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Literatur

Mein kleiner Buchladen: "Debüts" – Halbschwimmer

Mein kleiner Buchladen: "Debüts" – Halbschwimmer

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMittwoch, 20.02.2019

Der Hamster meiner Kindheit hieß Rolf. Meine Eltern kauften ihn, weil ich ohne Geschwister auskommen musste. Rolf saß unter einem Haufen Holzwolle im Glaskäfig neben der Tür. Meistens schlief er, manchmal fraß er. Das Laufrad benutzte er nie. Das beste an Rolf war, daß er meinen Vater dazu bringen konnte, sich bäuchlings auf den Boden zu werfen und den Kopf unter die Schrankwand zu klemmen. Ansonsten war Rolf eine Enttäuschung und starb bald.

Alles ist hier in diesen ersten Sätzen des ersten Buches Katja Oskamps enthalten. Alles, was ich an der 1970 geborenen (und in Ost-Berlin aufgewachsenen) Autorin so schätze, Lakonie, Kürze, Körper (bevorzugt älterer Männer). In ihren wenigen Veröffentlichungen hat sie ihre Konzentration auf den Körper immer radikaler auf den Punkt gebracht. Der Deutschlandfunk Kultur bescheinigte ihr nach der Veröffentlichung des zweiten Romans Hellersdorfer Perle gar "etwas, das man ein ostdeutsches Körper-Gedächtnis nennen könnte". Andauernd seziert Katja Oskamp die Liebesfähigkeit und Abgründe unserer leiblichen Gestalt, kriecht in Poren, Öffnungen und Falten, zwängt ihre Figuren in Korsetts, zieht ihnen die Haut ab. Selten habe ich ein so komprimiertes literarisches Scheinwerferlicht gefunden, welches in Plattenbauwohnungen oder Einfamilienhäuschen knallt, die Protagonisten entblößt und ihre heile kleine Welt erbarmungslos ausstrahlt bis ins letzte Staubkörnchen.

Die Schokolade zergeht in meinem Mund. Seine Fingerkuppen befühlen meine Rippen und streifen irgendwo meine Brust. Er achtet darauf, dass sie nie wirklich ganz in seiner Hand liegt. Ich atme tief, damit meine Brust seine Hand erreicht. Jetzt weiß ich, wie lästig mir die Jungs mit ihren klumpigen Zungen sind. Onkel Rolf macht mich glücklich.

Es ist selbstgewählt, was die jugendliche Protagonistin in Halbschwimmer hier erlebt. Nicht dramatisch und doch leicht verstörend. Katja Oskamp vereint in ihrem Debüt Miniaturen, die um eine Kindheit und den Abschied von der verendenden DDR kreisen, die Tauben des Großvaters, die Ausgeh-Uniform des Vaters, das Geheimnis der Mutter – und immer wieder um den Körper. Mit dem Fingernagel kratzt das Mädchen Blasen auf, bis sich die milchgraue Haut löst und größere Fetzen abzuziehen sind. Sommerurlaub, Ostsee. Ich hatte ganz vergessen, wie aufregend es als Kind war, sich die verbrannte Haut abzupellen. Katja Oskamp legt Fährten aus, die von ihrem Debüt über die Staubfängerin und die ostdeutsche Provinz der 90er Jahre tiefer in den Berliner Osten führen, bis nach Hellersdorf an die Endhaltestelle einer Straßenbahn, in einen Flachbau namens Hellersdorfer Perle.

Regen fiel auf die Rollstuhlrampe. Ich zog die Kapuze des Mantels über den Kopf und schloss den Kragen. Der Mann humpelte am Stock die Stufen hinab, streckte die Bauarbeiterhand aus, und als ich meine Hand hineinlegte, stopfte er sie vollkommen selbstverständlich zusammen mit seiner in die Manteltasche.

Ebenso begeistert wie von ihren Erzählungen und Romanen (davon will ich mehr, bitte!) bin ich von der Kolumne bei Freitext, die Katja Oskamp seit einem guten Jahr verfasst. In Marzahn, einer Hellersdorf ganz ähnlichen Neubau-Satellitenstadt am Rande Berlins, arbeitet die Schriftstellerin als Fußpflegerin. Ihre Texte über diesen Job sind wie all ihre anderen, humorvoll, sezierend, den Menschen zugewandt – und; Sie ahnen es. Aber hier wird weit mehr verhandelt, es geht mindestens um das ganze Leben; missglückte Operationen, Einsamkeit, Selbstmörder oder jüngst eine Abnehmhose ...

In der ersten Folge von "Fußpflege in Marzahn" kommt Frau Guse, eine 85-jährige Dame, um sich pediküren zu lassen:

Wobei sie, weil sie sieht, wie ich das Peeling in den behandschuhten Händen verteile, ihr Handtuch auf dem Schoß bereitlegt, das mitgebrachte, das die wahre Stammkundin auszeichnet, die nämlich immer ein Handtuch dabei hat, wofür sie selbstverständlich ein Lob von mir bekommt, jedes Mal, auch heute, und indem ich erkläre, dass wir, also meine Kolleginnen und ich, dankbar sind für diese freundliche Mitarbeit der Kundschaft, die uns hilft, den Wäscheberg zu minimieren, wechseln wir elegant von den Krankheiten zum Haushalt und ich kauere mich vor Frau Guse und die Schüssel, muss nur die Hände öffnen, schon hebt Frau Guse den linken Fuß aus dem Wasser, hält ihn mir hin, und ich bearbeite Ferse, Sohle, Längsgewölbe, Spann, fahre mit den Fingern zwischen die Zehen, schrubbe die alten Hautschüppchen ab, wie es Magdalena einst mit den Füßen von Jesus tat, wobei biblische Motive nicht unbedingt das zentrale Thema in der Unterhaltung zwischen Frau Guse und mir bilden und ich Frau Guses Füße auch nicht mit meinen Haaren abtrockne, sondern mit dem Handtuch, dem mitgebrachten, und zwar gründlich.

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Kommentare 3
  1. Mascha Jacobs
    Mascha Jacobs · vor 5 Jahren

    Ich liebe "Fußpflege in Marzahn". Nach diesem Text hab ich mir sofort ihre Romane bestellt.

    1. Clara Westhoff
      Clara Westhoff · vor 5 Jahren

      Bin gerade erst auf Katja Oskamp gestoßen und total begeistert! Welches ihrer Bücher kannst du empfehlen?

    2. Anne Hahn
      Anne Hahn · vor 5 Jahren

      @Clara Westhoff Ihre beiden Romane sind großartig, sowohl Staubfängerin als auch Hellersdorfer Perle

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