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Literatur

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen — Folge 1

Mein autobiographisches Jahr mit Frauen — Folge 1

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelFreitag, 23.12.2016


Suhrkamp fühlte sich an diesem grauen Freitagvormittag so verlassen an wie eine Schule in den Ferien (fehlte nur das einsame Pausenklingeln im Hof). Zumindest der leere Konferenzraum, in dem Rachel Cusk neben mir an einem großen Resopaltisch sitzt. Mrs. Cusk sieht ein bisschen aus wie die Lieblingslehrerin, die wir alle nie hatten (frischgeduscht, Jacket, Jeans, Chucks). Eine Mischung aus Katrina And The Waves und Chrissie Hynde, mit denen man ja auch nicht über Privatthemen reden würde. Stattdessen will ich mit ihr lieber ein Andy Warhol-Gespräch führen und bewusst nicht über ihr phänomenales post-Knausgård-Werk „Outline“ reden.

(Es ist für mich tatsächlich der erste Roman, der da weitermacht, wo Leute wie Knausgård und David „Reality Hunger“ Shields die Fiktionsmaschine Roman eigentlich erledigt am Wegesrand unserer erzähler-, leser- und zuhörerischen Verkehrssysteme liegen gelassen haben, digitale Autobahnen der Ungeduld oder, Karl Ove schon wieder: „sie würden Freunden auf einer Abendgesellschaft ja auch nicht von ihrem ausgedachten Urlaub erzählen“… Rachel Cusk also nimmt sich mit ihrer „Outline“ einfach alle erzählerischen Freiheiten des Romans, um diesen gegen das Genre selbst zu retten: mit einem unspektakultären Anti-Plot von einem Anti-Roman, in welchem dem ewigen Risikofaktor Ich-Erzähler inklusive all seiner Innerlichkeits-Scheiße einfach mit „Faye“ begegnet wird. Faye ist natürlich auch Ich-Erzählerin und selber Autorin, verschwindet aber mit ihrem Leben so nüchtern und hochsensibel zurückgenommen wie Christoph Heins Claudia („Der fremde Freund“) oder Lou Reeds frühe Storytellerinnen („Rachel says“) in ihrer Erzählung (nur gelegentlich smst der Sohn dazwischen, wo sein Tennisschläger ist). Beschrieben werden ein Londoner Mittagessen mit einem literaturinteressierten Milliardär („nicht Richard Branson“, meint Rachel Cusk später im Interview) und eine Reise nach Athen, wo es ein Creative Writing-Seminar abzuhalten gilt. Währenddessen kommt sie mit der Normalmenge an normal spannenden Menschen in Kontakt, wie es jedem passieren würde, der nicht als missionarischer Einzeltänzer seiner eigenen Kunstbestrebungen über diesen Planeten wandelt. Cusks Kunst beginnt dagegen genau hier: im kühlen Protokoll dieser Gespräche, die sie mit ihren Mitmenschen führt, im Erzählinteresse, das sie an diesen Menschen hat. Das stellt man sich ja oft romantisch vor: Menschen blühen auf, wenn sie hören, dass man schreibt. „Mein Leben müsste auch mal verromant werden“ und so weiter. Tatsächlich bedeutet Literatur leider das genaue Gegenteil: gnadenlose Gelaber-Aussparung und eher Geschichten-Vernichtung als Verdichtung. Schonungslose Selbstrezension. Das macht auch Cusk. Man staunt, wie viel die Leute ihr anvertrauen, wie scheinbar naiv sie von ihrem Leben erzählen, ohne den anderen viel zurückzufragen – nur um dafür von Faye – fair enough – schon im Gespräch ziemlich hart rezensiert zu werden („Ist das richtig, wie du deine Ex-Frau beschreibst? Das erscheint mir doch recht unglaubwürdig, dass sie dich nie geliebt hat…“). Eine tiefe Einsamkeit kommt da zum Vorschein, nicht als Kritikpunkt, sondern als urmenschliche Verfasstheit, die uns vor allem dann um die Ohren fliegt (... falsches Bild, eher handelt es sich vielleicht um so was wie einen Abgrund, was sich auch für mich noch im Lauf dieses Interviews herausstellen wird - kleiner Spoiler, falls Sie gerade lieber aufhören wollen zu lesen, weil die Klammer zu lang ist oder weil in der Klammer schon wieder Klammern gemacht werden (absolutes No-Go, geht mir auch so, ging leider gerad nicht anders!)), eine Einsamkeit also, die vielleicht gerade dann am schlimmsten ist, wenn wir glauben, den Abgrund lässig überspringen zu können. Und dann in lauter Missverständnissen landen, der üblichen Zurückgeworfenheit auf uns selbst und unserer Romansehnsüchte nach einem besseren Leben (… Weltruhm, Liebe und dreimal Sex am Tag, singt Frank Ocean). Einmal mittendrin in „Outline" droht es auch die Ich-Erzählerin selbst zu zerlegen: der dicke, reiche griechische Sitznachbar, mit dem sie auf dem Flug nach Athen ins Gespräch kam und sich verabredet hat, will sie auf einer Bootstour plötzlich küssen – „Plötzlich wurde mir klar, dass manche mich für dumm halten mussten, weil ich zu einem fremden Mann ins Boot gestiegen war. Aber was andere dachten, war mir keine Hilfe mehr. Derlei Überlegungen galten nur innerhalb von gewissen Strukturen, die ich ein für alle Mal hinter mir gelassen hatte.“ – Genau hier, am Nullpunkt unseres (erzählerischen) Desinteresses an- und füreinander, blitzt bei Rachel Cusk dann etwas auf, das ich gern (erzählerische) Tapferkeit nennen würde, wenn ich noch immer als Indianer verkleidet um den Tannenbaum rumlaufen könnte.)

