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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Autobiografische Schriften“ – Nomadin war ich schon als Kind

Mein kleiner Buchladen: „Autobiografische Schriften“ – Nomadin war ich schon als Kind

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDonnerstag, 19.07.2018

„Wäre mein eigentümliches Leben bloß das Ergebnis von Überheblichkeit, nur eine Pose, ja, dann könnte man durchaus sagen: „Sie hat es so gewollt“ … Aber nein! Keiner hat so absichtslos und vom Zufall bestimmt gelebt wie ich, und es sind eindeutig die Ereignisse selbst, die mich durch ihre verhängnisvolle Verkettung dahin gebracht haben, wo ich bin, und nicht etwa ich habe sie herbeigeführt.“

Vor wenigen Tagen erreichte mich ein neuer Band der Erdmann-Reihe "Die Kühne Reisende", mit dem kolorierten Abbild Isabell Eberhardts vor einer Wüstenlandschaft. Sofort bin ich wieder Mitte zwanzig, sitze mit der Rowohlt-Ausgabe der Sandmeere in irgendeinem Zug und reise. Sehe auf die neuen, mir unbekannten Landschaften Europas und fühle mich verbunden mit der Autorin. Ihrer Schwermut, ihrem freien Wesen. Kurz nach der Wende, gerade aus dem DDR-Gefängnis entlassen, wohin mich mein eigener, gen Westen gerichteter Aufbruch geführt hatte, sind die Tagebücher der in Männerkleidern durch die Wüste reitenden Eberhardt eine Offenbarung für mich.

„Wer bringt mir die wilden Ritte im Herbstwind durch die Berge und Täler des Sahel zurück, berauschende Ritte, bei denen ich in herrlicher Trunkenheit jeden Bezug zur Wirklichkeit verlor!“, notiert sie am 1. Januar 1900 in Cagliari. Sie ist zweiundzwanzig, bereits zum Islam übergetreten und sehnt sich mit jeder Faser nach Afrika. Mit zweiundzwanzig kletterte ich einen baumlosen Berg im Kaukasus hinunter, um die Grenze zum Iran zu überwinden. Nach der Festnahme, dort gab es tatsächlich einen stacheldrahtbewehrten Grenzstreifen, wurde kurz an meiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt. Die russischen Offiziere konnten sich schwer vorstellen, was einen Menschen mit meinem Reiseziel in diese Gegend führen sollte.

In Isabelle Eberhardt traf ich auf eine Gleichgesinnte. Inzwischen bin ich fast doppelt so alt wie sie wurde und ziehe mit klopfendem Herzen die beiden Bändchen Sandmeere aus meinem Belletristik-Regal im Buchladen. Lege sie zu Hause nebeneinander, die gebräunten Taschenbücher und das frische Hardcover. "Nomadin war ich schon als Kind, Meine algerischen Tagebücher," heißt die von Julia Schoch neu übersetzte und mit einem Vorwort versehene Ausgabe des Erdmann-Verlages. Auf 272 Seiten sind die vier algerischen Tagebücher vereint, welche Eberhardt bis kurz vor ihrem Tod im Oktober 1904 führte. Ausgezehrt und krank wurde sie siebenundzwanzigjährig von einer Schlammlawine unter ihrer Hütte in einer Wüstenstadt im Südwesten Algeriens verschüttet, infolge einer ungewöhnlichen Naturkatastrophe. Alle Notizen, Erzählungen und Tagebücher konnten gerettet werde, Isabelle Eberhardt ruht in der Wüste.

„Ich werde also weiterhin beharrlich den Trunkenbold geben, das verkommene Subjekt, den Rüpel, der im letzten Sommer seinen wilden, verwirrten Geist an der betörenden Weite der Wüste und später im Herbst in den Olivenhainen des tunesischen Sahel berauscht hat.“

Liebe und Rausch spielen eine große Rolle in Eberhardts Aufzeichnungen, ebenso der islamische Mystizismus, die Menschen und ihr Leben mit der Wüste - immer wieder die Natur, Sandmeere, Himmel. In der Übersetzung von Grete Osterwald (Rowohlt 1983) lautet eine Beschreibung des Genfer Abends vom 30. Juni 1900:

"ein blaßblauer, kaum himmelblau zu nennender, eher weißlicher Himmel mit leichten grauen Wolken... Grau über den Bäumen von Champel... Grau im Himmel und Grau über dem Salève... Gräulicher Nebel über den Dingen, in vollkommenem Einklang mit dem zarten Grau meines gegenwärtigen Seelenzustandes: keine exzessive Gemütsregung, keine Spur von Enthusiasmus..."

und bei Julia Schoch in der Neuausgabe:

"Ein blasser, zartblauer, opalartiger Himmel mit grauen Wattewolken ... Grautöne über den Bäumen von Champel ... Grau am Himmel und Grau über dem Salève ... ein Grauschleier über allen Dingen, was perfekt zum weichen Grau meiner momentanen Gemütslage passt: keine übermäßige Erregbarkeit, keinerlei Begeisterung."

Was die Neuübersetzung der von mir sehr geschätzten Autorin Julia Schoch (zuletzt "Schöne Seelen und Komplizen", Roman, Piper 2018) in neuen Nuancen zu malen vermag, ist erstaunlich. Umso bedauerlicher, dass der Verlag auf den Abdruck der mannigfachen Zeichnungen Eberhardts verzichtet, die sich durch ihre Tagebücher und Notizen ziehen. Auf meinem Foto ist ein arabisches Gebet mit der Ansicht einer Koubba (kleine Moschee, Grabkapelle) der älteren Ausgabe zu sehen, welche von einer präzisen architektonischen Auffassung Eberhardts zeugt. Eine kleine Kostbarkeit ist die Neuausgabe unbestritten, ich kann ab jetzt vergleichend lesen und betrachten.

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