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Literatur

Mозаики

Quelle: Ehemaliges Sanatorium "Gebirgstal" in Bordschomi. (c) Katja Koch/Aram Galstyan "Mosaiki"

Mозаики

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtFreitag, 14.06.2019

Wieder ist ein neues Buch über Mosaike im postsowjetischen Raum erschienen, und wieder muß es mit Nachdruck empfohlen werden, denn es erschließt teilweise unbekanntes Material dieses faszinierenden Konvoluts, dessen Umfang überhaupt noch nicht abgeschätzt werden kann. Im Lukas-Verlag, dem schon das großartige, von Michael Kröchert bei piqd empfohlene "Unerkannt durch Freundesland – illegale Reisen durch das Sowjetreich" zu verdanken ist, haben Katja Koch und Aram Galstyan "Mosaiki – Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum" veröffentlicht, ein Buch, das mit seinen Fotografien gerade zur rechten Zeit vor dem Sommer heftige Reiselust aufkommen läßt, wobei die Sehnsuchtsziele für manchen eher exzentrisch klingen werden, Städte wie Urgentsch in Usbekistan, Chişinău in Moldawien, Charkiw, Minsk, Bischkek.

In der Sowjetunion hat es seit der Gründung des Staats Kunst im öffentlichen Raum gegeben, wo heute Werbung für Produkte hängt, hing damals Werbung für den Sozialismus, wobei unklar war, ob es sich bei den häufig dargestellten Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten um idealisierte Menschen der Gegenwart oder den idealen, neuen Menschen der Zukunft handeln sollte. Besonders beliebt war die Mosaiktechnik, von kleineren Schmuckelementen bis zu teilweise dreidimensional ausladenden Monumentalwerken. Man kommt natürlich nicht umhin, einen Zusammenhang zur Tradition religiöser Mosaike gerade im byzantinischen Raum zu sehen, die nirgends so intensiv wieder aufgegriffen und adaptiert wurde wie in der Sowjetunion. Wie diese meist stark propagandistische Kunst von den Menschen, für die sie irgendwann alltäglich war, betrachtet wurde, ob sie überhaupt als Kunst empfunden wurde, welche Witze darüber gemacht wurden, welche Gefühle sie heute weckt, bliebe noch zu untersuchen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, daß man damals genauso in der Lage war, diese Bilder, die einen dazu nötigten, zu ihnen aufzublicken, auszublenden, wir wir uns heute daran gewöhnt haben, Werbung zu ignorieren, soweit wir das können. Immerhin war der Gedanke durchaus nobel, jedem den kostenlosen Zugang zur Kunst zu ermöglichen und so die "Entfremdung von Leben und Kunst, von Arbeit und Freizeit, von Eliten und Volk aufzuheben", wie es heute vielleicht nur noch Graffitikünstler versuchen. (Daß es sich so gut wie nie um freie Kunst handelte, muß wohl nicht betont werden.) Der öffentliche Raum hatte schon deshalb so eine große Bedeutung, weil, wie die Autorin schreibt, den Menschen in der Regel nur wenig Wohnraum zur Verfügung stand. Deshalb gab es in allen sowjetischen Städten gut gepflegte Parkanlagen, die bis heute viel genutzt werden, auch wenn sie inzwischen weniger gepflegt sind. (Liegt es an den engen, überbelegten Wohnungen, daß man sich in Osteuropa in eher tristen Wohnumgebungen wenigstens nie einsam fühlt, weil die Menschen sich gerne draußen aufhalten, während sie sich bei uns in ihren privaten Raum zurückziehen?)

Lange Jahre ist diese spezielle baubezogene Kunst mißachtet worden, gerade von den Einwohnern der entsprechenden Länder, wo man andere Sorgen hatte oder sich von der Vergangenheit distanzieren wollte. Oft war ausgerechnet Geldmangel nicht nur ein Grund dafür, daß sie nicht gepflegt wurden, sondern auch dafür, daß sie erhalten geblieben sind, denn Armut ist der beste Denkmalschutz. Inzwischen werden sie in der Ukraine per Gesetz zerstört, während sie in Weißrußland (aus den falschen Gründen) unter Denkmalschutz stehen. Einen unideologischen, differenzierteren Zugang zu diesen Werken haben hier und da Vertreter der jüngeren Generation.