Klammer zu und zurück an den Suhrkamp-Konferenztisch, an dem ich bereits während des Interviews darüber nachdachte, ob Cusk genügend Starpower hat, um dem celebrity-süchtigen Fashionmagazin, in dessen Auftrag ich ihr gegenübersitze, ein längeres Portrait wert zu sein und ob es mir in diesem Rahmen überhaupt gelingen würde, auch nur ihr Aussehen (siehe oben!) zu beschreiben. Wahrscheinlich zweimal Nein.

Zum Glück hatte ich meine Warhol-Fragen. What did you have for breakfast? ("Pink everything.") Do you dream? ("Not enough.") Who would be your dreamdate? ("D.H. Lawrence.") Do you dance at home? ("No, but I should have danced myself through it.") … Lieblingsbuch? ("Chris Kraus: I love Dick." – Super, hatte ich mir wenig später sofort besorgt: Dreiecks-Geschichte im amerikanischen Akademiker-Milieu, Paar verliebt sich in ihren gemeinsamen Lieblingskritiker, Dick, absolut nicht meine Baustelle.) Ist Ihr Leben eher ein Roman oder ein Sachbuch? (Sie: sind das jetzt noch Warhol-Fragen?)

Zwischendurch schenkte ich uns Kaffee nach. Rachel Cusk hatte am Vorabend eine Lesung mit Katja Riemann gehabt und vorhersehbarer Weise auch im Interview ein verschwindendes Interesse daran, starmäßig über sich selbst zu reden (weil sie für mich ja nun mal ein Star war, was sie sich, glaube ich, auch irgendwie gefallen ließ). Im weiteren Gesprächsverlauf einigten wir uns darauf, dass die Schätzung von Gordon Lish, dem legendären Raymond Carver-Erfinder, vermutlich stimmte, dass es ca. 2.000 Menschen weltweit gibt, die ein richtig gutes Buch erreichen würde (was auch immer beides sein mag). Und dass die Probleme des Romans im Grunde die einer Ehe sind: es gibt in beiden keine gültige Zentralperspektive. Was wir im zwischengeschlechtlichen Bereich erlebten, wäre ein „war of the sexes“.

Mein Aufnahmegerät funktionierte schon die ganze Zeit nicht, ich kritzelte ihren Satz auf meinen Fragebogen und blickte gleichzeitig nickend Rachel Cusk an, während ich spürte, wie ich mich dem absoluten Nullpunkt vielleicht nicht nur dieses Gesprächs näherte. War of the sexes. Das klang selbst auf englisch so unfassbar dämlich nach defensiven Rückzugsgefechten und war nicht nur unter feministischen Gesichtspunkten vermutlich vollkommen richtig... Aber: Wenn es einen Krieg der Geschlechter gibt, wäre ich darin noch nicht mal gern Pazifist. Oder: Wenn es einen Krieg der Geschlechter gibt, was sollen sich beide Kriegsparteien dann überhaupt noch gegenseitig fragen oder voneinander wissen wollen. Rachel Cusk und ich redeten dann noch eine Weile super nett darüber hinweg, wünschten uns zum Abschied alles Gute. Wenn ich noch Fragen hätte, sollte ich mich melden. Von einer tiefen, absolut undramatischen Ratlosigkeit erfüllt fuhr ich auf dem Rad die Pappelallee runter nach Hause. Es war kalt und ich trug den selben Nadelstreifen-Anzug, in dem ich noch im goldenen Herbst davor auf dem absoluten Höhepunkt meiner journalistischen Karriere Knausgård interviewt gehabt hatte. In diesem Moment wusste ich nur, dass es vorbei war, noch bevor es jemals richtig hätte Fahrt aufnehmen können. Kein Cliffhanger.

PS: Inzwischen ist der „Outline“-Nachfolger „Transit“ erschienen (im nächsten Mai auch auf deutsch bei Suhrkamp). Diesmal erleben wir Faye nicht mehr in der Athener Fremde, sondern in ihrer Londoner Heimat, unter alten Freunden und Bekannten – und sofort funktioniert die raffiniert zurückgenommene Erzählhaltung leider nicht mehr ganz so gut. Trotzdem immer noch ein super Buch.

– Nächste Woche: „Will mein eigener Roman mich verarschen?“ mit Antonia Baum!

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