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Mein kleiner Buchladen - „Frische Bücher“ - Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst

Mein kleiner Buchladen - „Frische Bücher“ - Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMittwoch, 17.08.2016

Eine kleine Segeljacht treibt im Juli 1969 in der Sargassosee. Das Postschiff Picardy, von London unterwegs in die Karibik, legt bei und teilt wenig später der Welt mit, dass der Trimaran „Teignmouth Electron“ verlassen aufgefunden wurde.

Ein Jahr zuvor waren neun Einhandsegler zum „Golden-Globe-Rennen“ der Sunday Times aufgebrochen, ohne einen Zwischenstopp in 30 000 Seemeilen die Welt zu umrunden. Der Hobbysegler Donald Crowhurst mit seiner „Teignmouth Electron“ war als letzter gestartet und blieb acht Monate später überraschend als einziger im Zeit-Rennen. Eine Siegesfeier, Presse, Frau und vier Kinder erwarteten ihn zu Hause. Doch Donald Crowhurst kehrte nicht nach Teignmouth in Devon zurück. Er hinterließ drei Logbücher, ein scheinbar intaktes und mit ausreichend Vorräten versehenes Segelboot – und wirre Notizen über Wahrheit, Gott und Mathematik.

Die Journalisten Ron Hall und Nicholas Tomalin recherchierten direkt nach dem Auffinden der Jacht das „Seedrama des Jahrhunderts“. Auf 369 Seiten erzählen sie uns die tragische Geschichte eines Mannes, dem es gelang, monatelang die britische Presse zu foppen.

Mich hat das Drama des Donald Crowhurst sehr berührt. Die Fakten sind klar, der sechsunddreißigjähre Elektroingenieur segelt hoch verschuldet und schlecht vorbereitet auf einer nicht fertig gestellten Nussschale direkt in sein Verderben. Und muss betrügen, um im Rennen zu bleiben. Ausführlich berichten die beiden Autoren über die Kindheit Crowhurst's in Indien, seinen verkorksten beruflichen Werdegang in England und die manisch furchtlose Selbstüberschätzung, die ihn zeitlebens auszeichnete. Beliebt war er, charismatisch. Hochbegabt, aber chaotisch und sprunghaft. Die eigene Firma, die Navigationsgeräte auf den Markt bringen wollte, stand vor dem Bankrott. Flucht nach vorn – Crowhurst's Lebensmotto. Also ein Rennen zur See. Stattliches Preisgeld und Ruhm winkten, Geld und Zeit waren knapp. Crowhurst, wirbt, bettelt und bezaubert. Und sticht am letztmöglichen Starttermin in See. Was machte es da schon, dass der von ihm eigens entworfene Trimaran (Boot mit drei Rümpfen) nach und nach seine Schrauben verlor, die Segel falsch angeschraubt waren, der Hydraulikschlauch zum Abpumpen der Schwimmer nicht an Bord, der Kaffee verschimmelt und der Generator regelmäßig feucht = unbenutzbar. Schon nach wenigen Tagen auf See merkt Crowhurst, er wird es nicht schaffen. Spätestens bei Madeira fasst der Segler einen verwegenen Plan. Er führt ein doppeltes Logbuch und erfindet, während sein gebeuteltes Bötchen gen Äquator driftet, die Aufzeichnung einer nie gesegelten Route um das Kap der Guten Hoffnung, durch die Südsee, um das Kap Hoorn.

Per Funk gibt er letzte und erste Nachrichten durch, mit einer monatelangen Pause dazwischen, der Generator gehe kaputt - sei kaputt gewesen. Wie durch ein Wunder war dieser plötzlich wieder heile und Crowhurst kurz vor den Falklandinseln. Wo er sich tatsächlich aufhielt, aber den Atlantik nie verlassen hatte. Die Karte seiner wahren Route zeugt von seinen inneren Dramen. Er schippert wochenlang kreuz und quer vor Südamerikas Küste, trinkt hochprozentiges, dichtet, feiert Weihnachten, liest Seemannsmemoiren und Einsteins Relativitätstheorie. Das findet sich in seinen Logbüchern, die bis auf eines erhalten sind.

Als er wieder funkt, ist England begeistert. Als einziger der neun „Golden-Globe-Rennen“-Kandidaten ist Robin Knox-Johnston nach geglückter Weltumseglung und 312 Tagen im April 1969 wieder in England gelandet, gewinnt den Preis von 5000 Pfund. Crowhurst bleibt der Zeit-Sieg, Ruhm und Pressewirbel. Nach und nach scheiden alle anderen Konkurrenten aus – mich beeindruckte vor allen der französische Segler Bernard Moitessier, der freiwillig ausstieg, um in einer anderthalbfachen Erdumrundung weiter nach Tahiti zu segeln und sich dort niederzulassen. Ein anderer kentert vor den Kanaren. Crowhurst funkt Glückwünsche hier, Bedauern da und nimmt Fahrt auf, gen England.

