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Literatur

Ode auf die Schreibmaschine

Ode auf die Schreibmaschine

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtDonnerstag, 04.03.2021

Es war in den Achtzigerjahren, tief in der DDR, dass ich mir eine erste Schreibmaschine kaufte. So ein riesenhaftes Ungetüm. Voll mechanisch mit einem Farbband Rot und Schwarz, eine lange schmale anarchistische Fahne.

Von Computern hatte ich zwar schon gehört, aber sie schienen mir nur dazu entwickelt, dass einige Freunde von mir den Nachmittag mit Videospielen vergeuden konnten. Man schloss einen kleinen Kasten an den Fernseher an und simulierte eine Art Tennisspiel mit Strichen und Kästchen und einem anfangs lustigen, aber immer nerviger werdenden Plopp-Plopp.

Ich las damals viele Gedichte Pablo Nerudas, vor allem mochte ich seine Elementaren Oden. Antiquarisch sind sie hier und da zu haben. Ich las in einer Ausgabe des Verlags Volk und Welt. Die Übersetzungen stammten von Erich Arendt.

Von Schreibmaschinenkunst hatte ich noch nichts gehört, obwohl sich das Ende der Schreibmaschine als Arbeitsgerät langsam angekündigte. Auch das Ende der DDR kündigte sich an, aber ich hörte es nicht. Die politischen Verhältnisse schienen mir steinern.

Vielleicht lagen mir deshalb Nerudas Oden so friedlich am Schreibtisch. Er sang das Brot, das Wasser, die Zwiebel, all solche Sachen, die sich gleich blieben, ohne die aber eine sich verändernde Menschheit verloren wäre. Sachen, die wir damals schon angefangen hatten zu verschmutzen und zu zerstören, ohne das das Anthropozän schon zum Begriff geronnen wäre.

Ich hatte mir jedenfalls eine Schreibmaschine gekauft, die Mercedes hieß, und schwer auf dem Sprelacart-Schreibtisch in meinen Studentenwohnheimzimmer lastete. Ich teilte das Zimmer mit drei Kommilitonen, entsprechend klein waren die Schreibtische und entsprechend viel Platz nahm die Maschine ein. Und ich tippte mit zwei Fingern und langsam einen Text, den ich „Ode an die Schreibmaschine“ nannte und der heute verschollen ist, wie Mercedes übrigens auch. Nerudas Gedichte aber sind mir in der Übersetzung Erich Arendts erhalten geblieben.

Diese Erinnerung wird wach, weil ich gerade meine Bücher und Bilder in meinem Zimmer neu sortiere. Dabei sind mir einige Objekte in die Hand gefallen, die sich unmittelbar auf die Schreibmaschine beziehen, beziehungsweise aus ihren technischen Möglichkeiten jenseits der Sprachproduktion hervorgegangen sind.

Unter anders herum habe ich ein Bild von Ruth Rehfeldt gerahmt. Einen kleinen signierten und numerierten Druck auf orangenem Papier. Rehfeldt entwickelte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine bildnerische Kunst, die sie mit der Schreibmaschine herstellte. Und die grafischen Oberflächen unterscheiden sich von frühen Formen der Computergrafik ums Ganze. Während dort aus Nullen und Einsen ein Objekt geformt wurde, das noch in den kleinsten Verästelungen das reduzierte Ausgangsmaterial verriet, stand Rehfeldt in ihren Arbeiten der komplette Satz Buchstaben und Satzzeichen zur Verfügung. Das Bild, das ich rahmte, trägt den Titel "Erweiterung" und lässt aus Buchstaben und Zeichen, und damit dem Titel gebenden Wort, einen Raum entfalten. Einen Denkraum, aber auch eine Sphäre.

Noch vor der letzten Documenta, auf der die Künstlerin entdeckt oder wiederentdeckt wurde, machte Elke Erb in einem ihrer kurzen Beiträge auf der Seite poetenladen.de, die Erb "Poetics" nennt, auf sie aufmerksam.

Diese Schreibmaschinenarbeiten, denen man ihre analoge Produktionsweise meiner Meinung nach ansieht, kommen wahrscheinlich in ihrer Besonderheit erst nach dem Ende der Schreibmaschinenära zum Tragen, als entstünde aus dem Kasten neuerlich eine Aura.

Und um diesen Text aber etwas melancholisch ausklingen zu lassen, verweise ich noch auf eine kleine Produktion des Dichters und Wissenschaftlers Felix Fillipp Ingold, der in seinem bei Moloko erschienenen Chapbook "Ausgetippt" die Maschine in ihrem technischen, aber auch ästhetischem Charakter aufleben lässt, und gleichzeitig darauf verweist, dass die physischen Momente des Schreibens verschwinden und somit auch die durch sie zuweilen unmerklich induzierten Inhalte. Und auch dieses Buch schließt mit bildnerischen Arbeiten, die mit einer Schreibmaschine angefertigt wurden.

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Kommentare 1
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    Ich verbinde mit Schreibmaschinen auch ganz eigene Geschichten... Mein Vater an einer gußeisernen Adler (so habe ich es jedenfalls in Erinnerung :- )), das richtige Hämmern und sich die Finger verkratzen beim Abrutschen und die schon herrlich leichtgängige moderne Schreibmaschine die zwar noch Farbbänder aber auch schon einen minimonitor für die zwei vorzutippenden speicherbaren sätze hatte... nicht zu vergessen eine Korrekturtaste!
    keine Abstürze kein Überarbeiten und kein Umschmeißen beim Schreiben - nein: fertige Texte (ab)schreiben.
    noch in hunderten von Jahren nutzbar.
    und dennoch.

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