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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Tarnschriften und Raubdrucke“ – im Namen des Deutschen Volkes

Mein kleiner Buchladen: „Tarnschriften und Raubdrucke“ – im Namen des Deutschen Volkes

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMontag, 11.06.2018

"Der Führer weiß, daß der Krieg unrettbar verloren ist, daß nichts die endgültige Niederlage abzuwenden vermag; er weiß damit auch, daß seine Tage gezählt sind, daß das Spiel, das er zehn Jahre lang auf Kosten unseres Volkes gespielt hat, aus ist – u n d  e r  f ü r c h t e t  s i c h !

Er fürchtet sich vor der Rache all derer, die er um ihren Glauben, um ihre Ehre, um ihr Lebensglück gebracht hat, fürchtet die Rächer der Millionen Unschuldiger, die auf seinen Befehl in den Todeskammern der Gestapo ermordet wurden, fürchtet das Gericht der Welt, das unerbittlich auf ihn wartet.“

Auf Seite 16 des nur achtundzwanzig Seiten umfassenden Reclam-Heftchens versucht der anonyme Verfasser Hitlers Motive für den Justizmord an den Männern des 20. Juli zu erklären. Die Schrift mit dem Titel "Im Namen des Deutschen Volkes" ist eine Tarnschrift im Reclam-Gewand, wie sie zu Zeiten des Nationalsozialismus häufig gedruckt wurden, ein Faksimile von 1974 (Verlag für zeitgeschichtliche Dokumente und Curiosa Erlangen) landete neulich zwischen "echten" Reclam-Bändchen in meinem Laden. Die seltene Tarnschrift, welche von den englisch-amerikanischen Propagandabehörden 1944 und Anfang 1945 mit Flugzeugen über dem damaligen Reichsgebiet abgeworfen wurde, rehabilitiert die Attentäter vom 20. Juli 1944 und bezeichnet ihre Taten, die "aus dem Geist soldatischer Ehre und Gewissenhaftigkeit und aus dem in Schlachten bewährten nationalen und menschlichen Verantwortungsbewußtsein verdienter Generäle hervorgehen...", als letzte, als verpasste Möglichkeit, Deutschland vor den schlimmsten Folgen dieses längst verlorenen Krieges, vor der Selbstvernichtung, zu bewahren.

In meinem Antiquariat hatte ich bisher noch keine Tarnschriften entdeckt, dafür des Öfteren Raubdrucke. Momo von Michael Ende, Das kommunistische Manifest, Schriften der Westberliner Linken, der Homöopathie oder Übungsbücher chinesischer Kampfsportarten. Raubdrucke kursieren seit den 60er Jahren, wie ich in der feinen Anthologie "Bücherkisten" (herausgegeben von Felix Gebhard und Jörn Morisse) nachlesen konnte, und der Spiegel schon seinerzeit monierte.

Albrecht Götz von Olenhusen sammelt seit 1968 Raubdrucke, er besitzt das größte und einzige Raubdruckarchiv Deutschlands mit beinahe 5000 Exemplaren. Es ist mir kaum vorstellbar, dass in Westdeutschland Büchermangel herrschte, dass gewisse Texte von Lukás, Adorno und Horkheimer oder Benjamin nicht aufzutreiben waren. Dass die kapitalistische Profitmaximierung unterlaufen werden sollte, indem der illegale Nachdruck "den freien Zugang zu Informationen und Wissen für alle" sicherte, wie der Urheberjurist Olenhusen schreibt. Zwischen 500 und 3000 Stück wurden meist aufgelegt, ein absoluter Bestseller mit einer Auflage von 100.000 Stück war hingegen Wilhelm Reichs "Massenpsychologie des Faschismus". Spektakulär verlief der Raubdruck von Arno Schmidts Monumentalwerk "Zettel´s Traum": "Die Herausgeber unterboten mit einer 1.000er Auflage für 100 Mark die mehr als dreimal so teure und vergriffene Ausgabe des Stahlberg Verlages." Olenhusen berichtet im Sammelband "Bücherkisten" anhand der Raubdrucke unterhaltsam von Skurrilitäten, schwarzen Reihen und Comic-Verlagen.

"Es gab natürlich auch Idioten, die den ganzen Stalin nachgedruckt haben. Solche Schwachköpfe. Nicht, weil man Stalin nicht kaufen konnte - konnte man ja in der DDR und in der Schweiz-, sondern das waren Stalinisten. Mao-Bibeln, Broschüren von Enver Hoxha und all dieser Quatsch, der da aus Tirana importiert wurde, das hat doch kein Mensch mit Verstand gelesen."

"Das Kapital" war in Westdeutschland um 1970 lange Zeit nicht lieferbar, auch wenn der Ostberliner Dietz Verlag von 1968/69 bis 1979 jährlich 305.800 Exemplare des "Kapitals" druckte. Inzwischen steigen die Preise der Klassiker wieder, gerade habe ich Lenins "Materialismus und Empiriokritizismus" gefunden und nicht zum Verschenken ins Ladenfenster stellen müssen. Was ich mit einem Raubdruck der Mao-Bibel anstellen soll, weiß ich allerdings nicht.

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