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Literatur

Mein Leben mit TC Boyle: Terranauts

Quelle: Daniel Lobo (Flickr)

Mein Leben mit TC Boyle: Terranauts

Aleks Scholz

Astronom und Autor. Geboren 1975, nach Stationen in Toronto und Dublin jetzt in St Andrews in Schottland.

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Aleks ScholzMontag, 09.01.2017

TC Boyle hat eine Seifenoper geschrieben.

Kann man das so sagen? Darf man den Autor beleidigen? Kann man seine Absichten hinterfragen? Darf man vermuten, dass der Autor sich mit seinem eigenen Buch gelangweilt hat? Kann man sich fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, ein ganz anderes Buch geschrieben zu haben? Ist der Autor jemals schuld an seinem Werk? Oder liegt es an mir? 

"Terranauts" heißen die Bewohner der zweiten Ecosphere, oder kurz E2. Die Erde draußen vor der Tür heißt E1. Die zweite Ökosphäre steht irgendwo in der Wüste in Arizona, eine künstliche Welt mit Regenwald, Schweineställen, Wüste, Affen, Meer, Blutegeln, Schilf, Schlafzimmern, Kakerlaken, Bananenwein. Und einer Seifenoper. Die Terranauten sind alle unsympathisch. Egoisten, die auf die Ziele der Mission eingeschworen sind, aber ansonsten erstaunlich wenige Gedanken haben, die über Neid, Sex, Essen, Karriere und Ökozeug hinausgehen. Keiner gibt sich besonders große Mühe, seine schlechten, einfältigen, unsympathischen Gedanken zu verbergen. Drei von ihnen muss man zugestehen, dass sie keine Chance haben, sich zu verstellen, weil der Autor direkt aus ihnen heraus spricht. Vielleicht wären sie ansonsten ganz okay.

Eventuell hatte TC Boyle einfach vor, eine Seifenoper in der Ökoblase zu schreiben. Es wäre denkbar. Science Fiction mit realistischem Sozialleben ist ein unterentwickeltes Genre, das wir dringend brauchen. Wir wissen natürlich alle, dass die Marsreise technisch schon lange möglich ist, aber daran scheitert, dass es keine acht Menschen gibt, die zwei Jahre auf beengtem Raum miteinander klarkommen können. Genau das ist das Ziel der Terranauten, zwei Jahre in E2 zu überleben. Nothing in, nothing out. Scott und Amundsen haben es leider versäumt, uns ausreichend darüber zu informieren, wie sozial anstrengend ein Polarwinter mit zehn anderen ungewaschenen Männern in einer Hütte auf dem Eis ist. Deshalb bin ich nicht böse, dass TC Boyle sich damit befasst. 

Im Unterschied zu den Antarktisexpeditionen ist E2, die moderne Arche Noah, mit Männern und Frauen besetzt, aus zwei Gründen. Zum einen müssen die Bewohner der Arche fortpflanzungsfähig sein, im Prinzip jedenfalls. Man kann sich schließlich nicht dauerhaft vom Mars aus neue Kinder bei Amazon bestellen. Zum anderen gäbe es ohne Frauen nicht soviel Gelegenheit, über Sex zu schreiben. TC Boyle schreibt unfassbar gern über Sex, nicht so sehr über die Praxis selbst, sondern über den gesamten sozialen Komplex, der den eigentlichen Akt umhüllt wie ein giftige Blase, mit Intrigen, Nachspionieren, Eifersucht, Verrat, Liebe, erkalteter Liebe und wieder entfachter Liebe. Eine Seifenoper ist ohne Frauen kaum denkbar.

Das gesamte Projekt ist natürlich ein Witz. Die Ökosphäre, und auch das Buch, ob beabsichtigt oder nicht. Nothing in, nothing out: von wegen. Die gesamte Ökosphäre braucht Strom, der irgendwo draußen im Kraftwerk erzeugt wird. Alle zwei Jahre werden Besatzung und Nutztiere erneuert. Die Terranauten kommunizieren regelmäßig mit denen da draußen, in einem Raum, der durch eine Glasscheibe zweigeteilt ist, wie in einem Besuchsraum im Gefängnis. Ständig werden Inszenierungen verlangt, für die Zuschauer da draußen, damit die Welt auf keinen Fall das Interesse verliert. Die Ökosphäre ist gleichzeitig Bühne und Gefängnis für die richtige Welt. Letztlich wird alles, was in der Ökosphäre passiert, vom Projektleiter entschieden. Der wiederum ist eine diffuse Person, die von den Terranauten nur "Gott" genannt wird. So kann man sich zwischen all dem Geschlechtsverkehr auch noch ein wenig Religion dazudenken.

Am Ende passiert zwischen dem ganzen hässlichen Sozialleben doch noch etwas sehr Schönes. Die Ökosphäre, diese Blase voller Narren, die wie ein Säugling an der Plazenta der Menschheit hängt und daher alle sozialen Krankheiten erbt, die es da draußen so gibt, diese Ökosphäre nämlich wacht am Ende auf. Das gesamte Buch hindurch atmet sie wie eine große schlafende Schildkröte. Einmal erstickt sie fast und muss reanimiert werden. Aber am Ende erwacht sie und schlägt die Augen auf, ein neuer erdiger Charakter, der die ganzen selbstsüchtigen Idioten in sich trägt. Das ist ein schöner Moment. Und dann könnte das Buch eigentlich endlich anfangen.

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