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Literatur

Mein Leben mit TC Boyle: "World's End"

Quelle: https://www.flickr.com/photos/nasa_ice/8598330174/

Mein Leben mit TC Boyle: "World's End"

Aleks Scholz

Astronom und Autor. Geboren 1975, nach Stationen in Toronto und Dublin jetzt in St Andrews in Schottland.

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Aleks ScholzMontag, 19.12.2016

Manchmal passen Bücher wie gute Schuhe. Sie fühlen sich an wie ein zweite Haut, die man erst wieder auszieht, wenn sie einem in Fetzen von den Füßen fällt. Man fragt sich, wie man je ohne dieses Paar Schuhe gelaufen ist. World's End ist so ein Schuh-Buch. Es war das erste Buch, das genau zu mir passte, das Buch, das ich immer dabei hatte. Jeden Tag schlug ich das Buch irgendwo auf, um ein paar Seiten beinahe auswendig vor mich hinzumurmeln. Das ist jetzt mehr als zehn Jahre her.

Und es heißt natürlich nichts. Sehr schlechte Bücher können sich zufällig so anfühlen, als würden sie etwas bedeuten. World's End ist kein schlechtes Buch, aber meine persönliche Obsession steht einer einigermaßen gerechten Beurteilung leider unüberwindbar im Wege.

World's End beruht auf der Idee, dass meine Gene schuld an meinem Unglück sind, und außerdem schuld an dem Unglück, das ich anderen bereite. Ein Urahne hat, genau wie ich, einen Fuß verloren, nur nicht in einem Motorradunfall, weil es damals noch keine Motorräder gab. Stattdessen wurde ihm der Fuß von einer Schnappschildkröte abgebissen. Urahne Harmanus zerstörte die Familie, indem er alles aufaß, alles, die Wintervorräte, das Vieh, die Eicheln. I'm hungry. Es ist nur logisch, dass ich unter ähnlichen Hungerattacken leide. Eine sehr attraktive Idee, zu einem gut gefüllten Kühlschrank gehen und einfach alles aufessen, Artischocken, Heringe, Kartoffelsalat, gesteuert von jahrhundertealten Trieben. Überhaupt ist das Buch voll mit attraktiven Ideen, beschrieben in blumiger, ausschweifender Sprache. Zum Beispiel, dass die Lösung aller Rätsel in Barrow wartet, der nördlichsten Stadt Amerikas, wo Eskimos in der Kneipe sitzen und gefrorenes Fleisch auf den Häusern liegt. Der persönliche Nordpol.

Meine Frau betrüge ich auch nicht, weil ich ein Idiot bin, sondern weil es in meinen Genen steckt. Verrat steckt in der Familie, ich kann nichts dagegen tun. World's End erklärt nicht nur, warum ich ein Idiot bin, sondern warum ich mich gut dabei fühle. I'm soulless, hard, and free, bilde ich mir ein, nur bin ich eben doch nicht so frei, wie es mir vorkommt. Mein nihilistisches Heldentum, von dem ich nie richtig überzeugt war, ist eine Lüge. Ich kann es nicht ändern. Ich muss alle, die mich mögen, verraten. It's in the blood, Walter. It's in the bones.

Die Qualität von Büchern steckt auch in den Knochen. Ein gutes Buch funktioniert hierarchisch auf mehreren Ebenen. Als erstes muss es gute Sätze haben. An guten Sätzen führt kein Weg vorbei. Aus Schlamm kann man keinen Roman bauen. World's End hat jede Menge gute Sätze. Zum Beispiel den hier: He was a spineless man, a man without definition or spirit, a man who floated through his days like jellyfish at sea, waiting only for some survivor to snatch him up and consume him.

Die guten Sätze verbinden sich in organisch konstruierten Absätzen zu einem ununterbrechbaren Strom. Auf der nächsthöheren Ebene springt TC Boyle von Kapitel zu Kapitel durch drei Jahrhunderte, drei Generationen, drei Familien, die schicksalshaft miteinander verschlungen sind, genauso wie die Kapitel. Geschichten, die einem löffelweise zugeführt werden. Und darüber steht das Monster, das Narrativ, das die Welt im Großen und im Kleinen gleichzeitig erklärt. Der Leser sieht immer ein bisschen mehr als der Protagonist, und ahnt ein bisschen früher, was das große Geheimnis ist. Fünfhundert Seiten lang läuft man knapp vor Walter van Brunt durch ein kompliziertes Kausalgeflecht, vorbei an Kolonialismus, McCarthyismus, Kommunismus, und noch so einigen Ismen, bis sich am Ende der Nebel für uns beide lichtet und das Unausweichliche passiert. 

Es ist eine gemeine Strategie, die einen dazu nötigt, das Buch an einem Stück aufzuessen, bis nichts mehr übrig ist.


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