich auch eine Reihe guter Anekdoten. An einer Stelle berichtet er von einem Gespräch mit Dee Dee Ramone:

He was like a toddler, stumbling and misunderstanding what just happened, but who recovers instantly to plow ahead grinning proudly, endearingly, hilariously. […] In a minute, Dee Dee was explaining the group’s songs and he said the first one they’d written was “I Don’t Wanna Walk Around with You,” and the next one was “I Don’t Wanna Get Involved with You,” and then “I Don’t Wanna Go Down to the Basement.” I don’t wanna this and I don’t wanna that. Finally he offered, “We didn’t write a positive song until ‘Now I Want to Sniff Some Glue.’” Someone who was actually dumb would never be able to think of that, which of course makes it even funnier.

Das Interesse an Mythenbildung und Gossip hält sich bei Hell aber in Grenzen. Dazu ist er ein zu genauer Beobachter und Selbstbeobachter und außerdem nimmt seine Kindheit und Jugend einen viel zu großen Teil des Buchs ein. (Was fast der beste Abschnitt ist, unter anderem wegen den großartigen Bildunterschriften. Bei einem Kindheitsfoto von ihm steht als Beschreibungstext nur “crazy about Mimi McClellan”, ein Mädchen aus seiner Schulklasse.)

Richard Hell war in der CBGB-Szene vielleicht derjenige, der sich am meisten im Klaren darüber war, was er machte – oder zumindest ist er derjenige, der darüber am besten schreiben kann. Hell weiß ziemlich gut, wie man Dinge zur Perfektion bringt, aber wenn sie nicht gleich wieder gebrochen werden, wenn sie zu souverän erscheinen, fühlt er sich unbefriedigt. Etwas erscheint falsch, wenn alles richtig ist. Das merkt man in seiner Musik, aber auch in seinem Schreiben. Und letztendlich ist das auch die ästhetische Grundoperation, die Punk als Phänomen noch Jahrzehnte später gar nicht besonders alt erscheinen lässt.

Es ist diese Mischung aus Intelligenz und der Langeweile, sie zu gebrauchen. Wenn das Hirn sich an sich selbst begeistert, einen Gedanken fasst und dann schnell das Interesse verliert, weil nicht gleich noch ein mindestens genauso guter daherkommt. Instant gratification auch im Denken: Der Thrill, die Unberechenbarkeit, und dann wieder alles fallen lassen. Aber Richard Hell kann das alles selbst viel anschaulicher ausdrücken als ich:

I love a racket. I love it when it seems like a group is slipping in and out of phase, when something lags and then slides into a pocket, like hitting the number on a roulette wheel, a clatter, like the sound of the Johnny Burnette trio, like galloping horses’ hooves. It’s like a baby learning how to walk, or a little bird just barely avoiding a crash to the dirt, or two kids losing their virginity. It’s awkward but it’s riveting, and uplifting and funny.

Hell muss sich andauernd selbst irritieren. Und das produziert natürlich auch Inkohärenzen. Das Buch ist manchmal sprunghaft und ruppig, es gibt einzelne Passagen, die langatmiger sind, aber dann schafft er es wieder, Satz für Satz Großartigkeiten aneinander zu reihen, und auf diese Erhebungen kann man sich verlassen.

Nur der Schluss ist leider etwas schwach und abrupt geraten. Mitte der Achtziger endet die Autobiographie, an dem Punkt, an dem Richard Hell die Musik sein lässt (und auch das Heroin). Als ein Epilog flattert noch eine kurze Episode aus der Gegenwart nach, aber eigentlich hätte man lieber gewusst, wie es in der Zeit dazwischen mit ihm weiterging.

Richard Hell: I Dreamed I Was a Very Clean Tramp. Ecco, 2013.

Eine deutsche Übersetzung ist unter dem Titel “Blank Generation” 2015 bei der edition Tiamat erschienen.

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