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Literatur

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen - Folge Foster

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen - Folge Foster

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 16.02.2017

Ruinöse Einzelsportarten in künstlich hochgezüchteten, privilegiert wohlbehüteten Sphären: Lesen, Schreiben und – logo – Tennis.

Am vergangenen Wochenende ging das deutsche Damen-Team im sogenannten Tennis Federations-Cup auf Hawaii gnadenlos gegen die Amerikanerinnen unter. Ich erfuhr davon erst Tage später aus längst veralteten Zeitungen, die sich irgendwie vom Wochenanfang in die Wochenmitte rübergerettet hatten und einer der Gründe waren, warum ich Print so liebte (also richtig Print, mit Geld ausgeben, schmutzigen Fingern und dem Geruch von Altpapier in der Wohnung, den minimalistische Millennials offenbar nicht mehr aushalten, und ich kann sie ab und zu sogar verstehen…):

Die Art und Weise, wie Print dich zum Prisoner of the Past (Prefab Sprout) machte. Nichts ist älter als undsoweiter: das Gefühl von vergangener Zeit, verdichtet in einer Zeitung von vorgestern, die man atemlos verspätet aufschlägt, was denn nun schon wieder alles passiert gewesen war.

Auf der auf den Zeitungsfotos ziemlich tropisch verlassen aussehenden Anlage des Royal Lahaina Resorts auf Maui, Austragungsort der eingangs erwähnten Fed-Cup-Begegnung, sang zunächst der Lehrer und Hobby-Opernsänger Will Kimball die deutsche Hymne in der „Über alles“-Version. Die deutschen Spielerinnen waren empört oder brachen spontan in Tränen aus. Die vermutlich überwiegend weissen und womöglich Trump wählenden Tennis-Fans des Teams USA staunten vielleicht nicht schlecht über so viel Sensibilität im Tätervolk nur zwei bis drei Generationen später. Will Kimball verwies darauf, sich einfach den Text aus dem Internet besorgt zu haben. Andrea Petkovic meinte, diese Hymne wäre das schlimmste, was ihr jemals passiert sei, und verlor einen Tag später das entscheidende Einzel spektakulär auf unerhörte Weise.

Die bekennende David Foster Wallace-Leserin Petkovic (es gibt kaum einen Artikel über sie, in dem unerwähnt bleibt, dass Infinite Jest ihr Lieblingsbuch ist, weil da „so geil über Tennis“ geschrieben würde) führte gegen Coco Vandeweghe 6:3 und 4:2. Dann ließ die Amerikanerin sich wegen „Heat Illness“ behandeln, und Petkovic gewann kein einziges Spiel mehr, verlor 6:3, 4:6 und 0:6.

In einem Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag äußerte sie sich wortreich zu ihrer Hilf- und Ratlosigkeit:

„Es ist schwierig für mich, das in Worte zu fassen, weil ich in dem Moment selbst nicht so genau weiß, was da mit mir passiert. Ich fühle mich dann auf einmal sehr schwer und überhaupt nicht mehr leichtfüßig. (…) Wenn es nicht so läuft, kommt wie so eine kleine Paralyse in mich. Dann kommen viele Sachen zusammen. (…) Das ist schwierig zu erklären für Leute, die vielleicht selbst noch nie Tennis gespielt haben. Aber im Tennis entsteht ein Flow, und (…) das größte Problem war, dass ich bei 4:3 ein schlechtes Spiel spiele, unabhängig von allen Unterbrechungen. Da kann ich das 5:3 machen und dann sehen wir, wie es weitergeht. Aber ich mache zwei unnötige Vorhandfehler und einen unnötigen Rückhandfehler. Da lag es in meiner Hand. Das ist dann einfach schlecht gespielt von mir. (…) Meine Beinarbeit hat nicht mehr gestimmt. Ich weiß nicht, was es dann ist: Kopf? Müdigkeit? Es sieht dann natürlich blöd aus auf dem Papier.“

Und das mag vielleicht nicht schwierig zu erklären sein für Leute, die schon mal selbst Lesen oder Schreiben gespielt haben, aber was mich an Andrea Petkovic so nervt, ist:

Ihre brutale Okayness und Eloquenz, die ängstlich-übertrainierte Angelesenheit ihrer psychologischen Selbst-Aufgeregtheit (die sie vielleicht mit 95 Prozent der deutschen Gegenwartsliteratur teilt).

In fast allen Matches, in denen es eng wird und lakonisches Profitum gefragt wäre, versagen ihr wortreich die Nerven, Stichwort unnötige Vorhandfehler. Da hilft dann auch kein Verstecken hinter der unlesbaren Pseudokomplexität eines 1.400-Seiten-Schinkens mit Fußnoten mehr, geschrieben vom größten Autor seiner Generation, der aber enttäuschenderweise selbst nie hinter die eigene Ambition kam, die „Great American Novel“ schreiben zu müssen (traurig nachzulesen in DT Max‘ Foster Wallace-Biographie „Every Lovestory is a Ghoststory“).

Und dennoch: Ein Aspekt an Petkovic’ Fed-Cup-Abfuck nötigt selbst noch dem genervteren Betrachter Respekt ab. In den schlimmsten Momenten ihres Scheiterns auf dem Platz schimmert auch etwas von einer Selbstsabotage des eigenen Strebertums durch, wie man sie nur jedem Literaturbegeisterten dringend nahelegen möchte, der mit allzu hochfliegenden, infinite-jest-induzierten Lese- oder Schreibplänen ringt. Ich und die Welt und dieser Text: Muss ich mir das wirklich antun, wenn man eigentlich lieber wirklich nicht weiterlesen, -schreiben oder –spielen möchte?

Sehr schön vor diesem Hintergrund abschließend die von Andrea Petkovic gern erzählte Anekdote, wie sie mal ihrer Tennisprofi-Freundin Ana Ivanovic ein Buch empfahl. Und wie die ehemalige Nummer Eins im Frauenwelttennis und jetzige Mrs Schweinsteiger darauf hin tatsächlich in die nächste Buchhandlung stiefelte (oder wahrscheinlicher doch nur öde bei amazon bestellte), um es sich zu besorgen. Und dann allein schon die Vorstellung, wie sich die arglose Kroatin tatsächlich durch die ersten zwanzig Seiten von „Unendlicher Spass“ quälte. Beim nächsten Mal, als die beiden Freundinnen sich trafen, zeigte Ana ihr nur einen Vogel, was Andrea besonders stolz erzählte.

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