Man glaubt ihm alles, fehlerhafte Positionsangaben will niemand bemerken - außer dem Weltumsegler Francis Chichester, dessen Zweifel ignoriert werden. Der Manager Crowhurst's, ein lokaler Polizei-Reporter, heizt die Stimmung mit ausgeschmückten Reiseberichten des Seglers an. Und Crowhurst? Trifft nie in England ein. Er wird insgesamt 243 Tage auf dem Atlantik verbringen, die letzten Wochen in geistiger Verwirrung. Zeitkrankheit und Regression bescheinigen ihm die Autoren, das Lügen macht ihn verrückt. Am Ende nimmt er (wahrscheinlich) die Borduhr und das gefälschte Logbuch und springt in die Sargassosee.

Ron Hall und Nicholas Tomalin, deren Buch schon 1971 auf englisch erschien und nun in einer zweiten Auflage bei Piper/Malik auf deutsch herauskommt, gelingt es, Crowhurst komplex darzustellen, mit all seinem Charme, seinen Zweifeln und Ängsten. Seine überschwänglichen Funksprüche mit erfundenen Tagesrekorden, Scherzen zu überstandenen Unfällen und Missgeschicken. In Wahrheit: Die erdrückende Einsamkeit an Bord eines Schiffchens, welches die „brüllenden Vierziger“ (anhaltende stürmische Winde im südlichen Indischen Ozean, die Crowhurst durchkreuzen musste) ohne Abpumpschlauch wohl nicht überstanden hätte. Eintönigkeit des Seealltags, die wachsende Angst vor den Konsequenzen seiner falschen Positionsangaben und die avisierte Heimkehr als Sieger eines Rennens - das verkraftet Crowhurst nicht. In seiner Kabine hadert er mit sich, beschreibt dutzende Blätter zu mathematischen Thesen, kosmischen Wesen und dem Zeitproblem. Zum Beispiel:

„Im Königreich Gottes gibt es ein Gebiet, das nicht in Quadratkilometern gemessen wird, sondern in Quadratstunden. Es ist ein Königreich, in dem alle Zeit der Welt ist – wir haben die Zeit, die uns zur Verfügung stand, ganz aufgebraucht und müssen jetzt nach einer imaginären Art von Zeit suchen.“

Skurril und ein wenig traurig, das nachzulesen. Die Erzählfragmente, Notizen und einige Tonbänder, die er während der Fahrt aufgenommen hat, sind erhalten und in Auszügen in den Text geflossen. Der Abschiedsbrief an seine Frau, sämtliche Telegramme und Funksprüche. Mir bangte vor dem Unausweichlichen. Ein Tod zu See lässt immer einen Hauch Hoffnung, sein Körper wurde nie gefunden. Etliche Jahre konnte man laut der Autoren in Englands Kneipen Aufsehen erregen, wenn man verkündete, Crowhurst sei gesehen worden. Künstler haben sich inspirieren lassen (einer ging selbst bei der Nachahmung Crowhurst's Route verloren), Romane wurden geschrieben und nächstes Jahr wird Colin Firth uns diese 8000 Seemeilen - Reise als Donald Crowhurst vor Augen führen, im Film „The Mercy“.

Für mich bleibt die Frage nach der sonderbaren Rolle Clare's, die ihren Mann in der letzten Nacht vor der Abfahrt auch nach seiner unverhüllten Bitte, ihm das Aufgeben zu ermöglichen, im Gegenteil bestärkt. Er solle lossegeln, er würde sich das sonst nie verzeihen. Sie hat es sich nie verziehen. Oder hat sie sich äußerst geschickt eines manisch dominanten Partners entledigt? Clare Crowhurst war aktiv in die chaotischen Vorbereitungen eingebunden, sah ihn das Haus verpfänden, die Probefahrt der „Teignmouth Electron“ um Englands Küste im Desaster enden, erlebte die mangelhafte Fertigstellung und Beladung des Trimarans mit. Las seine Telegramme, als er zwischen den Zeilen erwog, in Brasilien aufzugeben, an Land zu gehen. Wollte sie die Zeichen nicht sehen und glauben, was am unwahrscheinlichsten war? Dass alles bestens lief, das lecke Boot und ihr ungeübter Hobbyseemann einmal um die Welt zu ihr zurück segeln würden, in Rekordzeit...

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