Im Buch sind unter den Kategorien "Arbeit", "Bildung", "Bushaltestellen", "Kultur, Freizeit und Erholung", "Öffentlicher Raum und öffentliche Gebäude", "Wohnen" von den Autoren selbst fotografierte Beispiele aus einem Gebiet von Moldawien bis Tadschikistan versammelt. Das reiche Material, das schon in einigen wenigen Großstädten zutage gefördert wurde, läßt vermuten, daß es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Die Fotos im Buch haben nicht nur wegen der dargestellten Mosaike ihren Reiz, sondern auch, weil sie nebenbei so viel von der Gegenwart erzählen. Man sieht Mosaikwände, in denen es inzwischen Löcher gibt, weil Fenster oder Klimaanlagen eingebaut worden sind, manchmal ist einfach ein Teil des Bilds ohne jede Rücksichtnahme hinter Werbung oder einer neuen Fassadenverkleidung verschwunden, manchmal ist das Werk verwittert, oft werden die Gebäude nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Zweck genutzt, besonders bei den vielen Fabriken und Funktionsgebäuden, die nach dem Kollaps der Wirtschaft leerstehen oder für Zwecke genutzt werden, die nichts mehr mit der Aussage der Fassadenkunst zu tun haben. Nicht selten bildet das farbenfrohe Mosaik einen interessanten Kontrast zum Zustand der Bausubstanz des Gebäudes, wie bei einer ehemaligen Werkzeugfabrik in Tbilissi, deren grauen Betongiebel immer noch ein buntes Mosaikband schmückt, das junge Menschen bei der Arbeit zeigt. Findet man heute noch Kunst an einer Webstuhlfabrik, an einem Eisenbahndepot, an einer Molkerei oder einer Autoreparaturwerkstatt? Was für eine sublime Verlassenheit strahlt eine ehemalige Kolchose an einer Fernstraße in Aserbaidschan aus, deren Giebel ein rustikal ausgeführtes Mosaik schmückt, das eine Frau zeigt, die ein Schaf mit Grünzeug füttert. So etwas zu entdecken gibt dem Reisen erst einen Sinn und macht (mir zumindest) mehr Freude, als mich in eine Besucherschlange vor der Sixtinischen Kapelle zu stellen.

Die Autorin schreibt zu jedem Kapitel eine kurze Einleitung, es geht um die enorm überhöhte Bedeutung von dem, was man in der Sowjetunion unter Bildung verstand, den Zwang zur sinnvollen Freizeitgestaltung, aber auch die Teilhabe der Frauen an akademischen Berufen, die sich auch in den Bildern zeigt, die kaum zu unterschätzende Bedeutung der Kosmonautik, ein Gebiet, auf dem die Sowjetunion mit dem Westen mithalten konnte, und wo man schon in der Gegenwart die Zukunft erleben konnte, denn im Orbit hatte der Sozialismus bereits gesiegt. Das ging so weit, daß Gagarin auf manchen Darstellungen die Rolle von Jesus eingenommen hat und zum Erlöser stilisiert wurde, der mit Koroljow und Ziolkowski eine Trinität bildet. Nicht zu vergessen ist aber auch die "identitätsstiftende Funktion des Krieges und des Sieges über den Hitlerfaschismus" mit dem entsprechenden Bildprogramm (auch hier sind, was nur für uns bemerkenswert ist, unter den Soldaten immer Frauen zu sehen.)

Viel verbreiteter als in der DDR war die Mosaikkunst in der Sowjetunion an den Giebelwänden der unzähligen Plattenbauten. Im Buch sind aber auch Beispiele der für mich besonders überraschenden Ornamentik mit einfachsten Mitteln im zentralasiatischen Raum, die an islamische Bildsprache erinnert, wie überhaupt folkloristische Motive sehr beliebt waren. Die Qualität dieser konstruktivistischen, sparsamen Ornamente übertrifft bei weitem heutige Versuche, Plattenbauten durch Bemalung aufzuwerten, aber auch den skurrilen Versuch, z. B. in Kasachstan, Plattenbaufassaden mit aufgeklebtem, rosafarbenen Styropor in kitschig-eklektische, an Sahnetorten erinnernde Gebilde zu verwandeln und sie in eine andere Architekturepoche zurückzubeamen (wobei bei den Rückseiten der Häuser meist alles beim Alten bleibt).

