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Mein kleiner Buchladen: "Historische Romane" - Kateřina Tučková

Mein kleiner Buchladen: "Historische Romane" - Kateřina Tučková

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 15.12.2018
„Wäre es damals möglich gewesen, hätte sie ihre Arbeit mit der Beschreibung von Mährisch Kopanice eröffnet. Jedermann war dort der Meinung, der Ort sei seltsam und bringe deswegen seltsame Bewohner hervor. Vielleicht sagten die Bewohner von Kopanice das aber auch nur, weil sie außer dem Gefühl der Einmaligkeit kaum etwas besaßen. Diese kleinwüchsigen, knorrigen Menschen, die von der unfruchtbaren Erde von Kopanice kaum zu leben vermochten, trugen von klein auf zu ihrem eigenen Untergang bei – nicht nur durch die Plackerei, sondern auch durch übermäßigen Genuss des starken, hausgebrannten Schnapses.“

Die Ethnologin Dora reflektiert ihre eigene Diplomarbeit, noch zu kommunistischen Zeiten über ihre Heimatregion und deren Bräuche im südlichen Mähren verfasst. Dora Idesová ist die Hauptfigur des 2012 in Tschechien veröffentlichten Romans Žítkovské bohyně (dt: Das Vermächtnis der Göttinnen, DVA 2015) von Kateřina Tučková. Die 1980 in Brno/Brünn geborene Autorin war zu diesem Zeitpunkt in ihrem Heimatland bereits durch die Veröffentlichung ihres Debütroman Vyhnání Gerty Schnirch von 2009 berühmt und geehrt worden.

Eine akademische Arbeit mit einem Essay über eine bergige Gegend anzufangen, mit Beschreibungen von tiefen Wäldern, in denen Karpatenteichen und Buchen stehen mit Stämmen so dick, dass kein Mensch sie umarmen kann, auf Berghängen, auf deren Wiesen im Sommer seltene Orchideen, Knabenkräuter und Buschwindröschen glänzen, mit einem Essay über eine Landschaft, in der Wälder und bunte Wiesen von schmalen bewirtschafteten Feldern durchsetzt sind, zwischen denen niedrige Katen sich in die Böschung krallen, eine solche Einführung wäre nicht gut angekommen.

Geschickt schiebt Tučková diese Sätze, die einen Auftakt für die Beschreibung der Göttinnen von Žítková bilden, mitten in den Roman. Über hundert Seiten sind schon vergangen, wir haben das kleine Mädchen Dora kennengelernt, den Mord an ihrer Mutter (und Katze) miterlebt, den Umzug zur hinkenden Tante Surmena, und ahnen die besonderen Kräfte, die einige Frauen der weißkarpatischen Dörfer besitzen sollen. Dazwischen lesen wir Protokolle der Staatssicherheit, Überwachungs-, Spitzel-, und Maßnahmenberichte aus den 50er bis 80er Jahren.

Das in den weißen Karpaten liegende Kopanice war ein magischer Ort und laut Dora konnte nur dort etwas so Besonderes zur Welt kommen und seine Kraft entwickeln, wie bohyně, die Göttinnen. Kateřina Tučková hält ihre Heldin jedoch auf Distanz, lässt sie an Herkunft und Stammbaum (der Dora bis zur Muttergöttin Kateřina, die Kümmerin, hingerichtet 1635, zurückführt) zweifeln, beschreibt sie kühl und sachlich. In der dritten Person. Dennoch geschehen phantastische Dinge, kann Surmena einen Sturm wegzaubern, Unfruchtbarkeit heilen oder einen Liebeszauber erwirken. Ihre Vorfahrinnen konnten Kriege und Todesfälle vorhersagen, manchmal auch herbeiführen. Den Augen der Göttinnen entgehe nichts, sagten die Leute.

Kateřina Tučková ist eine Mitbegründerin des Festivals Meeting Brno, welches zwischen 2015 und 2018 jährlich mehrere Tage um den Jahrestag des Todesmarsches der deutschen Brünner herum ein hochkarätiges internationales Kulturprogramm bot. Von Kateřina Tučková war bis vor wenigen Wochen lediglich ihr zweiter Roman auf Deutsch erhältlich, eben jene "merkwürdige Geschichte aus den weißen Karpaten", die sich in Tschechien über 100 000 mal verkaufte und in 12 Sprachen übersetzt wurde. Überwältigt vom Leseerlebnis um die verfolgten und nahezu ausgerotteten Heilerinnen recherchierte ich zum Buch, besonders nachhaltig aber verfolgt mich seitdem der Blick einer der letzten Göttinnen aus einem Foto-Archiv des mährischen Museums, welches hier auf mein piqd-Foto geraten ist.

Der erste Roman Tučkovas hatte die Vertreibung zum Thema, anhand eines exemplarischen Schicksals griff die Autorin das in Tschechien komplizierte Ereignis auf. Noch heute erhält sie manchmal wütende Reaktionen auf ihren Roman, der 2010 mit dem wichtigsten Literaturpreis des Landes, dem "Magnesia Litera" ausgezeichnet wurde. Es dauerte neun Jahre, bis sich der kleine Berliner Klak-Verlag bereit fand, das Buch vor wenigen Wochen unter dem Titel "Gerta. Das deutsche Mädchen", herauszubringen. Es ist eine linear geschriebene, 500 Seiten umfassende Nacherzählung des Lebens einer Frau, die als deutsch-tschechisches Kind in Brünn aufwuchs, vertrieben wurde und zurückkam. Mir fehlte hier die bereits im zweiten Roman ausgeprägte Schnitttechnik der Autorin, die Verknappung und aufschimmernde Mystifizierung des Stoffes. Dennoch ist die Wahl des Themas neben der immensen Recherche und Detailgenauigkeit nicht genug hervorzuheben. Für die Stadt Brünn in seiner Multikulturalität, für tausende namenlose Alte, Frauen und Kinder, die auf den Todesmarsch von 1945 gehen mussten und in vielen Fällen nicht nur die Heimat verloren, ist dieses Buch ein Denkmal. Und Mahnmal. Wie bitter der Satz, den Gertas Tochter an ihrem Totenbett denkt; "Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe den Eindruck, dass Mamas gesamtes Leben, abgesehen von den zwei, drei Jahren mit Onkel Karel, unerfüllt und sinnlos war."

Die Stadt Brünn entschuldigte sich 2015 für die Vertreibung der Deutschen und beteiligte sich aktiv am Festival "Meeting Brno". Tučkovas Buch wurde als Theaterstück aufgeführt, 2017 erhielt sie den „Preis für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“ durch das Institut für das Studium totalitärer Regime.

Tučkovas Stärke ist die Konstruktion komplexer Zeiträume mit behutsamer Hintergrundgestaltung aus Politik und Topographie, gepaart mit starken Naturbildern. Die weiblich fokussierten Stoffe reichen bis in unsere Gegenwart und reißen Wunden auf. Ihr nächster Roman, an welchem sie im November einen Monat lang in Leipzig schrieb, handelt von Nonnen, die in der Tschechoslowakei in den 1950er Jahren wie Staatsfeinde behandelt wurden - und wieder haben wir die Zutaten Ideologie, Verfolgung, Umsiedlung. Starke Frauen.

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