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Literatur

Prinz Ehtedschab

Prinz Ehtedschab

Felix Lorenz

Schreibt hier über Literatur und Literaturähnliches.

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Felix LorenzFreitag, 31.03.2017

Das Jahr 1969 war ein gutes Jahr im Iran – zumindest was Literatur und Film angeht. Von Huschang Golschiri erschien der kurze Roman Prinz Ehtedschab und Dariush Mehrjui drehte den Film Die Kuh. Beide Werke haben für ihre jeweilige Kunstform im Iran die Stellung eines Urtextes: Prinz Ehtedschab gilt als das Buch, das maßgeblich zeitgenössische modernistische Erzähltechniken aus dem Westen im Iran eingeführt hat, und mit der Kuh eignete sich das persische Kino die filmischen Verfahren des italienischen Neorealismus an, um sie in der iranischen bäuerlichen Provinz neu einzusetzen. Spuren von beiden Werken findet man auch noch in heutigen Büchern und Filmen. In Asghar Farhadis The Salesman zum Beispiel, der kürzlich den Auslandsoscar gewonnen hat, wird an einer Stelle eine Schulklasse bei einer Filmsichtung gezeigt und sie sehen, natürlich, Die Kuh.

Beide Werke hatten unter dem Schah-Regime einen schweren Stand, obwohl ihre Erzählweisen sehr unterschiedlich sind. Die Kuh war zu realistisch und so unverschämt, das Landleben so karg zu zeigen, wie es im Iran der 1960er Jahre auch in etwa gewesen sein muss, also wurde der Film verboten. Prinz Ehtedschab ist alles andere als ein realistischer Roman, aber er kann doch recht eindeutig als Kommentar auf die Herrscherdynastie der Pahlavis gelesen werden.

Golschiri siedelt den Roman Anfang des 20. Jahrhunderts an. Der letzte Abkömmling der Kadscharen-Dynastie, eben der Prinz Ehtedschab, lebt in einem zunehmend heruntergekommenen Haus und führt dort ein zurückgezogenes Leben. Die meiste Zeit verbringt er in einem Zimmer, lässt sich bedienen und betrachtet die Galerie seiner Ahnen an der Wand. Neben Beschreibungen dieses Zustands, die viele einschlägige Topoi der Dekadenz aufgreifen, zeigt der Text immer wieder die Gedankenwelt des Prinzen. Die Bilder seiner Ahnen lassen ihn über seine eigene Biographie nachdenken, Erinnerungen kommen hoch und verschwinden wieder, Szenen aus dem Familienleben und Beschreibungen der Machtausübung über die Generationen hinweg. Oft hat man den Eindruck, der Prinz ist gerade dabei zu delirieren, denn die einzelnen Erinnerungsszenen sind keine distinkten Episoden. Sie transformieren sich unmerklich ineinander und vermischen sich auch mit Beschreibungen des Lebens in seinem Zimmer.

Das alles ist hochgradig stilisiert (Golschiri kann ein sehr großes Stimmenregister abrufen) und man kann keinen direkten Bezug zu historischen Geschehnissen im Iran herstellen. Aber die Darstellungen dessen, wie familiär gebundene Staatsmacht funktioniert – und das aus der Perspektive eines Herrschenden, dem Prinzen –, und die grotesken Beschreibungen der Handelnden sind für jeden erkennbar als allegorischer Hinweis auf das Regime der Pahlavis. Die Allegorie bietet Raum für poetisches Schreiben und hat gleichzeitig eine Schutzfunktion. Der doppelte Boden ist eine Absicherung gegen Zensurvorhaben und auch die assoziativ-erinnernde Struktur in Prinz Ehtedschab ist Teil dieses Schutzmechanismus. Uneindeutigkeit hilft.

Die allegorische Verwendung von klassischen und historischen Stoffen war immer eine der Möglichkeiten, unter dem Radar der Zensur zu bleiben. Auch in der DDR benutzten Autoren Stoffe der antiken Sagenwelt und codierten sie auf die neuen Machthaber um und Heiner Müller etwa nahm die Gefährlichen Liebschaften von Laclos und machte aus den Liebesintrigen ein Staatsschauspiel (Quartett). Solche Techniken des Umgangs mit Zensur lassen sich auch heute noch anwenden und auch in Kino und Literatur des Iran kann man sie immer wieder antreffen.

Der Anspruch der gelungenen Allegorie ist, als unabhängiges Kunstwerk genauso wirken zu können wie als Verweiszusammenhang auf die Umstände, in denen sie entstanden ist. Für Leser, denen, wie mir, Andeutungen auf die Zusammenhänge im Iran fern sind, geht sicher einiges vom Anspielungsreichtum und von der Dichte des Romans verloren. Die einmalige Technik, wie sich Wahrnehmungsinhalte verschieben, ohne dass man Schnitte zwischen den unterschiedlichen Assoziationen erkennen kann, macht ihn aber so oder so zu einer sehr feinen Lektüre.

Huschang Golschiri: Prinz Ehtedschab. Übersetzt von Anneliese Ghaharaman-Beck, Nachwort von Navid Kermani. München: C.H. Beck 2001.

Auch enthalten in: Huschang Golschiri: Der Mann mit der roten Krawatte. Übersetzt von Anneliese Ghaharaman-Beck. München: dtv 2001.

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