In den Literaturhinweisen des Buchs findet sich die Website eines Amerikaners, der seit einigen Jahren in Almaty, der früheren Hauptstadt Kasachstans, lebt und sich leidenschaftlich um die dortigen Mosaike bemüht. Einige davon hat er vor der Zerstörung retten können, andere mit einheimischen Künstlern rekonstruiert. Es überrascht nicht, daß es ein "Fremder" ist, der vom Reiz dieser Schätze betört ist, der auch darin besteht, daß sie noch den Status eines Geheimtips haben und nicht touristisch erschlossen sind oder ausgebeutet werden (auf einer Touristenreise durch Usbekistan, die ich mitgemacht habe, wurde auf diese Dinge mit keinem Wort hingewiesen). Was ja selbst für die Architektur der Sowjetmoderne noch gilt, obwohl es dazu inzwischen schon spektakuläre Bildbände gab. Keens Interesse ging, wie er schreibt, aus der Arbeit an einer anderen Website hervor, in der er Spaziergänge durch Almaty dokumentierte. Umwerfend ist auch die reiche Sammlung von Beispielen auf einer Website über Mosaike in Georgien. Es scheint eine interessante Pointe, daß gerade eine urbane, kosmopolitische jüngere Generation sich für die Zeugnisse einer undemokratischen Vergangenheit begeistert und sie dokumentiert, sie als Material für eigene Kunst nutzt, oder sich für den Erhalt einsetzt. (Vielleicht eher dort, wo die Propaganda der Vergangenheit nicht eins zu eins in die Gegenwart übertragen wurde?) Wer diese Zeugnisse einfach ignoriert oder zerstört und so tut, als hätte es sie nie gegeben, verschenkt die Möglichkeit, sich damit produktiv auseinanderzusetzen und riskiert, daß die Geister der Vergangenheit als Gespenst wiederkommen.

Einige der Arbeiten sind schon alte Bekannte, aus Büchern, wie "Decommunized. Ukrainian Soviet Mosaics" (2017) oder dem Architekturführer für baubezogene Kunst in GeorgienDie Bushäuschen-Mosaike habe ich zumindest zuerst in Christoph Brummes Reisebericht einer Fahrradtour von Berlin nach Saratow gefunden. Vergleiche zur baubezogenen Kunst in der DDR, wo es auch viele Mosaike gab (ich erinnere an das Mosaik am Rechenzentrum in Potsdam, oder an Womackas Mosaik in Eisenhüttenstadt) bieten sich an.

Für die Zukunft würde ich mir noch genauere Analysen der Ikonographie erhoffen. Zwar kehren viele Bildmotive immer wieder, aber die Art, wie sie umgesetzt werden, unterscheidet sich von Beispiel zu Beispiel enorm. Im Grunde ist jede westliche Kunstrichtung der Moderne in irgendeiner Form adaptiert worden. Dabei gab es verschiedene Freiheitsgrade. An Buswartehäuschen, "die mit den eintönigen, sterilen Werbeträger-Wartezonen der westlichen Welt wenig gemein haben" (und deren Bedeutung, wie die Autorin schreibt, schon deshalb so groß war, weil es viel weniger private Automobile gab als heute und ein viel besser ausgebautes Busnetz) konnte mehr ausprobiert werden als an der Fassade einer Universität (was zu einem geradezu wuchernden Formenreichtum bei diesen Wartehäuschen geführt hat.). In der Peripherie des Landes war vielleicht mehr möglich als im Zentrum. Wenn der Auftraggeber eine Fabrik war, genoß man sicher mehr Freiheiten als bei der Ausgestaltung eines Erholungsheims des KGB. Dem damaligen Betrachter waren solche Nuancen bewußt, er hat genau bemerkt, wie weit sich der Künstler vorgewagt hat. Wobei gar nicht gesagt ist, daß die Mehrheit der Menschen mit einer avancierteren Bildsprache etwas anfangen konnten, oft waren die Künstler dem Geschmack der Menschen nämlich voraus. Als Beispiel dafür kann man die kontroversen Diskussionen um ein wiederentdecktes abstraktes Wandbild in Plauen nennen.

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Kommentare 1
  1. Leopold Ploner
    Leopold Ploner · vor fast 5 Jahre

    Danke für den Link zur Website von Dennis Keen.

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