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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Frische Bücher“ – Im Schrank

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMontag, 18.03.2019

Zum ersten Mal sitze ich in meinem Schrank. Ich bin begeistert von diesem Schmuckstück der Möbelkunst, made in Poland, dabei haben die schwedischen Designer und die scharfen polnischen Jungs mit den einfachen Werkzeugen, angeführt von einem Nachkommen von Sudetendeutschen, sicher ordentlich die Sau rausgelassen.

"Tereza Semotamova hatte eine umwerfend absurde Idee", bescheinigt Holger Heimann der tschechischen Autorin im verlinkten Radiobeitrag. "Im Schrank" ist der 288 Seiten starke Debütroman der 1983 in einem Dorf bei Brünn geborenen Germanistin und Drehbuchschreiberin. Wie ihre Hauptfigur Hana lebte sie ein paar Jahre in Deutschland. Hana jedoch richtet sich in einem Prager Hinterhof in einem Schrank ein, gleich neben einer Polizeiwache und einem vietnamesischen Krimskramsladen, den Weg zum Hof durch den Keller absolvierend.

Warum wie jeder Depp zwischen vier Betonwänden leben? Viel amüsanter ist doch dieser Parcours durch den finsteren Keller mit anschließendem Sprint über den Hinterhof – in Zukunft werde ich besser an der Hauswand entlangschleichen – und einem Schlussspurt in den Schrank.

Was leichtfüßig und humorvoll klingt, ist in Wirklichkeit schwer praktikabel. Die Plastikplane auf dem Schrankdach wird nicht bis zum Winter halten, die Toiletten- und Waschfrage stellt sich jeden Tag neu, auch wenn der vietnamesische Händler Hana ins Herz geschlossen hat und sie mit altbackenen Hörnchen versorgt, während seine Katze um ihre Füße schnurrt. Wir haben Mai, als Hana in den Schrank zieht und Mutter wie Schwester belügt, sie wohne bei einer Freundin, ja, bald würde sie ihre Sachen aus Deutschland nachholen, und sie arbeite jetzt übrigens bei einer Bank. In Rückblenden, die im Präsens erzählt sind, erfahren wir von Hanas Leben in einer ungenannten kleinen deutschen Stadt, vielleicht ist es Göttingen. Dort lebt sie mit ihrem Freund zusammen, dem nichts recht ist, der von der Arbeit kommt und am Essen herumnörgelt. Der Sätze sagt, die Hana wiederholt, weil sie sich mit ihnen angesteckt hat: "Es ist Sonntag, ich bin depressiv, und alles fühlt sich eckig an."

Für solche Sätze muss man das Buch lieben, für seine wilden Sexszenen, seine absurd echten Traumsequenzen, sein scheinbar zielloses Dümpeln. Holger Heimann bescheidet der Idee Tereza Semotamovas im SWR, sie gehe nicht auf, sei allzu zaghaft – dies sei letztlich nicht der Roman einer strikten Abkehr vom Gewöhnlichen. Das sehe ich ganz anders! In diesem scheinbar normal erzählten Roman um eine Sinnkrise fließt in typisch tschechisch-schwarzhumoriger Weise alles, was wir von den Meistern kennen, und nicht nur den tschechischen. Es verrutscht und erhält surreale Züge, wir haben Mühe, zu erkennen, ob Hanas Freund gestorben ist, ob Hana wirklich für Stunden auf dem Zahnarztstuhl schläft, vergessen von Ärztin und Schwestern, aufgefunden von der Putzfrau. Wir fragen uns, wieso sie abends von Prag nach Pilsen fährt, um jemanden zu treffen, der sie dort erwarten will und ihr "Schwaden von Glück" verheißt. Und hat sie ernsthaft Feuer gelegt auf den Trümmern ihrer Liebe? Wohin fliegen Tauben, wenn man sie mit dem Auto weit weg fährt? Wir beginnen zu glauben, dass ein verirrtes Schwein zu einer Lebensbeichte führen kann und wollen immer mehr wissen und bei ihr bleiben, der unbehausten jungen Frau.

Was für ein Wesen Hana sei, fragte kürzlich Uwe Stolzmann ihre Schöpferin für die Aargauer Zeitung, und sie antwortete: "Das ist unwichtig. Es geht um das Gefühl." Die junge Frau im Schrank wird nach Stolzmann zum Sinnbild für eine Generation, die unbehaust wirkt, weil ihr zu viele Räume offenstehen. Ich möchte hinzufügen, dass sie wieder träumt, diese Generation. Aus den böhmischen Kneipen in die globale Welt hinaus zieht und doch in der kleinsten Zelle, der zweisam brutalen Lebensgemeinschaft den gleichen, ewigen Kämpfen unterworfen ist. Es geht um den Verlust der Liebe angesichts einer wankenden Welt. Das abzubilden, ist ein großer Anfang.

Zu ihrem (aus Liebesbriefen) zitierten Vorgänger Frank Kafka meint Tereza Semotavova im Gespräch mit der Schweizer Zeitung: "Kafka hat auch in einem Schrank gelebt. Er hat sich seinen Träumen hingegeben. Und er wusste, sie werden nie wahr. Träume von Dates, die es nie geben würde. Ich habe Mitleid mit Kafka. Ich würde ihn gern umarmen!"

Mein kleiner Buchladen: „Frische Bücher“ – Im Schrank

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